Heinsberg/Randerath. Karl D. ist der dreifach grausame Vergewaltiger von Mädchen in Bayern. Seine Strafe von zusammen über 17 Jahren hat er abgesessen, aber die Staatsanwaltschaft München hält ihn weiter für gefährlich. Bürger von Randerath demonstrieren gegen ihn - und das jeden Tag.
Da stehen sie wieder, gestern Abend, heute Abend, morgen Abend, jeden Abend, 51 Tage schon, oder waren es jetzt 52, hier in Randerath, wo die Bahn die Durchgangsstraße kreuzt, 100 Meter entfernt von dem grauen Haus. 30 bis 40 Menschen, auffällig viele Frauen, haben wieder ihre Transparente aufgehängt, „Sperrt ihn weg!”, haben wieder auf eine Hecke diese kindsgroße Puppe gelegt, die offensichtlich ein totes Mädchen darstellen soll, haben für Autofahrer wieder diesen zynischen Aufsteller hingestellt: „Bitte leise. Kinderschänder braucht Ruhe.”
Es ist die allabendliche „Versammlung Schutz vor Sexualstraftätern”, so die polizeirechtliche Anmeldung; und obgleich die Aggressivität der ersten Tage gewichen ist der murmelnden Lautstärke einer Mahnwache, muss man sagen: Die Lage in Randerath ist völlig verfahren.
Hier ist Karl D. (57) Anfang März zur Familie seines Bruders Helmut D. gezogen, Karl D., der dreifach grausame Vergewaltiger von Mädchen in Bayern. Seine Strafe von zusammen über 17 Jahren hat er abgesessen, aber die Staatsanwaltschaft München hält ihn weiter für gefährlich. Ob D. ein Fall ist für vorbeugendes Festhalten, für die Sicherungsverwahrung also, ist umstritten. Bis Dienstag haben D. und die Staatsanwälte Zeit, ihre konträre Sicht dem Oberlandesgericht darzustellen. Wann das entscheidet? „Das kann noch Monate weitergehen”, sagt Karl-Heinz Frenken, Polizeisprecher in Heinsberg, zu dem das Dorf Randerath gehört.
"Wie glauben sogar, dass er krank ist"
18 Uhr, die Versammlung ist aufgezogen, Fackeln sind verboten, Trommeln, Beschimpfungen auf Plakaten . . . weil all das vorgekommen ist. Was für ein Aufwand! Da stehen zwei Streifenwagen, zwei Zivilfahrzeuge der Polizei, einer ihrer Bullis, und auch die Bundespolizei fährt gerade vorbei. In dem Zelt, in dem die Demonstranten sich versorgen mit Kaffee und Brötchen, sagt Versammlungsleiter Thomas Brauckmann (46) solche Sätze wie: „Wir glauben gar nicht, dass er in den nächsten Tagen ein Kind angreift. Wir glauben sogar, dass er krank ist. Deshalb gehört er ja eingesperrt.”
Brauckmann hält sich zugute, „Action-Men und Neo-Nazis nach Hause geschickt zu haben. Die lassen sich hier nicht mehr blicken.” Es gehe bei der täglichen Demonstration darum, „Aufmerksamkeit zu erregen, damit es nicht mehr passiert, dass so jemand frei ist durch eine Gesetzeslücke”. Das lässt sich alles unterschreiben, doch wenn Brauckmann, der energische Tankstellenpächter aus dem nahen Kogenbroich, gerade nicht in der Nähe ist, dann fallen unter den Demonstranten auch mal andere, mörderische Sätze.
Nun lässt sich mit wachsender Entfernung von diesem grauen Haus natürlich leichter liberal und rechtsstaatlich denken. Man wird dann vielleicht nach Aachen zu Wolfram Strauch finden, das ist der Anwalt, der den Bruder Helmut D. vertritt – er, der Bruder, war nach Drohungen gegen die Demonstranten eine Nacht in der Psychiatrie, und weil es da ein Handgemenge gab mit Polizisten und Verletzten, auch er selbst wurde verletzt, wird nun wegen Widerstands gegen ihn ermittelt. „Die Eheleute D. können ohne Polizeibegleitung ihr Grundstück nicht verlassen, ihr neunjähriges Kind hat jeden Tag Spießrutenlaufen”, sagt Strauch: „Das ist die Perspektive der Familie, nämlich keine.” Strauch will versuchen, die Demo verbieten zu lassen, weil sie „die Grundrechte meines Mandanten grundlegend einschränkt”. Wenn der andere Bruder, der Sexualstraftäter, frei bleibe, „was passiert dann in Randerath? Ich weiß es auch nicht.”
Mindestens bis Mitte Mai
Brauckmann weiß es, er ist jedenfalls entschlossen, Karl D. keine Freiheit mehr zu lassen: „Der muss sich was suchen”, sagt er einerseits. Und dann: „Wenn er wegzieht und ich wüsste, wohin, würde ich unser Equipment unter den Arm nehmen, dahin fahren und den Nachbarn sagen: Da ist gerade ein Kinderschänder eingezogen.” Aber dass das bald passiert, damit rechnet auch er nicht: Die „Versammlung Schutz vor Sexualstraftätern” ist bereits genehmigt für jeden Abend bis Mitte Mai.
Ob sich bis dahin etwas ändert am aktuellen Kriminalfall von Randerath, das weiß man nicht. Was für eine Konstellation: Ungeklärt ist der Mord an der 24-jährigen Düsseldorferin Alexandra B., ein Bauer fand ihre halb nackte Leiche im Juni 2008, etwa einen Kilometer entfernt von Randerath. Es war ein Sexualmord, und die jüngeren Männer Randeraths wurden einem Massengentest unterworfen. Ergebnislos. Aber Karl D. kann es auch nicht gewesen sein.