Bochum. Kaum etwas nervt im Ruhrgebiet so sehr wie Stau. Die EU will die Straße entlasten. Ein Logistiker aus Bochum zweifelt, dass das klappt.

Am 9. Juni wird das neue Europäische Parlament gewählt. Allein in NRW sind rund 13,8 Millionen Menschen zur Wahl aufgerufen, mit der der Kurs für die kommenden fünf Jahre in der EU mitbestimmt wird. Doch wo liegen die Unterschiede bei den Parteien? Und wie kann es der EU mithelfen, drängende Probleme vor Ort im Ruhrgebiet zu lösen?

Was erwarten Menschen im Ruhrgebiet von der EU und was bieten die Parteien, um Herausforderungen vor Ort bewältigen zu können? Kann die EU Integration erleichtern? *** Kann die EU Armen helfen? *** Welche Rolle spielt die EU bei der Frage, wie die Wirtschaft grüner werden kann?

Kaum etwas frustriert die Menschen im dicht bebauten Ruhrgebiet so sehr wie der Verkehr. Für Gerard Graf, Spediteur und Gründer des Bochumer Unternehmens Graf Transporte Internationale Spedition GmbH, geht es um mehr als verlorene Zeit:

„Unser Unternehmen gibt es seit 1983, heute arbeiten 150 Leute bei uns und wir haben 105 Schwerlastwagen, die für unsere Kunden durch ganz Deutschland und auch Europa fahren. Die Fahrten planen wir genau, Pausenzeiten sind eingerechnet. Aber wenn Brücken marode sind, es zu Stau kommt oder unsere Leute mal wieder länger nach einem Rastplatz suchen, macht uns das jedes Mal einen Strich durch die Rechnung. Das ist ein Riesenärgernis, weil so was tagtäglich passiert. Wir haben für einen Kunden mal ausgewertet, dass wir für seine Strecke doppelt so lange unterwegs waren als sonst, weil wir die Leverkusener Brücke umfahren mussten. Doppelt so lange, das heißt im Zweifel, dass Lieferungen teurer werden und das am Ende der Endkunde zahlt. Also wir alle.

Es heißt immer, dass in der EU mehr Güterverkehr auf die Schiene kommen soll. Aber die Schienen sind doch ausgelastet. Genauso wenig funktioniert es derzeit, im größeren Stil Lastwagen mit Strom betanken zu wollen. In Deutschland fehlen 25.000 Ladestellen, die müssten erst einmal gebaut werden. Aus Klimaschutzgründen fahren viele unserer Lkw ja schon mit LNG-Biogas.“

Was hat die EU damit zu tun?

Der Erhalt und Ausbau der Infrastruktur sind Aufgabe der Mitgliedsstaaten. Mobilität und Verkehr sind zugleich Kernthemen der EU. Seit mehr als 30 Jahren kümmert sich die EU um Verkehrspolitik, steckt Milliardensummen in Infrastrukturprojekte der EU-Staaten und bringt einheitliche Regelungen etwa für Schienen und den Luftraum voran. Kernanliegen ist der Ausbau eines transeuropäischen Verkehrsnetzes, von denen eine Hauptachse durchs Ruhrgebiet führt.

Besonders die Klimaschutzanstrengungen der EU haben Auswirkungen im Alltag: Treibhausgasemissionen sollen runter, dafür der Verbrenner weitgehend von der Straße und mehr Güterverkehr auf die Schiene. 350 Millionen Euro soll es für fehlende Schnellladesäulen an Autobahnen geben. Das Ruhrgebiet hat zuletzt Millionen für Radwegprojekte bekommen. In Dortmund gab es 4,3 Millionen Euro, um den Autoverkehr aus der City zu bekommen - etwa durch einen vier Meter breiten Radwall.

Was könnte sich mit der Wahl ändern?

Im Wahlprogramm der CDU/CSU ist Mobilität kein zentrales Thema. Die Union hält am Verbrenner fest und will ihn „technologieoffen“ weiterentwickeln. Infrastrukturprojekte sollen in der EU beschleunigt werden, dazu Umweltrichtlinien überprüft und das Verbandsklagerecht abgeschafft werden, mit der Verbraucherverbände Ansprüche von Verbraucherinnen und Verbrauchern einklagen können.

Die Grünen wollen den Schienenverkehr stärken, um die Straße zu entlasten. Es soll mehr Fördermittel für das europäische Schienennetz geben, ein europaweit einheitliches Güterzugnetz mit Schnellverladeterminals, mehr grenzüberschreitende Züge und Nachtzüge. Bahnen sollen mit einem einheitlichen Europatakt besser aufeinander abgestimmt sein und Fahrkarten grenzüberschreitend per App zu kaufen sein. Die Grünen halten am Verbrenner aus fest und lehnen E-Fuels im Straßenverkehr ab.

Die SPD will Europa zur Mobilitätsunion machen und die Schiene stärken. Züge sollen nach einem „Europatakt“ fahren, um Umsteigezeiten zu verringen, ein Europaticket und eine europaweite Ticket-App den Nachverkehr verbessern. In ihrem Wahlprogramm lockt die SPD mit einem kostenlosen Interrailticket für alle 18-Jährigen, will bis 2030 30 Prozent des Güterfrachtverkehrs auf die Schiene holen und ein EU-Label für die Umweltverträglichkeit von Flügen einführen.

Die AfD, die die EU als ein „undemokratisches und reformunfähiges Konstrukt“ ablehnt und die Identität der Nationen bedroht sieht, stellt sich hinter den motorisierten Individualverkehr. Sie hält am Verbrenner fest und will Lenkzeiten von Lkw-Fahrern stärker kontrollieren.

Die Linken streben einen europaweit kostenlosen Nahverkehr an. Neuwagen sollten in der Regel nicht schwerer als zwei Tonnen sein und Privatjets und Megajachten in der EU verboten sein.

Schon 16-Jährige sollen begleitet Autofahren können, wenn es nach der FDP geht. Für den transeuropäischen Zugverkehr soll es ein Hochgeschwindigkeitsnetz geben, Schienen und Ticketsysteme harmonisiert werden.

Das neue Bündnis Sahra Wagenknecht will grundsätzlich EU-Kompetenzen beschränken, kein Verbrenner-Verbot und allgemein den Nah- und Fernverkehr ausbauen.

Was Menschen aus dem Ruhrgebiet von Europa erwarten