Bochum. Milad Tabesch aus Bochum will junge Menschen für die Europawahl 2024 begeistern. Wieso er dabei erfolgreicher ist als die meisten Politiker.

  • Am 9. Juni ist Europawahl. Erstmals dürfen auch 16- und 17-Jährige mitentscheiden, wer in der EU in Zukunft das Sagen hat.
  • Milad Tabesch aus Bochum will sie davon überzeugen, ihre Stimme auch zu nutzen.
  • Was Europa für ihn persönlich bedeutet – und warum er mit seiner Initiative „Ruhrpott für Europa“ so erfolgreich ist.

Für Milad Tabesch ist Europa ein Versprechen. Von einer sicheren Zukunft, von Frieden und Freiheit. Doch jetzt hat er Angst, dass das Versprechen gebrochen werden könnte. „Europa ist in Gefahr“, sagt der 27-Jährige aus Bochum. Das will er mit seiner Initiative „Ruhrpott für Europa“ verhindern.

Am 9. Juni dürfen erstmals auch 16- und 17-Jährige mitentscheiden, wer in der EU in Zukunft das Sagen hat. Expertinnen und Experten befürchten, dass viele das gar nicht wissen. Oder dass sie ihre Stimme der Partei geben, die die EU abschaffen will. Denn auf Social Media, wo sich zwei Drittel der jungen Menschen informieren, erreicht keine andere Partei so viele Nutzer wie die AfD.

Angetrieben von dieser Sorge hat die Regierung in NRW die Landeszentrale für politische Bildung (LpB) damit beauftragt, gezielt Erstwählerinnen und Erstwähler anzusprechen. Und die sucht sich dafür Hilfe – bei Milad Tabesch.

Milad Tabesch (27) aus Bochum ist der Sohn afghanischer Einwanderer.
Milad Tabesch (27) aus Bochum ist der Sohn afghanischer Einwanderer. © FUNKE Foto Services | Svenja Hanusch

Bochumer gibt EU-Workshops für Schüler im Ruhrgebiet

Montagnachmittag in der Rotunde in Bochum. Blaues Licht fällt in den dunklen Saal, es läuft Hip-Hop-Musik. „Ein bisschen Club-Feeling“, sagt Tabesch. Um ihn herum stehen mehr als 30 Berufsschüler. „Welche Länder wollen der EU gerne beitreten?“, fragt er. „Die Türkei“, sagt ein Schüler. „Auch die Ukraine, oder?“, ein anderer. „Stark! Eins plus mit Sternchen“, antwortet Tabesch. Er fährt sich durch die schwarzen Haare und strahlt.

Wenn er die verschiedenen Institutionen, Regeln und Aufgaben der EU erklärt, nutzt er Wörter wie „krass“ oder „hammer“. Er ermahnt die Jugendlichen nicht, wenn sie untereinander quatschen. Die meisten hören ihm sowieso zu. Tabesch weiß, wie er sie erreichen kann.

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„Viele Schüler wissen nicht, warum die EU überhaupt wichtig ist“, sagt er. Er selbst kann das nicht nachvollziehen. Als Kind hörte er auf Persisch zum ersten Mal von Europa, wenn seine Eltern mit Verwandten in der Heimat Afghanistan telefonierten. [orupā], das klang für ihn schon immer nach Hoffnung.

Seit sieben Jahren besucht er nun Schulklassen im Ruhrgebiet. Die Idee dazu kam ihm im Studium. Bei seinen Workshops beginnt er nicht damit, die Unterschiede zwischen Europarat und Europaparlament zu erklären. Er spricht eher von Trends auf TikTok, der Vielfalt des Ruhrgebiets – oder der Flucht seiner Eltern.

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„Man kann hier in Europa alles sagen, ohne, dass es nachts an der Tür klopft. Das vermitteln wir den Kids. Und es ist etwas anderes, wenn wir, die selbst alle einen Migrationshintergrund haben, das sagen“, sagt Tabesch.

Jetzt, kurz vor der Wahl, ist sein Terminkalender durchgetaktet. Zusammen mit seinem Team an Ehrenamtlichen gibt er Workshops, organisiert Events, nimmt an Podiumsdiskussionen teil. Und unterstützt die Landeszentrale für politische Bildung bei ihrer Europawahl-Tour.

Carmen Teixeira  von der Landeszentrale für politische Bildung. Sie versucht, vor der EU-Wahl auch gezielt Erstwählerinnen und -wähler anzusprechen.
Carmen Teixeira von der Landeszentrale für politische Bildung. Sie versucht, vor der EU-Wahl auch gezielt Erstwählerinnen und -wähler anzusprechen. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Anfang April am Fußballmuseum Dortmund: Während die Mitarbeitenden der LpB bei der Auftaktveranstaltung ihrer Tour versuchen, Schülerinnen und Schüler für Quiz-Spiele zu motivieren, dreht Tabesch ein Video für Instagram.

Auf seinem Kanal sprechen junge Menschen aus dem Ruhrgebiet darüber, was Europa für sie persönlich bedeutet. „Es muss den Followern Spaß machen, auf dem Account unterwegs zu sein. Davon sind viele Politiker und Organisationen noch meilenweit entfernt. Wir versuchen, eine Lücke zu schließen zwischen politischer Bildung und coolen Looks“, sagt Tabesch.

Bundeszentrale für politische Bildung wagt sich auf TikTok

Viele seiner Clips hat auch die Landeszentrale für politische Bildung auf ihrem Instagram-Kanal geteilt. Ein Baustein ihrer digitalen Europawahl-Kampagne. Seit wenigen Monaten ist die LpB außerdem auf der chinesischen Videoplattform TikTok aktiv. Auf dem Account „Real Talk NRW“, den sie zusammen mit der Stabsstelle für Rechtsextremismus betreibt, wurden bisher 16 Videos gepostet.

Sie tragen Titel wie „Teste dein Wissen Europa Edition“, „Was ist Antisemitismus?“ oder „Politik ist voll lame“. In manchen Videos wird versucht, TikTok-Trends aufzugreifen. Dann taucht zum Beispiel ein tanzender Waschbär auf mit dem Spruch: „Ich, wenn realtalk.nrw mir sagt, dass ich unter 16 politisch mitmischen kann.“

Es ist sehr herausfordernd für jemanden, der nicht zur TikTok-Generation gehört.
Carmen Teixeira, Landeszentrale für politische Bildung

„Es ist sehr herausfordernd für jemanden, der nicht zur TikTok-Generation gehört, eine Balance zu finden zwischen den Inhalten, die auf TikTok funktionieren, und den eigenen Ansprüchen. Das ist schwieriger, als wir gedacht haben“, sagt Carmen Teixeira von der LpB. Dass die Clips möglichst kurz sein müssen, dürfe schließlich nicht dazu führen, dass einfache Antworten auf komplexe Fragen gegeben werden.

Bisher werden die Videos mit Unterstützung einer externen Agentur erstellt. „Wir haben bei unserem Piloten zur Europawahl festgestellt, dass wir noch viel mehr junge Gesichter brauchen, mit denen sich die TikTok-User identifizieren.“

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Jemanden wie Milad Tabesch. Nach zwei Stunden Diskussionen und Fragen endet sein Workshop für die Bochumer Berufsschüler. „Danke für die Diskussion auf diesem hammerkrassen Niveau. Jetzt könnt ihr euch alle selbst einen Applaus geben“, sagt er und ruft ihnen dann noch hinterher: „Geht wählen!“ Die Jugendlichen nicken. Für Tabesch ein großes Versprechen.

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