Duisburg. „Als Frau mit Behinderung war es schwierig, Männer kennenzulernen“, sagt Christina. Heute ist sie mit Mihrac zusammen. Was ihre Liebe ausmacht.
Sie verstehen sich ohne Worte. Sie sind aufeinander angewiesen. Sie kämpfen gegen Vorurteile und mussten deshalb schon Menschen in ihrem Leben gehen lassen. Christina Modrzejewski (28) und Mihrac Yilmaz (27) führen auf den ersten Blick eine ungewöhnliche Beziehung. Christina hat das Guillain-Barré-Syndrom, kurz GBS. Eine akut auftretende seltene Nervenkrankheit, die zu Lähmung und sogar bis zum Tod führen kann. Christina ist auf ihren Rollstuhl angewiesen. Vor einem Jahr kam die Diagnose Diabetes hinzu. Auf ihren Partner muss sich die Duisburgerin immer verlassen können – denn nicht zuletzt kann ihr Leben davon abhängen.
In unserer Serie „So liebt das Ruhrgebiet“ erzählen die beiden ihre Geschichte, sprechen über Herausforderungen, Schubladendenken und darüber, was ihre Liebe besonders macht.
Duisburger: „Seit ich Christina kenne weiß ich, was wahre Liebe ist“
Das Paar lernte sich vor etwa anderthalb Jahren im Internet kennen. Auf ihrem Dating-Profil postete die junge Frau ein Bild, auf dem sie im Rollstuhl sitzt. „Ich möchte, dass die Menschen, die ich kennenlerne, direkt wissen, woran sie bei mir sind“, sagt sie. „Entweder man hat dann Interesse oder eben nicht.“ Mihrac war von ihrer offenen und ehrlichen Art fasziniert.
In unserer Serie „So liebt das Ruhrgebiet“ stellen wir Menschen an Rhein und Ruhr vor, die eine besondere Liebesgeschichte haben, uns bewegen, inspirieren und Vorbild sein können. Weitere Texte finden Sie hier:
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Anfangs telefonierten die beiden fast jeden Abend, manchmal fünf Stunden lang. „Wir konnten sofort auf einer tiefen Ebene miteinander sprechen“, sagt sie. Er ergänzt: „Seit ich Christina kenne, weiß ich, was wahre Liebe ist.“ Auch Christina hatte zuvor teils keine guten Erfahrungen mit anderen Männern gemacht. „Als Frau mit Behinderung ist es nicht einfach, Männer im realen Leben kennenzulernen. Für viele bedeutet Rollstuhl gleich pflegebedürftig. Sie nehmen dann schnell Abstand davon.“
Christina war zeitweilig halsabwärts gelähmt
Die Diagnose kam bei ihr 2021 quasi über Nacht. Angefangen hatte es mit Rückenschmerzen, zwei Tage später lag Christina im Krankenhaus, war zeitweilig halsabwärts gelähmt. Sechs Monate verbrachte sie in der Klinik. „In dieser Zeit hatte ich einen Nervenzusammenbruch, es war so ein Schock“, erinnert sich die Kinderkrankenpflegerin. Stück für Stück kämpfte sie sich ins Leben zurück. Heute kann sie mit Hilfe von Orthesen sogar ein paar Schritte laufen.
Mihrac hatte anfangs Berührungsängste mit der Behinderung seiner Partnerin, wollte bloß nichts Falsches tun oder sagen. „Mit so einer Situation war ich zuvor noch nie konfrontiert.“ In diesen Momenten half es ihm, seine Überforderung und Unsicherheiten offen anzusprechen. „Das ist für unsere Beziehung sehr wichtig. Außerdem hilft es, dass wir über uns selbst lachen können.“
„An schlechten Tagen bin ich komplett auf ihn angewiesen“
Ihren Humor haben sie auch nicht verloren, als Christina vor einem Jahr die Diagnose Diabetes bekam. Ein weiterer Schock, der das Zusammenleben noch einmal veränderte. „Schon vorher hat Mihrac mir viel im Alltag geholfen, wenn ich starke Nervenschmerzen hatte – etwa beim Kochen, Schuhe anziehen, in die Dusche zu kommen oder schwere Dinge zu tragen.“ An schlechten Tagen, wenn Christina stark überzuckert ist, muss er sie spritzen, manchmal auch füttern. „Wenn ich nichts schaffe, macht er alles. Dann bin ich komplett auf ihn angewiesen.“
Sie glaubt, dass die Beziehung durch ihre Behinderung noch intensiver ist. „Wir mussten lernen, uns blind aufeinander zu verlassen, uns aufzufangen.“ Das können nicht alle verstehen. Einige ehemalige Freunde warfen Mihrac vor, durch die Behinderung seiner Freundin fremdbestimmt zu sein. Und Freundinnen, die sich früher mit Christina im Café oder im Wellnesscenter getroffen haben, wollten sie, seitdem sie im Rollstuhl sitzt, plötzlich nicht mehr in der Öffentlichkeit treffen. Andere wendeten sich komplett von ihr ab.
Was Christina jeden Tag antreibt? „Dankbarkeit“
Und auch im Alltag stößt Christina immer wieder auf Herausforderungen, zum Beispiel beim Einkaufen. „Ich bin gerade mit meiner Mutter auf den Behindertenparkplatz gefahren, als mich ein älterer Herr kopfschüttelnd angehupt hat. Erst als ich mit meinem Ausweis gewedelt habe, hat er verstanden, dass mir der Parkplatz zusteht. Viele vergessen, dass Behinderungen vielfältig und nicht immer auf den ersten Blick erkennbar sind.“ Von der Gesellschaft wünscht sich Christina mehr Offenheit und weniger Vorurteile.
Was sie jeden Tag antreibt? „Dankbarkeit“, sagt sie mit fester Stimme. „Dafür, dass ich lebe. Für jede neue Funktion, die ich von meinem Körper zurückbekomme. Für die neuen wahren Freundschaften, die ich gewonnen habe. Und für den tollen Menschen an meiner Seite.“
Christina hat versucht, aus ihrem Schicksal Stärke zu ziehen. Auf ihrem Instagram-Kanal zeigt sie ihre Fortschritte, setzt sich für eine inklusivere Gesellschaft ein, hilft anderen Betroffenen. Für ihre rund 36.000 Follower möchte sie das Vorbild sein, das sie damals nicht hatte. Und auch für ihren Partner Mihrac ist sie eine große Stütze. „Sie ist manchmal der Grund, warum ich morgens aufstehe, wenn ich mal wieder viel Stress habe und mich am liebsten den ganzen Tag unter der Bettdecke verkriechen würde“, sagt er. Dann gehen die beiden ins Kino, treffen Freunde oder spielen mit den Hunden – wie viele andere Paare.
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