Dinslaken. Christina Modrzejewski wollte die erste Miss Germany mit Handicap werden. Am Samstag kämpfte sie dafür im Finale. Was sie zu ihrem Platz sagt.
Die Anspannung ist Christina Modrzejewski schon etwas anzusehen. Denn Lola Weippert macht es spannend. „Wer wird die neue Miss Germany 2024? Wer hat sich gegen 15.000 Bewerberinnen durchgesetzt?“, fragt die Moderatorin des Miss-Germany-Finales am späten Samstagabend. „Das war schon ein sehr aufregender Moment“, erzählt Christina im Nachhinein. Ihr Name fällt am Ende allerdings nicht – aber sie hat es unter die besten Fünf beim diesjährigen Wettbewerb geschafft.
Aber von vorn: Am Samstag hat die Dinslakenerin im Europapark Rust um den Miss-Germany-Titel 2024 gekämpft. Die 28-Jährige, die vor zweieinhalb Jahren am Guillain-Barré-Syndrom erkrankt ist, wollte die erste Miss Germany mit einem Handicap werden. Christinas Beine sind durch die Nervenkrankheit gelähmt, sie ist im Alltag auf einen Rollstuhl angewiesen.
1000 Gäste, Influencer und Promis kamen zum Miss-Germany-Finale
Bevor im Finale die Miss Germany 2024gekürt wurde, gleicht das Event einem Gala-Abend. 1000 Gäste kommen in Abendkleid und Anzug, Influencer und Promis, darunter Unternehmerin Karo Kauer, Viva-Moderatorin Milka Loff Fernandez oder Microsoft Tech-Managerin Magdalena Rogl, schreiten über den roten beziehungsweise violetten Teppich. Das Foyer der Europapark-Arena ist für Influencer wie eine Spielwiese: Die Kooperationspartner von Miss Germany präsentieren Schokopralinen oder ausgefallene Eiskreationen. Das wird gefilmt und gepostet.
Während der deutsche Singer-Songwriter Kamrad die eigentliche Show am Samstagabend mit seinem Hit „I Believe“ eröffnet, laufen die neun Finalistinnen – die zehnte Teilnehmerin fiel aus gesundheitlichen Gründen kurzfristig aus – auf die Bühne. Auch Christina läuft – ihre Orthesen machen es für einige Schritte möglich.
Christina aus Dinslaken stellt ihre Mission innerhalb 90 Sekunden vor
Es folgt die erste Aufgabe für die Frauen: Sie haben 90 Sekunden Zeit zu erklären, warum sie Miss Germany werden wollen, was ihre Mission ist. Die Jury, bestehend aus Moderatorin Neda Peemüller, Entertainer Nicolas Puschmann, Influencer Twenty4Tim, Autorin Vivien Wulf, Schauspielerin Sharon Battiste und der PR-Chefin der Miss Germany Studios, Jil Andert, bewertet die Auftritte. Wer nach der ersten Runde genug Punkte hat, zieht in die Top 5 ein. Das Ranking bleibt bis heute geheim.
Christinas Konkurrenz und die vorgetragenen Missionen sind stark. Dabei sind Frauen, die sich gegen Cybermobbing, für Frauenrechte und Integration oder für eine höhere Bereitschaft bei der Organspende einsetzen wollen. Christina nutzt ihre eineinhalb Minuten gut, sie steht selbstbewusst auf der Bühne. „In Deutschland gibt es 7,8 Millionen schwerbehinderte Menschen. Einer davon bin ich. Es ist unfassbar hart, wenn man einen Schicksalsschlag erlebt hat, sich dann noch der Gesellschaft und deren Barrieren stellen zu müssen“, betont die Dinslakenerin.
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„Ich will, dass Städte barrierearm sind, damit jeder Mensch am alltäglichen Leben teilnehmen kann. Wir brauchen eine Politik, die Menschen nach einem Schicksalsschlag auffängt. Ich will ein Vorbild sein, vor allem für unsere Kinder.“ In diesen 90 Sekunden hat man schnell gemerkt: Christina will diesen Titel, sie will ihre Mission verfolgen, sie will für mehr Barrierefreiheit und Inklusion kämpfen. Für ihren Auftritt gibt es jede Menge Applaus.
Weiter geht es mit einer Video-Runde. Ein Kamerateam hat Christina zuhause in Dinslaken besucht. Die 28-Jährige erzählt von ihrer Erkrankung, von dem Moment als ihre Füße erst kribbelten, dann taub wurden. Es sind Bilder zu sehen, wie sich die junge Frau zurück ins Leben kämpft. Während das Publikum in der Halle den Abend über eigentlich jede Minute nutzt, um zu jubeln, ist es in diesem Moment still. Die Kamera fängt Menschen im Saal ein, denen Tränen übers Gesicht laufen. Auch Christina, die auf der Bühne steht, ist sichtlich emotional. Ihre Geschichte berührt.
Dinslakenerin schafft es in die Top 5 von Miss Germany
Nach einem weiteren Auftritt von Kamrad, Interviews mit Familienangehörigen der Teilnehmerinnen und Influencern aus dem Publikum, rückt die erste Entscheidung des Abends näher: Aus der Top neun wird die Top fünf gekürt. Christina hat die Jury mit ihrem Auftritt überzeugt, sie ist weiter. Und sie wirkt sichtlich überrascht. „Ich konnte das gar nicht glauben, als mein Name fiel. Ich habe überhaupt nicht erwartet, dass ich es unter die besten Fünf schaffe“, erzählt Christina im Gespräch mit der NRZ.
Kurz vor der finalen Entscheidung müssen sich die Kandidatinnen den Fragen der Jury stellen – und die haben Christina ziemlich auf den Zahn gefühlt. Wieder gilt es innerhalb 90 Sekunden abzuliefern. „In welcher Situation fühlst du dich so richtig erfüllt?“, wollte Twenty4Tim wissen. Christina überlegt nicht lange. „Jetzt gerade fühle ich mich unfassbar erfüllt davon, dass ich nach so einem langen Kampf im Rollstuhl hier stehen kann und mich für eine große, aber doch kleine Anzahl an Menschen einsetzen darf und hoffentlich etwas bewegen kann in Deutschland.“ Applaus.
„Was würdest du in der Welt hinterlassen?“, ist eine weitere Frage. „Ich möchte in der Welt hinterlassen, dass jeder Mensch schön, selbstbewusst und vor allem stark ist. Denn jeder Mensch, egal wie er ist, ist wunderschön – auch mit seinen Macken. Dafür sollten wir uns alle lieben!“ Wieder Applaus. Ihre Botschaft wirkt ehrlich, von Herzen und keineswegs aufgesetzt.
Für den Sieg hat es am Ende dann aber ganz knapp nicht gereicht. Miss Germany 2024 wurde Apameh Schönauer aus Berlin. Die 39-Jährige setzt sich am späten Samstagabend gegen ihre Konkurrentinnen durch. Die Architektin mit Wurzeln im Iran will sich für junge Frauen mit Migrationshintergrund einsetzen.
„Natürlich hätte ich auch gerne gewonnen. Alles andere wäre gelogen“, erzählt Christina einen Tag nach dem Finale. Wie sie jetzt auf ihre Miss-Germany-Zeit blickt? „Es war eine krasse Erfahrung“, sagt sie. „Ich habe sehr viel über mich selbst gelernt und bin über mich hinausgewachsen. Weil ich mich so sehr mit dem Thema Inklusion befasst habe, sind mir noch viele weitere Barrieren in unserer Gesellschaft aufgefallen“, resümiert die Dinslakenerin.
Mit dem Ende des Wettbewerbs soll Christinas Mission daher nicht vorbei sein. Sie will vor allem auf Instagram weiter Aufklärungsarbeit leisten. „Ich habe schon viel auf die Beine gestellt und werde auch ohne den Miss-Germany-Titel noch viel erreichen, um die Inklusion nach vorne zu bringen.“ Der Alltag hat Christina Modrzejewski am Sonntag übrigens schnell wieder eingeholt: Die 28-Jährige bereitet ihren anstehenden Umzug vor.