Dortmund/Recklinghausen. Manche Menschen im Ruhrgebiet fühlen sich nicht wohl, wenn sie Bus oder Bahn nehmen. Aber wie gefährlich ist der ÖPNV tatsächlich?
Man muss nicht lange suchen, um in den Polizeiberichten Fälle wie diese zu finden. Dortmund: „Fahrgäste werden grundlos von zwei jungen Männern angepöbelt und geschlagen“. Duisburg: „In einem Linienbus raubt ein Unbekannter einem 13-Jährigen die Tasche.“ Auch in der Bahn kommt es immer wieder zu Zwischenfällen. Erst im Februar hat ein Mann in der RB 33 Reisende mit Reizgas besprüht.
Konkrete Zahlen gibt es bei der Polizei nicht
Dennoch ist es schwierig zu sagen, ob die Gewalt in Bus und Bahnen gestiegen ist, weil es weder landes- noch bundesweit belastbare Zahlen gibt. Denn bei Delikten wie Raub, Diebstahl oder sexueller Belästigung wird in der Regel statistisch nicht erfasst, wo genau sich die Taten abgespielt haben, heißt es bei den Pressestellen der Polizei im Ruhrgebiet. Offiziell könne man deshalb dazu nichts sagen, „gefühlt“ scheine die Zahl der Vorfälle, in denen Fahrgäste zum Opfer werden, eher rückläufig als steigend. „Seit Bus und Bahn flächendeckend per Video überwacht werden, sind die Täter in den meisten Fällen auch leicht identifizierbar“, sagt eine Sprecherin. „Das schreckt wahrscheinlich viele ab.“
Auch das von vielen ÖPNV-Betreibern schon vor Jahren ins Leben gerufene „Kompetenzzentrum Sicherheit NRW“ kann nur bedingt weiterhelfen. Zwar gibt es dort eine Sicherheitsdatenbank (Sidaba), in der alle sicherheitsrelevanten Vorfälle eingetragen werden. Doch machen dabei neben den privaten Bahnbetreibern in NRW, der DB Regio und der Bundespolizei und der Vestischen Straßenbahnen GmbH nur zwei kommunale Unternehmen mit. Zudem lassen sich die Passagier-Zahlen aus den Corona-Jahren nur schwer mit dem Fahrgast-Ansturm durch das 9-Euroticket 2022 vergleichen.
Dennoch hilft die Datenbank in manchen Bereichen weiter. Die Zahl sicherheitsrelevanter Vorfälle etwa ist im Vergleich zum Vorjahr um 3625 Meldungen gesunken – von 40.258 Meldungen im Jahr 2021 auf 36.633 ein Jahr später. Knapp 78 Prozent dieser Vorfälle waren sogenannte „Handlungen gegen Personen“. Weit mehr als die Hälfte dieser Handlungen aber waren „passive Belästigungen“, wie Miteisende, die Alkohol tranken oder „ohne Reiseabsicht“ auf dem Bahnsteig herumlungerten. „Schwerwiegende Ereignisse“ wie zum Beispiel Bedrohung, Körperverletzung, sexuelle Belästigung oder Raub machten nur 8,3 Prozent aus und waren rückläufig.
Jeder Vorfall hinterlässt Spuren in der Bevölkerung
Blickt man auf absolute Zahlen, zeigt sich noch deutlicher, wie gering das Risiko ist, im ÖPNV Opfer einer schweren Straftat zu werden. Bei den Vestischen Straßenbahnen zum Beispiel kam es 2023 zu 19 körperlichen Auseinandersetzungen unter Fahrgästen – bei rund 60 Millionen beförderten Kunden.
Dennoch hinterlässt jeder Vorfall offenbar Spuren in der Bevölkerung. Das zeigt sich unter anderem in der Studie Sicherheit und Kriminalität in Deutschland (SKiD), die im Auftrag des Bundeskriminalamtes und der Polizeien der Länder erstellt wurde und an der 46.813 Personen teilnahmen. Ein Teilbereich dieser Studie befasst sich mit der Situation im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV). Dabei schneiden Bus und Bahn nach Einbruch der Dunkelheit nicht gut ab. Während sich von den Befragten tagsüber immerhin noch 86,7 % bei Nutzung des Personennahverkehrs auch ohne Begleitung sicher fühlten, sind es nachts nur noch 46,3 Prozent. Bei den Männern liegt der Anteil bei 60 Prozent, bei den Frauen nur bei 33 Prozent. Der Anteil derer, die sich sehr unsicher fühlen, liegt nachts bei 16,1 %. Die Angst bleibt nicht ohne Folgen. Knapp 52 Prozent der befragten Frauen fahren nachts grundsätzlich nicht allein mit Bus und Bahn, bei den Männern sind es 23,3 Prozent.
Vestische Straßenbahnen setzen auf Präventionsteams
Auch im Sicherheitsbericht NRW spiegeln sich die Sorgen der Reisenden wider. Bei den Kunden nahezu allen Verkehrsunternehmen steht der Wunsch nach mehr Sicherheit an erster Stelle. Die Vestischen Straßenbahnen setzen deshalb schon seit einiger Zeit drei spezielle Präventionsteams ein. „Sie bestehen jeweils aus zwei externen Sicherheitskräften sowie einer oder einem Beschäftigten aus unserem Haus“, sagt Pressesprecher Jan Große-Geldermann.
Die Sicherheitsleute fahren in Bussen auf stark genutzten Linien mit, der Fahrer im Bulli hinterher. „Passiert irgendwo etwas, steigen die Sicherheitskräfte um und können in kurzer Zeit am Ort des Geschehens sein.“ Genaue Einsatzzahlen gibt es aktuell nicht. „Aber allein ihre Präsenz sorgt in unseren Bussen und an den Haltestellen für ein besseres Sicherheitsempfinden“, sagt Große-Geldermann. Frank Fligge, Sprecher der DSW21 in Dortmund, wo es ein ähnliches Konzept gibt, bestätigt das.
Dass Präventionsteams allein nicht reichen, um den Fahrgästen die Sorgen zu nehmen, wissen beide aber auch. Nicht nur, „weil man nie alles verhindern kann“. Oft reichen schon eine dunkle Haltestelle oder ein vermüllter Bahnhof, um den Gesamteindruck zu trüben, „selbst wenn während der Fahrt gar nichts passiert ist“.
Und selbst wenn die Gewalt bisher zum Glück nur selten eskaliert, sitzen manche Fahrgäste mit „einem mulmigen Gefühl in Bahn und Bus. „Der Ton ist allgemein rauer geworden“, hat Große-Geldermann aus vielen Gesprächen mit Busfahrern erfahren. Der Sprecher eines anderen kommunalen ÖPNV drückt es noch ein wenig drastischer aus. „Die Lunte der Leute“, sagt er, „wird immer kürzer.“