Köln. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt ermöglicht Forschung in der Schwerelosigkeit des erdnahen Orbits und Missionen ins Sonnensystem.
Die Reise von Idefix hat begonnen. Mitte Januar ist der kleine Weltraum-Rover von Frankreich aus in Richtung Japan gestartet. Es ist der harmloseste Teil seiner Mission. 2026 soll es von Japan aus ins All gehen, für 2028 ist die Landung des Rovers auf dem Mars-Mond Phobos geplant. Das kleine Technikwunder, 25 Kilogramm leicht und von der Größe einer Getränkekiste, wurde von acht Instituten des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) mitentwickelt. An der so genannten MMX-Mission (Martian Moons eXploration) unter Führung der japanischen Raumfahrtagentur Jaxa ist auch die französische Raumfahrtagentur Cnes beteiligt, die Franzosen haben gemeinsam mit den Deutschen Idefix entwickelt.
Auch wenn es bis zum eigentlichen Start noch zwei Jahre dauert – in Japan muss Idefix in das MMX-Mutterschiff integriert werden, und es fehlen noch Tests der Trägerrakete – starten nun auch die Vorbereitungen im DLR-Nutzerzentrum für Weltraumexperimente (Musc) in Köln. Dort wird ein Kontrollraum eingerichtet, von dem aus der Rover während der Mission in Zusammenarbeit mit den Kollegen in Toulouse gesteuert wird.
Verbindung ins All hat das Musc auf dem Gelände des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Köln-Porz aber schon jetzt. Vom großen Kontrollraum aus werden wissenschaftliche Experimente im europäischen Columbus-Modul der internationalen Raumstation ISS gesteuert. Immer präsent: Der Tagesplan der aktuellen ISS-Besatzung an der Multimediawand. Er gibt Auskunft, wer auf dem größten Außenposten der Menschheit im All wann schlafen, essen, Sport treiben oder Experimente durchführen muss.
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Forschungsarbeit in der Schwerelosigkeit
Das Musc, im Englischen Microgravity User Support Centre, ist das Herz der DLR-Zentrale in Köln. Es ist die Schnittstelle zwischen Erde und All. Die Verbindung zwischen der Planung und Auswertung wissenschaftlicher Experimente hier unten sowie deren praktischer Ausführung dort oben – sei es auf der ISS oder auf Planeten, Monden, Kometen oder Asteroiden. Die Himmelskörper tragen uraltes Wissen in sich, das der Mensch mehr und mehr zu ergründen versucht.
Es geht um Forschungsarbeiten in der Schwerelosigkeit des erdnahen Orbits sowie um Missionen in unser Sonnensystem. Beides erlebt aktuell weltweit einen Schub wie seit den Jahren rund um die erste (Juli 1969, Apollo 11) und bislang letzte (Dezember 1972, Apollo 17) bemannte Mondlandung nicht mehr. Deutschland ist als starker Partner im Nationen-Verbund der Europäischen Raumfahrtorganisation Esa diesmal mittendrin: mit den beiden auch medial sehr umtriebigen Astronauten Alexander Gerst und Matthias Maurer, mit weitreichender Forschung, mit Beteiligungen an Explorationen in unserem Sonnensystem.
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Kommandozentrale im Grünen
Das Hauptquartier des DLR liegt etwas unscheinbar im Süd-Osten von Köln, umgeben vom Grün der Wahner Heide in unmittelbarer Nähe zum Flughafen. Hier setzte Franz Josef Strauß 1959 auf dem Gelände der ehemaligen Dynamitfabrik Wahn den ersten Spatenstich, er war damals Bundesverteidigungsminister. 1953 hatten die Siegermächte die nach dem Zweiten Weltkrieg verhängte Sperre, Luftfahrtforschung zu betreiben, aufgehoben – und nun war das Interesse von Wissenschaft, Wirtschaft und Politik groß, im Nachkriegsdeutschland wieder eine moderne Forschungsanstalt für die Luftfahrt zu etablieren. Heute hat das DLR gut 10.000 Mitarbeiter an 30 Standorten, es wird in 54 Instituten und Einrichtungen geforscht, dafür stehen 189 Großforschungsanlagen zur Verfügung und vier Auslandsbüros in Washington, Paris, Brüssel und Tokio. Die Finanzierung erfolgt über Mittel des Bundes und der Länder, außerdem werden – etwa aus der Industrie – Drittmittel eingeworben und Erträge durch Dienstleistungen erzielt.
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In Köln beschäftigt das DLR rund 1850 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, man ist in den Forschungsbereichen Luftfahrt, Raumfahrt, Verkehr, Energie und Sicherheit tätig. Es gibt Großversuchsanlagen wie Windkanäle, Triebwerks- und Materialprüfstände und einen Hochflussdichte-Sonnenofen. Außerdem sitzen der DLR-Vorstand und die Verwaltung in Köln. Auf dem 55 Hektar großen Gelände ist auch das Astronautenzentrum Eac der Esa angesiedelt. Zudem ist die Luftwaffe am 2023 eingeweihten Kompetenzzentrum für Luft- und Raumfahrtmedizin beteiligt. Dort werden die Kräfte des DLR-Instituts für Luft- und Raumfahrtmedizin und des entsprechenden Zentrums der Luftwaffe gebündelt.
Jean-Pierre Paul de Vera leitet das Musc seit zweieinhalb Jahren. Den 50-Jährigen freut es, dass aktuell wieder so viel passiert in der Raumfahrt. „Wir Wissenschaftler würden ja gern ständig am Ball bleiben im Weltraum“, sagt er: „Aber die Aktivitäten werden getriggert von gesellschaftlichen Strömungen und politischen Entscheidungen.“ Länder wie Indien, China oder Japan setzen gerade mit eigenen Aktivitäten etablierte Weltraumnationen wie die USA und Russland gehörig unter Druck. Europa überzeugt, angeführt von Deutschland, Frankreich und Italien, mit wissenschaftlichem Knowhow und gut ausgebildeten Astronauten.
Leben im All finden
So ist ein neuer Wettlauf entstanden, bei dem die Teilnehmer auf zwei Ziele zu rennen: Leben im All finden und den Mars erobern. De Vera hält beides für möglich, und sein größter Traum ist es, beides noch zu erleben. Warum? „Das ist die typische Neugier des Menschen“, sagt der Astrobiologe: „Er möchte wissen, woher er kommt, wohin er geht, warum er überhaupt da ist. Das sind Fragen, die die Menschheit seit Anbeginn begleiten.“ Aber ist es gerechtfertigt, als Gesellschaft viel Geld für die Hoffnung auf Antworten auszugeben? De Vera antwortet mit einer Gegenfrage: „Ist es gerechtfertigt, Waffen zu kaufen und Menschen umzubringen?“
Als Astrobiologe sucht de Vera nach Leben im All. Mit kleinen grünen Männchen hat das aber rein gar nichts zu tun. Erstmal geht es noch um Grundlagenforschung, da kommt das Musc in Köln ins Spiel. Und dann wird vielleicht wahr, was in der Kultserie „Star Trek“ noch Science-Fiction pur war. Ein funktionsfähiger „Tricorder“, ein Gerät, das Stoffe in Sekundenschnelle mit Lasertechnologie analysieren kann. „Das ist der Traum, den die Star-Trek-Leute in ihrer Science-Fiktion-Welt vorweggenommen haben, aber er ist nicht ganz abwegig“, sagt de Vera. Schafft es der Mensch dann noch zum Mars, könnte er dort mit diesem „Tricorder“, der heute als „Multispektrometer“ bezeichnet würde, ganz einfach die Umgebung scannen und herausfinden, ob sich dort Überreste von Leben befinden.
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Bis es so weit ist, bedarf es aber noch einiger Zwischenschritte. So werden unter anderem im Musc in Köln Versuche auf der ISS vorbereitet, bei denen in naher Zukunft irdische Proben außen an der Raumstation angebracht werden sollen. Man will wissen, wie sie sich unter Weltraumbedingungen verändern. In anderen Versuchen geht es zum Beispiel um Nutzpflanzen im All. Wie können sie unter Weltraumbedingungen Nahrung produzieren? Das wäre wichtig für eine mögliche Mondbasis oder die Reise von dort zum Mars.
In Experimenten aus dem Bereich der Materialkunde wird etwa die Herstellung von Metalllegierungen oder Beton in der Schwerelosigkeit getestet. Die Astronauten auf der ISS führen die Experimente in der entsprechenden Apparatur im europäischen Columbus-Modul durch und sind dabei im ständigen Kontakt mit dem Bodenpersonal in Köln. Dort stehen identische Anlagen, an denen die Durchführbarkeit der Versuche getestet worden ist und an denen Lösungen erarbeitet werden können, wenn die Astronauten im All nicht weiterkommen.
Und was haben wir hier unten auf der Erde von diesen Experimenten? „Viel“, sagt de Vera. Denn aller für die Raumfahrt erdachte Fortschritt sei auch auf der Erde nutzbar. Man entwickele „Technologien für eine nachhaltige Zukunft“. Im Fall der Nahrungsmittelproduktion könne man etwa Rückschlüsse für die Landwirtschaft auf der Erde ziehen. Seien die Pflanzen erstmal widerstandsfähig genug, um im All Erträge zu liefern, könnten sie das auch in den extremeren Regionen der Erde. Oder dort, wo der Klimawandel die Bedingungen verschlechtert hat.
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Mondhalle Luna wird gebaut
Der zweite große Bereich des Musc neben der Betreuung wissenschaftlicher Experimente auf der ISS ist die Steuerung von Explorationen im Sonnensystem – wie bei der MMX-Mission (siehe Infokasten). Idefix wird auf Phobos landen und die Oberfläche erforschen. „Die Brocken rund um den Mars können Aufschluss geben, was in der Entstehungsphase unseres Sonnensystems passiert ist“, erklärt de Vera. Ziel der MMX-Mission ist es, zum ersten Mal Materialproben aus dem Mars-System zur Erde zu bringen.
Zukünftig wird das Musc auch mit für den Betrieb der Mondhalle Luna zuständig sein, die aktuell auf dem Kölner DLR-Gelände gebaut wird. Die von Esa und DLR gemeinsam betriebene Forschungshalle soll der Simulation und Vorbereitung von Mondmissionen dienen.
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