Essen. Um das Klima zu schützen, soll CO2 unterirdisch gespeichert werden. Für die Industrie ist es die letzte Hoffnung, für die Grünen ein Tabubruch.

Die Bundesregierung will die Speicherung von industriell verursachten Kohlendioxidemissionen im Meeresaboden auf hoher See erlauben. Das Kabinett hat die Änderung des Kohlendioxidspeicherungsgesetzes gebilligt. Der Gesetzentwurf von Wirtschafts- und Klimaschutzministers Robert Habeck (Grüne) sieht eine sogenannte Carbon-Management-Strategie vor, die Abscheidung, Transport und Verpressung von CO2 unter der Erde (CCS) ermöglichen soll.

Auf dem Weg in eine nachhaltige Zukunft ist es für manche Industriezweige so etwas wie die letzte Hoffnung. Ganz Europa setzt auf die Abscheidung und das Speichern von klimaschädlichem CO₂ (CCS), um bis Mitte des Jahrhunderts zum ersten klimaneutralen Kontinent zu werden. Die EU-Staaten sollen dann so viele klimaschädliche CO₂-Emissionen beseitigen, wie sie produzieren. Weil Klimaschutz über Jahrzehnte immer wieder verschoben wurde, wird nun klar: Für die energieintensiven Industriebranchen wie etwa Zement, Kalk, Glas oder Stahl, an denen das industrielle Herz von Nordrhein-Westfalen hängt, wird es ohne CCS eng.

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Ausgerechnet der Grünen-Politiker Robert Habeck, Wirtschafts- und Klimaschutzminister, bricht nun mit einem Tabu und öffnet sich der umstrittenen Technik: Habeck will die Voraussetzungen dafür schaffen, dass CO₂ in bestimmten Branchen abgeschieden und gespeichert wird. „Wir sind nicht mehr in einer Welt, in der wir Rosinen picken können, sondern in der wir nutzen müssen, was verfügbar ist“, sagte Habeck. Worum es bei CCS geht und was es für das Klima bringt.

Was bedeutet die Abkürzung CCS?

CCS steht für die englische Bezeichnung „Carbon Dioxide Capture and Storage“. Gemeint ist die Abscheidung und unterirdische Speicherung von klimaschädlichem CO₂ aus Industrieanlagen oder aus der Verbrennung von Öl, Gas oder Kohle. Mit energieintensiven Verfahren wird das Treibhausgas eingefangen, verflüssigt und dann etwa in den Meeresgrund gepresst und eingelagert. So soll verhindert werden, dass das CO₂ in die Atmosphäre gelangt und die Erderwärmung beschleunigt.

Warum wird jetzt über CCS diskutiert?

In einerAnalyse zur Klimaschutzpolitik kam die Bundesregierung im vergangenen Jahr zum Schluss, dass das Erreichen der Klimaziele bis 2030 und 2045 ohne zusätzliche Maßnahmen nicht mehr zu schaffen sei. Die Staatengemeinschaft hatte sich 2015 in Paris zum Ziel gesetzt, die Erderwärmung möglichst au 1,5 Grad zu begrenzen, um eine gefährliche Störung des Klimasystems zu verhindern. Der Weltklimarat IPCC stellte in seinem jüngsten Bericht fest, dass neben anderen Minderungsmaßnahmen auch CCS in Industriesektoren mit schwer vermeidbaren Emissionen eine notwendige Klimaschutztechnologie ist, um die 1,5-Grad-Grenze nicht zu überschreiten.

Was ist in Deutschland geplant?

Habeck hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, in dem das Speichern von CO₂ unter dem Meeresboden im deutschen Hoheitsgebiet erlaubt werden soll. Vorerst ist das nur auf hoher See in der sogenannten ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) vorgesehen. Das ist ein Teil der Nordsee, bis zu 200 Seemeilen von der Küstenlinie entfernt. Meeresschutzgebiete werden ausgenommen. Eine Speicherung an Land, zum Beispiel in ehemaligen Gas- und Erdöllagerstätten, soll vorerst ausgeschlossen bleiben. Habecks Eckpunkte decken sich mit den Positionen der EU-Kommission, die vor wenigen Wochen ihre Strategie vorgestellt hatte.

Wie ist die rechtliche Lage in Deutschland?

Die Abspaltung und die Speicherung von CO₂ ist in Deutschland, abgesehen von Versuchsanlagen, bislang verboten. Das ist im Kohlendioxid-Speicherungsgesetz aus dem Jahr 2012 festgeschrieben. Wirtschafts- und Klimaschutzminister Habeck will nun dieses Gesetz ändern, um die Abtrennung, den Transport über nationale Grenzen und die Speicherung von CO₂ tief im Meeresboden zu ermöglichen. Nur dann könnte auch ein Netz von Pipelines aufgebaut werden.

Erlaubt sein soll in Deutschland auch die Technik CCU (Carbon Capture and Usage). CCU bedeutet das Abscheiden von CO₂ aus Kraftwerken oder direkt aus der Luft sowie das Nutzen von CO₂ als Rohstoff für Industrieprozesse. Aus dem Kohlendioxid könnten so etwa Kunststoffe oder synthetische Kraftstoffe für die Luft- oder Schifffahrt hergestellt werden.

Die Herstellung von Stahl erzeugt große Mengen Kohlendioxid. Das Abscheiden  und Speichern von CO2 tief unter der Nordsee gilt auf Hoffnung der energieintensiven Industriezweige.
Die Herstellung von Stahl erzeugt große Mengen Kohlendioxid. Das Abscheiden und Speichern von CO2 tief unter der Nordsee gilt auf Hoffnung der energieintensiven Industriezweige. © Funke Foto Services | André Hirtz

Wie soll die Speicherung funktionieren?

Für die Speicherung im tiefen Meeresgrund wird das abgeschiedene Kohlendioxid verflüssigt und per Schiff oder Pipeline in das Meeresgebiet transportiert, erklärt die Deutsche Allianz Meeresforschung. Auf dem Meeresboden wird es durch Bohrungen in die porösen Sandsteinformationen der deutschen Nordsee gepresst. Mit der Zeit löse sich das CO₂ im Wasser auf und reagiere mit Mineralen. Darin soll das CO₂ auf Dauer fest gebunden sein, so die Experten. Bis dahin könnten jedoch einige Jahrtausende vergehen.

Wie viel CO₂ kann gespeichert werden?

CDRmare, eine Forschungsmission der Deutschen Allianz Meeresforschung, schätzt, dass im Untergrund der Nordsee auf deutschem Gebiet 3,6 bis 10,4 Milliarden Tonnen CO₂ eingelagert werden können. Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe hat eine Speicherkapazität in der deutschen Nordsee von zwei bis acht Milliarden Tonnen errechnet. Berechnungen zufolge wird Deutschland in der Zukunft Rest-Emissionen in Höhe von 60 bis 130 Millionen Tonnen CO₂ pro Jahr produzieren. Müssten diese Emissionen allein durch CCS vermieden werden, reichten die Lager rechnerisch für 30 bis 60 Jahre.

Wie erprobt ist die Technik?

Die Speicherung im tiefen Meeresgrund wird nach Angaben der Bundesanstalt für Geowissenschaften (BGR) seit zwei Jahrzehnten unter norwegischen Gewässern im industriellen Maßstab erfolgreich praktiziert. In den Niederlanden, Dänemark, Großbritannien sowie auch in Norwegen planen verschiedene Firmen weitere Projekte für die Nordsee. „Die Technik ist an vielen Stellen weiterentwickelt worden, und aus meiner Sicht ist sie reif und sicher“, sagte Bundeswirtschaftsminister Habeck. Laut dem Global CCS Institute sind aktuell weltweit 41 CCS-Anlagen mit einer Abscheidekapazität von 361 Millionen Tonnen CO₂ pro Jahr in Betrieb.

Wie hoch sind die Kosten für CCS?

Professor Klaus Wallmann, Leiter der Forschungsabteilung Marine Geosysteme am Geomar-Zentrum in Kiel, schätzt die Kosten für Abscheidung, Verflüssigung, Transport, Speicherung und Überwachung auf etwa 100 bis 200 Euro pro Tonne CO₂. Aktuell muss die Industrie für den Ausstoß einer Tonne CO₂ 45 Euro bezahlen.

Wann könnte CCS in Deutschland Realität werden?

Falls die Gesetzesnovelle ohne Verzögerungen in Kraft tritt, könnte CCS in Deutschland bis 2030 im industriellen Maßstab zum Einsatz kommen, so die Erwartungen des Bundeswirtschaftsministeriums. Das Ministerium gibt an, dass es von der Antragstellung über die Erkundung und Genehmigung etwa sieben bis zehn Jahre dauern könne, bis ein Speicher in Betrieb genommen und CO₂ gespeichert werden könne.

Was spricht gegen CCS?

Gegner der Technik äußern zahlreiche Bedenken. Die Risiken des Verfahrens für Mensch und Umwelt sind weitgehend bekannt. Umweltverbände befürchten, das CO₂ könne über undichte Stellen aus dem Speicher entweichen und Umwelt und Menschen gefährden. Durch Leckagen könnten Risiken für die Meeresumwelt entstehen. Die Allianz Meeresforschung befürchtet etwa Lärmbelästigung für Meeresorganismen im Zuge der Suche nach geeigneten Speicherstrukturen, beim Bau der Anlagen sowie bei der langfristigen Überwachung der CO₂-Speicher.

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Das Umweltbundesamt sieht vor allem den enormen zusätzlichen Energieaufwand und die hohen Kosten als Problem. Der Einsatz von CCS erhöhe den Verbrauch der begrenzt verfügbaren fossilen Rohstoffe um bis zu 40 Prozent, so die Behörde. Andere Kritiker sehen Unsicherheiten in der langfristigen Haftung für Umweltschäden bei den CCS-Lagern.

Was sagen Umweltverbände?

Umstritten ist generell, ob die Technik auch dort ermöglicht werden soll, wo sich CO₂-Emissionen grundsätzlich vermeiden lassen. Umweltverbände warnen, dass es dadurch mit dem Klimaschutz noch langsamer vorangehen könnte. Wenn CO₂ wieder eingefangen werden könne, werde man sich weniger um vorherige Vermeidung bemühen.  Mit dem Vorhaben würden die Energiewende „ausgehebelt“, sagte der Vorsitzende des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND),  Olaf Bandt. Unter Umweltverbänden geht die Meinung über CCS allerdings auseinander. Nabu und WWF hatten sich zuletzt grundsätzlich offen für die Nutzung unterirdischer CO2-Speicher gezeigt.

Greenpeace kritisiert, die Methode sei „viel zu teuer, aufwändig und bräuchte Jahrzehnte bis zur Umsetzung“. Außerdem sei sie nicht ausreichend erprobt: So sei etwa unklar, wie lange die geplanten CO2-Endlager „dicht halten“. Greenpeace-Experte Karsten Smid warf Habeck vor, seine Strategie trage die Handschrift der Industrie. Sie erlaube ein „Weiter so“ und bremse Maßnahmen zur Emissionsvermeidung. Smid befürchtet, dass nun eine gigantische Entsorgungsinfrastruktur entstehen werde: „Der grenzüberschreitende Handel mit CO₂-Müll fördert ein neues Geschäftsmodell: Je mehr CO₂ entsteht, umso mehr Geld lässt sich verdienen.“

mit dpa

Dies ist ein Artikel aus der Digitalen Sonntagszeitung. Die Digitale Sonntagszeitung ist für alle Zeitungsabonnenten kostenfrei. Hier können Sie sich freischalten lassen.Sie sind noch kein Abonnent? Hier geht es zu unseren Angeboten.