Altena/Bochum. Susanne Hüttemeister wusste immer, dass sie Astronomin wird. Wie sie zum Planetarium kam und was sie daran liebt. Und was sind die Großen Fragen?

Sternbilder zeichneten schon die Ägypter und Maya vor tausenden Jahren. Auch Dr. Susanne Hüttemeister (59) ist, seit sie denken kann, von den Weiten des Universums fasziniert – zeichnete ihre ersten Sonnenflecken-Diagramme im Kindesalter. Heute hängt in ihrem Büro ein großes Bild von M51, auch Whirlpool-Galaxie genannt.

Mit ihrem Finger fährt sie den Sternstrudel ab. „Hier sind gerade neue Sterne geboren, dort werden bald neue entstehen“, sagt die gebürtige Sauerländerin. Seit 2005 leitet sie das Planetarium Bochum, eines der meistbesuchten Sternentheater Europas. Dass sie Astronomin werden würde, wusste sie schon immer. Ein Gespräch über Mondillusionen, die Physik an der Börse und die „Großen Fragen“.

Am kommenden Wochenende ziehen – wie jedes Jahr Mitte August - unzählige Sternschnuppen über den Nachthimmel. Wissen Sie schon, wo sie das Spektakel beobachten werden?

Für den Höhepunkt der Perseiden in der Nacht vom 12. auf den 13. August werden meine Kollegen und ich voraussichtlich Richtung Süden aus der Stadt hinausfahren. Dort, wo keine nahen größeren Orte mehr im Süden liegen, in Witten etwa, lassen sich die Sterne schon deutlich besser beobachten als hier in Bochum.

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Ist dann in Ihrer Heimat im Sauerland auch mehr zu sehen als in Bochum?

Auf jeden Fall. Dort ist es einfach dunkler, da es weniger Stadtlichter gibt – solange Sie sich nicht direkt unter eine Straßenlaterne stellen. Im Sauerland lässt sich die Milchstraße an vielen Orten noch mit bloßem Auge sehen. Durch die Lichtglocke über dem Ruhrgebiet gibt es diese Möglichkeit ab Hagen kaum noch. In Bochum kann man unsere Galaxie, soweit ich weiß, nirgendwo mehr sehen. NRW-weit sind die Eifel, in der ein Teil des Nationalparks als Sternenpark ausgewiesen ist, oder das Münsterland Richtung Norden optimale Orte.

Sie kommen aus Altena. Wo haben Sie früher die Sterne beobachtet?

Es eignen sich relativ flache Gegenden. Wir wohnten im tiefen Tal, ganz unten. Ich musste also raus und habe meinen Vater mitgezerrt (lacht). Wir waren häufig auf dem Wixberg oder dem Großendrescheid. Mein Vater hat noch heute, mit 88 Jahren, Interesse am Himmel und schaut Astronomie-Dokus.

Und wie kamen Sie selbst zur Astronomie?

Für mich gab es kein Schlüsselerlebnis. Seit ich darüber nachdenken konnte, was ich mit meinem Leben machen will, war es Astronomie. Die Fragen, die die Astronomie stellt, müssen eigentlich jeden faszinieren und beschäftigen – es geht um die Entwicklung unserer Welt.

Wie fing es bei Ihnen denn an?

In der sauerländischen Heimat habe ich schon immer Sonnenflecken gezählt und Diagramme dazu angefertigt – es handelt sich um dunkle Gebiete auf der Sonnenoberfläche, die kühler sind und weniger Licht abstrahlen. Seit der Antike beobachtete man Sonnenflecken, das geht in seltenen Fällen auch mit dem bloßen Auge. Allerdings sollte man nie mit bloßem Auge in die Sonne schauen – es sei denn vielleicht bei einem roten Sonnenuntergang. In einem Zyklus von elf Jahren erreichen die Sonnenflecken ihr Maximum. Momentan gibt es zum Beispiel recht viele, wir bewegen uns auf das Maximum zu. Mit einem Teleskop gibt es natürlich noch viel mehr in unserem Himmel zu entdecken. Ich habe in Berlin das erste Mal durch ein größeres Teleskop geschaut. Bei einem Besuch der Wilhelm-Foerster-Sternwarte konnte ich die Venus am Taghimmel sehen. Da wollte ich gar nicht mehr weg, ich weiß noch alles, es war total toll.

Sie wissen noch alles?

Das Teleskop war schon auf die Venus eingestellt, zwei Meter lang etwa war es. Und da habe ich dann das Venusscheibchen gesehen, ohne Details auf dem hellen Hintergrund – es war ja Tag. Die Venus ist von einer Wolkendecke eingehüllt, die niemals aufbricht. Bei mir war es ein nicht ganz beleuchteter Kreis. Je näher der Planet an der Erde ist, desto sichelförmiger und größer sieht er aus. Jetzt ist die Venus vom Abendhimmel verschwunden, an dem sie im Westen steht. Zuletzt war sie sehr gut sichtbar, wir haben sogar viele E-Mails bekommen, mit der Frage, was denn da so Helles am Nachthimmel sei. Ende August taucht sie wieder als Morgenstern im Osten auf. Die Venus ist der hellste Planet, der einzige, der sich auch am Taghimmel beobachten lässt.

Wie häufig schauen Sie heute noch durchs Teleskop?

Zugegebenermaßen nicht sehr oft. Wenn es sich ergibt, natürlich gern. In Bochum soll demnächst auch wieder ein Observatorium entstehen, das öffentliche Beobachtungen anbietet. Die Kuppel steht schon.

Sie haben in Bochum eine neue Heimat gefunden. Wieso haben Sie sich für diesen Job entschieden?

Ich war gerade an der Uni als Hochschuldozentin, als mein Vorgänger in diesem Büro in Pension ging. Die Leitung des Planetariums war für mich perfekt: Die großen Zusammenhänge im Kosmos faszinieren mich. In der Forschung hat man oft nur ein recht enges Thema. Nach meiner Doktorarbeit habe ich mich zum Beispiel drei Jahre lang mit der Galaxie M51 beschäftigt und gehörte damals in diesem Bereich wahrscheinlich zu den besten Experten weltweit. Dabei kann man jedoch schnell den Blick auf das Ganze verlieren. Der Luxus des Planetariums ist, dass es diese großen Entwicklungslinien aufzeigen kann.

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Was genau meinen Sie damit, mit den großen Entwicklungslinien?

Für mich sind das die großen Fragen, die das Universum betreffen. Das Woher und Wohin?, die Entwicklung unseres Universums als Ganzes, sein Ende, sein Anfang. Vielleicht auch die Fragen nach außerirdischem Leben, Paralleluniversen und Dunkler Materie. Ich hoffe, dass ich auf manche dieser Fragen noch wissenschaftliche Antworten mitbekomme.

Trotzdem sind Sie nicht in der Forschung. Wieso haben Sie sich dazu entschieden, Astronomie an ein breiteres, nicht unbedingt fachlich interessiertes Publikum weiterzugeben, statt sich zu spezialisieren?

Erstens, um meine Faszination fürs Weltall weiterzugeben. Ich möchte die Leute teilhaben lassen, staunen lassen und die Hemmschwelle senken. Es gibt keinen Grund, Angst vor dem Universum und seinen Weiten zu haben. Wir sind alle Teil des Kosmos, der Teil, der sich seiner selbst bewusst geworden ist. Wir gehören dazu, sind verbunden. Das alles ist gar nicht so schwierig und weit weg, und wir finden Wege, es zu verstehen. Zweitens, ganz platt: Viele öffentliche Gelder fließen in die Forschung. Wir zeigen, warum das sinnvoll ist. Und drittens ist es ein gesellschaftlicher Aspekt, der mich motiviert.

Inwiefern?

Ich denke, dass wir für die heutigen Probleme wie die Energiewende technologische Lösungen brauchen, und die fordern technisches Verständnis. Dazu braucht es Nachwuchs in den MINT-Bereichen. Astronomie findet jeder irgendwie ein bisschen spannend und sie kann vielleicht Interesse am ganzen Komplex wecken. Und wer Astronomie studiert, bleibt typischerweise nicht unbedingt in diesem Gebiet, er muss es auch nicht. Ich sah mal ein Plakat, auf dem die Maxwell-Gleichungen der Elektrodynamik standen, daneben ,Verstehen Sie das?’ und ,Dann kommen Sie zur Deutschen Börse’. Physiker haben dank ihrer Skills – analytisches Denken, Problemlösetechniken – keine Probleme, einen Job zu finden. Dass es nicht unbedingt die Forschung wird, weiß jeder vorher.

Wege wie Ihren gibt es auch. Was machen Sie hier den ganzen Tag?

(lacht) Meist am Abend etwas anderes als am Morgen geplant. Ich moderiere in der Kuppel, entwickle Projekte mit, mache Videos und Podcasts für Social Media. In diesem Monat zum Beispiel über die Besonderheit, dass es zwei Vollmonde im August gibt.

Der Mond ist momentan ganz schön riesig, oder?

Dazu trägt die sogenannte Mondillusion bei. In diesem Monat ist es eine Mischung aus dieser optischen Täuschung und einem realem Effekt. Beim Aufgang am Horizont wirkt der Vollmond sehr viel größer, ein rein psychologischer Effekt, der bisher wissenschaftlich nicht ganz erklärt werden kann. Spätestens beim Fotografieren fällt aber auf: Der Mond ist gar nicht größer als sonst. In diesem Monat ist er allerdings tatsächlich sehr nah an der Erde, wodurch er noch größer wirkt.

Welches Gefühl haben Sie, wenn Sie in den Himmel schauen?

Wenn ich in den Sternenhimmel schaue, ist er für mich wunderschön, ästhetisch. Das geht auch nicht weg, weil ich mehr darüber weiß. Der Anblick verliert nie seine Wirkung, er ist nie entzaubert. Und alles weiß sowieso keiner. Es gibt viel Unbeantwortetes.