Astronaut Matthias Maurer im Interview über Toilettengänge in Schwerelosigkeit, Schlafen im All und die Zukunft der Raumfahrt.
Europa müsse aufpassen, im All nicht abgehängt zu werden, sagt der deutsche Astronaut Matthias Maurer im Gespräch mit unserer Autorin Susanne Rohlfing. Denn da ist aktuell mehr los denn je, die astronautische Raumfahrt boomt. Zudem erzählt der 53-Jährige vom nötigen Hüftschwung beim Toilettengang auf der Raumstation ISS und von seiner Hoffnung, dass der Mensch dazulernen möge und als Sternenreisender nachhaltiger agiert als auf der Erde.
Herr Maurer, so ernst, wie wir uns das hier auf der Erde vielleicht vorstellen, scheint es nicht zuzugehen da oben im Weltall, oder? So klingt es zumindest in Ihrem Buch über Ihre Zeit auf der ISS.
Wenn man ein halbes Jahr im All lebt und forscht, dann braucht man natürlich auch ein bisschen Freizeit und Ablenkung. Nur wenn die Teamdynamik passt, kann man da oben zu hundert Prozent effizient die Arbeit erledigen, für die man hochgeschickt wurde. Außerhalb der Kernarbeitszeit von 7.30 Uhr morgens bis 7.30 abends haben wir deshalb auch noch ein bisschen Privatleben.
Privatleben im All? Was macht man da?
Acht Stunden sind vorgesehen zum Schlafen.
Bleiben vier Stunden.
Ja, viel bleibt nicht. In der Zeit muss man dann Emails von der Erde beantworten. Ich habe auch viele Fotos und Erklärvideos gemacht, weil ich meine Erfahrungen teilen möchte. Gemeinsame Freizeit mit der Crew ist ebenfalls wichtig. Wir haben Freitagabends immer beisammen gegessen und geredet, wie das so ist, wenn man sich mit Freunden trifft. Samstagabends haben wir meistens einen Film geschaut.
Hatten Sie da oben Amazon oder Netflix?
Alles funktioniert da oben. Ich konnte Musik und Podcasts hören und Nachrichten gucken. Aber in dem Fall ruft man einfach bei der Nasa an, dann schicken die den gewünschten Film hoch.
In Ihrem Buch erläutern Sie auch die Tücken des Toilettengangs in der Schwerelosigkeit, feste Ausscheidungen müssten „abgekoppelt“ werden, entweder unter Zuhilfenahme von Einweghandschuhen oder mit einem besonderen Hüftschwung. Sie lösen aber nicht auf, welche Art der Abkoppelung Ihre favorisierte wurde.
Ich bin Hüftschwinger. Natürlich.
Schlafen ist auch besonders auf der ISS. Es gibt offenbar überall in den Modulen verteilt unterschiedlich bequeme Schlafplätze. Sie hatten die Chance, verschiedene zu testen.
Die Schlafgelegenheiten in einem Modul sind gleich, aber von Modul zu Modul unterscheiden sie sich schon sehr. Normalerweise, wenn vier Amerikaner oder Europäer auf der Raumstation sind, gibt es vier Kabinen in Knoten 2. Diese sind alle gleich. Aber in meinem Fall waren vier Amerikaner und ich als Europäer dort. Es fehlte also eine Kabine. Deswegen hatte mein Vorgänger mir eine neue im Columbus-Modul eingerichtet.
Das ist das Modul der Europäischen Weltraumagentur Esa.
Genau. Auf der russischen Seite in einem der ganz alten Module gibt es zwei Kabinen. Die haben Fenster, das ist der Vorteil. Dafür sind sie ein bisschen staubiger, und der Ventilator rattert sehr laut. Da habe ich am schlechtesten gepennt. Zusätzlich befindet sich in dem neuesten russischen Modul eine sehr moderne, aufwendig gestaltete Kabine. Da konnte ich gut schlafen.
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Sie schreiben davon in Ihrem Buch. Die hat auch ein Fenster.
Aber das ist ein Paradebeispiel dafür, wie man eine Anforderung schlecht formuliert. Die Kosmonauten hatten sich ein Fenster gewünscht. Wir denken dabei an ein Fenster nach draußen, damit man die Erde sieht. Die Ingenieure haben aber ein Fenster in die Tür gebaut, zum Gang hin, nach innen. Das ist auf der ISS ein Running Gag. Man kommt an dieser Tür vorbei und kann reinschauen, wie jemand dort schläft. Aber der Sinn und Zweck, dass man die Erde sieht, ist nicht erfüllt.
Sie sind sozusagen auf dem zweiten Bildungsweg Raumfahrer geworden: Erst als einer der letzten zehn Kandidaten einer harten Auswahlprozedur aussortiert, dann doch noch als Ersatz nachgerückt und zur ISS geflogen. Jetzt gelten sie als Anwärter für die erste Mondlandung eines Deutschen. Wie wahrscheinlich ist das?
Momentan sind wir sechs europäische Astronauten, die die Möglichkeit haben, auf dem Mond zu landen. Ein Franzose, zwei Italiener, ein Däne, Alexander Gerst und ich aus Deutschland. Wir haben alle die gleiche Ausbildung und die Erfahrung, auf der ISS gewesen zu sein. Ich habe den kleinen Vorteil, dass ich der Mondspezialist bin. Ich bin für die Mond-Trainingsanlage zuständig, die in Köln gebaut wird. Diese muss kompatibel zum Nasa-Training sein. Mir ist es aber nicht wichtig, der allererste Europäer auf dem Mond zu sein, sondern die Reise zum Mond überhaupt zu schaffen. Das ist mein großer Traum.
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Der erste europäische Astronaut soll 2030 auf den Mond. Dann wären Sie 60 Jahre alt. Gibt es ein Höchstalter für die Reise zum Mond?
Entscheidend ist, dass man körperlich gesund und fit ist. Ein Thema ist auf jeden Fall die Strahlenbelastung: Zweimal sechs Monate auf der ISS entsprechen ungefähr dem, was man auf der Erde maximal an Strahlenbelastung erhalten dürfte, wenn man im Bereich Kernkraft oder ähnlichem arbeitet. Als Astronaut darf man etwas länger fliegen. Dennoch ist die Strahlung auf dem Mond noch sechsmal stärker als auf der ISS. Ein Monat Mond ist ungefähr so viel wie ein halbes Jahr ISS. Aber je älter man ist, desto weniger Strahlenschäden nimmt man mit. Im jungen Alter mutieren die Zellen viel schneller, da ist das Krebsrisiko höher. In diesem Fall ist das Alter also ein Vorteil.
Die Nasa, die Esa, kommerzielle Privatfirmen wie SpaceX von Elon Musk, andere Länder wie Indien, China oder Russland – es ist viel los im All. Hat ein neuer Wettlauf um die Erschließung des Mondes begonnen?
Es gibt zwei Wettläufe: Das eine ist der zum Mond. China hat Ambitionen, 2029 möchte es dort mit eigenen Taikonauten landen. Die Nasa sagt, sie lasse sich von China nicht überholen. Die Chinesen sprechen nicht von einem Wettlauf. Der Mond ist die neue erste Liga. Indien möchte ebenfalls zeigen, dass es in der Lage ist, dort mitzuspielen. Der Weltraum dagegen ist derzeit das, was das Internet vor 20 Jahren war: ein neuer Markt. Der erdnahe Orbit…
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Der Mensch hat schon auf der Erde Zerstörung angerichtet. Jetzt drängt er mehr denn je in den Weltraum. Ist das überhaupt eine gute Idee, kann er dort sorgsamer agieren?
Wir Menschen handeln nicht immer klug, aber wir sind lernfähig. Inzwischen wissen wir, dass wir keinen Müll in die Meere werfen sollten, weil er in der Nahrungskette wiederzufinden sein wird. Im Weltraum machen wir aber den gleichen Fehler und hinterlassen dort unseren Schrott. Wir werden wohl schmerzlich lernen müssen, dass auch der erdnahe Orbit nicht unendlich ist. Nicht nur Astronauten, sondern auch all die für unser modernes Leben wichtigen Satelliten brauchen Zugang zum All. Deshalb müssen wir den Weltraum als schützenswerte Umgebung betrachten. Irgendwann sind wir auf dem Mond, dann auf dem Mars. Ich hoffe sehr, dass wir nicht immer wieder diese gleiche Fehlerkette durchlaufen.
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