Essen. Trotz Erfolgen beim Schuldenabbau rutschen viele Ruhrgebietsstädte wieder ins Defizit. Essener OB warnt: Finanzmisere bedroht Demokratie.

Überdurchschnittlich hohe Sozialausgaben, steigende Zinsen und immer weniger Geld für dringend notwendige Investitionen: Trotz einiger Erfolge beim Schuldenabbau kommen die Städte im Ruhrgebiet nicht aus ihrer finanziellen Schieflage. „Wenn nicht in diesem Jahr endlich eine tragfähige Lösung der Altschuldenproblematik gefunden und bei der strukturellen Unterfinanzierung gegengesteuert wird, droht eine neue Krise der Kommunalfinanzen“, warnen die Verfasser des aktuellen Kommunalfinanzberichtes des Regionalverbandes Ruhr (RVR).

Die am Montag in Essen vorgestellte Finanzanalyse für die Jahre 2022/2023 zieht für die Revierkommunen eine gemischte Bilanz. Einerseits seien die Steuereinnahmen zuletzt unerwartet hoch ausgefallen: Nach vielen mageren Jahren schlossen alle Ruhrgebietsstädte das Jahr 2022 demnach mit einem Überschuss von insgesamt knapp 700 Millionen Euro ab.

Andererseits rutschen viele Städte im Revier aktuell wieder ins Defizit, betonte Studienautor Prof. Martin Junkernheinrich. Die Investitionstätigkeit der Städte liege dabei weiter deutlich unter dem bundesweiten Durchschnitt, so der Finanzexperte, der an der TU Kaiserslautern lehrt. Der reine Haushaltsausgleich tauge nicht mehr als Gradmesser für die kommunale Lage.

Soziallasten engen finanzielle Spielräume ein

Das besondere Problem im Ruhrgebiet ist dabei kein neues: Wie in keiner anderen Region in Deutschland engen die hohen Soziallasten die Spielräume der Kommunen für Investitionen in die städtische Infrastruktur ein - und das seit vielen Jahren. Nach Berechnungen der Finanzexperten gaben die Revierstädte 2022 umgerechnet 881 Euro pro Einwohner für soziale Leistungen aus, 271 Euro für Investitionen etwa in Baumaßnahmen. Im bundesweiten Durchschnitt der Flächenländer müssen die Kommunen dagegen nur knapp 600 Euro für Soziales bereithalten, 424 Euro pro Einwohner stehen für Investitionen zur Verfügung.

Prof Dr. Martin Junkernheinrich erstellt mit einem Autorenteam den Kommunalfinanzbericht der Metropole Ruhr. Aus seiner Sicht droht dem Ruhrgebiet eine neue Finanzkrise.
Prof Dr. Martin Junkernheinrich erstellt mit einem Autorenteam den Kommunalfinanzbericht der Metropole Ruhr. Aus seiner Sicht droht dem Ruhrgebiet eine neue Finanzkrise. © FUNKE Foto Services | Kai Kitschenberg

Für Junkernheinrich liegt in diesem Missverhältnis der Kern der Ruhrgebietsmisere: „Wenn in einem Zeitraum von 10, 15 Jahren dauerhaft 20 bis 30 Prozent weniger investiert wurde als in anderen Regionen des Landes, ist das sehr problematisch“, sagte er mit Blick auf die marode Infrastruktur und das teils unattraktive Städtebild im Ruhrgebiet.

Abhilfe schaffen könnten nur mehr Geld vom Land und der Aufbau eines staatlichen Infrastrukturfonds des Bundes, zu dem die Kommunen Zugang erhalten müssten. Kommunale Aufgaben wie der Neu- und Ausbau von Schulen, die Modernisierung im Verkehr, die Digitalisierung und Wärmewende seien von den finanzschwachen Städten ansonsten nicht zu schultern.

„Leere Kassen machen Kommunalpolitik für Bürger unattraktiv“

Der Essener Oberbürgermeister Thomas Kufen warnte angesichts der kommunalen Finanzmisere vor abnehmendem Interesse der Bürger an der in der Regel ehrenamtlichen Kommunalpolitik. „Wenn man sieht, dass Gestaltungsmöglichkeiten fehlen, weil die Kassen leer sind, wird Kommunalpolitik unattraktiv“, sagte der CDU-Politiker, der auch stellvertretender Sprecher des RVR-Kommunalrates und Vorsitzender des Städtetages NRW ist. Mit der Unterfinanzierung der Gemeinden drohe daher auch ein Stück Demokratie verloren zu gehen.

Kufen nannte als Beispiel den geschlossenen Rücktritt des Bürgermeisters und des gesamten Gemeinderats von Freisbach im vergangenen August. Der Aufsehen erregende Schritt sei ein Hilferuf gegen die chronische Unterfinanzierung der Gemeinden gewesen. Die rheinland-pfälzische Kleinstadt habe keinen ausgeglichenen Haushalt vorlegen können.