Essen. Manche Eltern werden‘s lieben, andere hassen: „Schulstraßen“ sollen eingerichtet werden. Das hat Folgen. Was der Verkehrsminister sagt.

An ihrem einen Ende war diese schmale Wohnstraße in Essen schon immer gesperrt, jetzt ist sie es auch am anderen. Zwei Männer in gelben Warnwesten stehen in der Einmündung, zwei Pylone, zwei Schilder: „Einfahrt verboten. Bewohner frei.“ Das hat sich so gut eingespielt seit dem frühen Herbst, da kann man schon mal eine Ausnahme machen für den Umzugskleinlaster, der gerade einbiegen will. Er kommt aus Berlin und ist insofern entschuldigt. Und die meisten Kinder sind ja auch schon weg.

An dieser Bardelebenstraße liegen zwei Schulen, und folgerichtig wird sie von Eltern erlaubterweise gesperrt, wenn die meisten Jungen und Mädchen kommen und gehen: in der Umgebung von 8 Uhr sowie zweimal mittags. Es soll den Schulweg für die Kinder sicherer machen. „Wir sind mit dem bisherigen Erfolg sehr zufrieden“, sagt Julia Schnetger, Mutter und Teil des Projektteams. Die Verkehrssituation habe sich stark beruhigt.

Einführung von „Schulstraßen“ in der Straßenverkehrsordnung

Mit ihrem Einsatz gehören die Essener Eltern zu einer Bewegung, die sich gerade bundesweit herausbildet. Ältere, offizielle Pilotprojekte in Berlin und in Köln funktionieren ähnlich wie die Initiative in Essen. Ihr Ziel: Die Einführung sogenannter „Schulstraßen“ in der Straßenverkehrsordnung. Schulstraßen könnten dann offiziell und rechtssicher für kürzere Zeiträume gesperrt werden, zu Schulbeginn und -schluss. „Kinder haben das Recht, den Schulweg eigenständig und sicher zu bestreiten. Kinder sollen mündige Bürger werden“, sagt Claudia Neumann, Leiterin der „Kinder- und Jugendbeteiligung“ beim Kinderhilfswerk.

Man kann den Elterntaxis den Garaus machen

Außerdem könne man so den Elterntaxis den Garaus machen, mit denen manche Mütter und Väter ihre Kinder am liebsten in die Klasse fahren würden. Und damit vor allem vor Grundschulen jenes Verkehrschaos erst auslösen, das sie befürchten. Die bisherigen Versuche reichten nicht aus, das einzuschränken. „In sieben Jahren habe ich unzählige Ermahnungen verteilt und Diskussionen geführt“, sagt der Essener Bezirksbeamte Frank Aehnke. Elternabende, Elternhaltestellen, Laufbusse, Knöllchen: Immer mal wieder hatten Schulen und Polizei damit Erfolg, in der Masse aber nicht. Zumal auch jedes Jahr ein Viertel der Elternschaft neu ist und das Problem zunächst gar nicht kennt. „Schulstraße ist das letzte Mittel“, sagt die Kinderrechtsexpertin Claudia Neumann.

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Verkehrsministerium macht sich jetzt für Schulstraßen stark

Aber die deutsche Straßenverkehrsordnung ist ein Brocken. Danach können „Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs nur angeordnet werden, wenn . . . eine Gefahrenlage besteht“ - die natürlich so konkret vor Schulen nicht besteht. „Man kann von einer Straße nicht einfach so bestimmte Verkehrsarten ausschließen, auch wenn es nur dreimal am Tag ist“, sagt Christiane Brinkmann von Essens „Amt für Straßen und Verkehr.“ Doch es kommt Bewegung in die Sache: Das nordrhein-westfälische Verkehrsministerium macht sich jetzt für Schulstraßen stark. Der entsprechende Erlass, über den die WAZ vor zwei Monaten bereits berichtet hatte, liegt nun vor.

Handlungsanweisung zur rechtssicheren Einrichtung von Schulstraßen

Das Ministerium setze sich „sehr für die Sicherheit von schutzbedürftigen Menschen und insbesondere von Schulkindern im Straßenverkehr ein“, so eine Sprecherin: „Es befürwortet deshalb Schulstraßen.“ Dann geht sie über die folgenfreie „Befürwortung“ hinaus: „Oftmals besteht in den Kommunen noch Unsicherheit, ob solche temporären Sperrungen im Nahbereich von Schulen rechtssicher angeordnet werden können.“ Nun können sie das, auf eigene Initiative hin oder auf Antrag von Eltern. Eine besondere Gefahrenlage muss nicht nachgewiesen werden, gedacht ist an zunächst einjährige Versuche an Stadtstraßen.

Ein Elterntaxi hält am Parkstreifen vor einer Schulstraße in Duisburg-Walsum. Immer wieder kommt es zu unübersichtlichen Situationen auf dem Straßenstück. Foto: Martin Möller /Funke Foto Services
Ein Elterntaxi hält am Parkstreifen vor einer Schulstraße in Duisburg-Walsum. Immer wieder kommt es zu unübersichtlichen Situationen auf dem Straßenstück. Foto: Martin Möller /Funke Foto Services © Duisburg | Martin Möller

Ohne Kontrollen geht es nicht

Es ist ein Anfang, Claudia Neumann träumt bereits darüber hinaus: „Pariser Verhältnisse wären toll irgendwann.“ Denn in Paris werden Schulstraßen anders verstanden: Die Stadt begrünt Straßen vor Schulen systematisch und verwandelt sie teilweise in Fußgängerzonen. Dort gibt es nach eigener Darstellung bereits 200 solcher „rues aux écoles“, 300 sollen es bis 2026 werden.

Das komplette Aussperren von Autos löst auch ein Problem, dass die Initiativen in Deutschland noch haben: „Der Arbeitsaufwand ist enorm. Ohne Kontrollen geht es nicht“, so Julia Schnetger aus der Bardelebenstraße. Dort sind es die Mütter und Väter in gelben Westen, die sich einsetzen, freiwillig da stehen, und natürlich machen nie alle mit, sondern immer dieselben. Die zeitliche Belastung ist hoch. Aber nun steht ja im Erlass des Verkehrsministeriums, wie man das lösen kann: mit Pollern und Schranken.