Essen. Zu viele Anmeldungen von Viertklässlern, zu kleine Schulen: Viele Familien erhielten zuletzt Ablehnungen. Was das im Einzelfall bedeuten kann.

Was passiert, wenn Du dein Viertklässler-Kind an einer weiterführenden Schule anmeldest, es dort aber nicht genommen wird?

Nach den Anmeldungen an den Essener Gymnasien, Gesamt- und Realschulen haben mehrere Hundert Familien im Februar Ablehnungsbescheide bekommen, weil die Zahl der Anmeldungen vielerorts die Zahl der freien Plätze übertraf. Allein das Maria-Wächtler-Gymnasium musste rund 50 Kinder ablehnen. Schulen, die mehr Anmeldungen als freie Plätze haben, müssen unter allen Kandidaten losen.

Die Stadt weist den abgewiesenen Familien dann andere Schulen zu, in denen es noch freie Plätze gibt. Das ist rechtlich in Ordnung. Doch zwei aktuelle Fälle beweisen eindrucksvoll, wie sehr die betroffenen Familien leiden.

Fall 1: Mutter befürchtet: „Ich werde nicht mehr arbeiten gehen können“

Nadja Müller aus Bergerhausen hatte ihren Sohn Matteo (9) an der Albert-Einstein-Realschule in Rellinghausen angemeldet. „Wir hatten uns natürlich auch weitere Schulen im Umkreis unseres Wohnortes angeschaut, mit denen wir sehr zufrieden waren, was unsere Entscheidung auch schwerfallen ließ“, schreibt die dreifache Mutter in einem Brief an den Oberbürgermeister. „Unglücklicherweise kann man sich ja nur für eine entscheiden. Jetzt haben wir eine Schule zugewiesen bekommen, und zwar die Realschule in Kettwig.“

Täglich Bergerhausen bis Kettwig per Bus und zurück. Macht etwa zwei mal 80 Minuten Schulweg. Rechtlich sind 90 Minuten pro Weg zumutbar. Ihr Sohn müsste morgens so früh aus dem Haus, vor halb sieben, sodass Nadja Müller ihr Kind morgens nicht versorgen kann, denn die Hebamme arbeitet regelmäßig im Nachtdienst – sie käme erst dann von der Arbeit, wenn ihr Sohn schon weg ist. Und zwei kleinere Kinder gibt es auch noch in der Familie, die morgens in die Grundschule gehen. Nadja Müllers bitteres Fazit: „Ich weiß nicht, wie ich im Sommer weiter arbeiten soll.“ Ganz abgesehen von den Verwerfungen, die sich für einen Zehnjährigen ergeben, der plötzlich eine Schule besuchen soll, die 15 Kilometer vom Wohnort entfernt liegt – was ist mit alten und neuen Freunden, mit Treffs am Nachmittag, was ist mit dem, was man Gruppendynamik nennt in einer fünften Klasse, die sich erst noch finden muss?

Die Mutter kritisiert, dass es offenbar nicht möglich sei, Schulkindern einen solchen Platz zur Verfügung zu stellen, der möglich macht, dass Kinder selbstständig zur Schule kommen und nachmittags Zeit haben für Freunde in der Nähe. Sie berichtet von Tränen und Unverständnis. „Wir hatten schon ein neues Fahrrad zum Geburtstag gekauft, damit unser Sohn sicher zur Schule kommt.“

Fall 2: Familie muss zwei Tiefschläge verkraften

Die Medizinerin Julia Meier (Name geändert), Mutter dreier Kinder, wohnt im Südviertel und beschreibt ihren großen Sohn als „verträumt“. Entsprechend sorgsam waren die Eltern bei der Wahl der weiterführenden Schule – und entschieden sich für die Gesamtschule Holsterhausen. „Hier hatten wir dann ein sehr nettes Anmeldegespräch, in dem unser Sohn freundlich aufgenommen wurde und ihm schon suggeriert wurde, wie schön es doch wäre, wenn es klappt“, berichtet die Mutter. „Leider erhielten wir hier eine Ablehnung. Das war ein harter Schlag, zumal unser Sohn selbst auch sehr traurig war.“

Der zweite Versuch erfolgte an der Albert-Einstein-Realschule in Rellinghausen. „Auch hier erfolgte ein sehr nettes und persönliches Aufnahmegespräch, auch hier wieder viel Ermunterung in Richtung des Kindes und mir“, erzählt Julia Meier.

Aber: „Jetzt haben wir auch hier den Ablehnungsbescheid erhalten mit dem Hinweis, sich in Kettwig vorzustellen. Wir sind als Familie und Eltern hier eindeutig sehr getroffen.“

Bittere Erkenntnisse zweier Mütter

Julia Meier und Nadja Müller stellen sich die gleichen Fragen: Wie kann es sein, dass es einem Kind unmöglich gemacht wird, eine Schule zu besuchen, die es einigermaßen ermöglicht, ein Leben mit erreichbaren Freunden zu führen? „Ist dies in der heutigen Zeit gewollt, sein Kind ständig überall mit dem Auto hinzufahren, wo doch das Ziel sein sollte, die Kinder möglichst selbstständig zu erziehen?“, fragt Julia Meier. Nadja Müller fragt, wie ein solches Signal gegenüber Kindern und Familien damit vereinbar sei, dass alle sich bemühen sollen, etwas gegen den Klimawandel zu tun.

Beide Mütter berichten außerdem: „Es war immer schon schwierig, Betreuungsplätze in der Kita zu bekommen, Betreuungsplätze in der Grundschule mussten wir uns erkämpfen.“ Julia Meier bitter: „Dass jeder Schritt im Leben unserer Kinder mit einem solchen Kampf begleitet sein würde, hätte ich mir nicht ausmalen können. Wie soll ich an dieser Stelle meinen Frauen und Patientinnen noch guten Gewissens raten können, Kinder zu bekommen?“, fragt die praktizierende Frauenärztin.

Die Stadt Essen hatte den Müttern geantwortet – mit einer einigermaßen formalistischen Antwort, die allen rechtlichen Anforderungen entspricht, nach dem Motto: Ihrem Kind ist ein Platz an der gewünschten Schulform angeboten worden – mehr kann man leider nicht tun. Ähnlich lautet die Antwort der Verwaltung gegenüber unserer Redaktion: „Eltern können erwarten, dass ein Schulplatz der gewünschten Schulform vorhanden ist“, betont Stadt-Sprecher Burkhard Leise, „jedoch nicht ,einfordern’, einen Platz an ihrer Wunschschule zu bekommen.“