Ruhrgebiet. Über 60.000 Mädchen und Jungen treten im Ruhrgebiet nun den ersten Schulweg an. Was Eltern jetzt beherzigen sollten - und was sie besser lassen.

Man kann wohl unterstellen, dass Jutta Rengelink in diesen Tagen auf dem neuen Schulweg alles richtig macht. Sie ist ihn abgegangen mit ihrem Sohn, „wir haben ihn geübt, in einzelnen Abschnitten“. Denn je nach Länge des Weges könne „ein Kind das an einem Stück nicht aufnehmen“, sagt Rengelink. Polizeihauptkommissarin und stellvertretende Leiterin der Verkehrsunfallvermeidung in Dortmund. Wer, wenn nicht sie?

>>> Lesen Sie hier:Mehr Sicherheit auf dem Schulweg durch „üben, üben, üben“

Jutta Rengelink gehört zu mehreren Experten und Expertinnen, die wir befragt haben: Wie bereiten Eltern ihr Kind richtig auf den Schulweg vor? Das Schöne ist, dass ihre Antworten weitestgehend übereinstimmen. Das gilt auch für die Fragen, was die Mütter und Väter besser lassen sollten. „Elterntaxi“ ist dann das viel genannte Stichwort. Doch dazu später mehr.

Es ist nicht zu spät, den Schulweg zu üben

Gefährlich: Wenn kleine Kinder zwischen geparkten Autos stehen, können sie weder etwas sehen noch gesehen werden.
Gefährlich: Wenn kleine Kinder zwischen geparkten Autos stehen, können sie weder etwas sehen noch gesehen werden. © FUNKE Foto Services | FABIAN STRAUCH

Die Tipps sind schnell zusammengefasst: Man solle den Schulweg mehrfach mit dem Kind abgehen, je nach Länge und Schwierigkeit „vier- bis zehn Mal“, heißt es bei Christina Görtz von der Landesverkehrswacht NRW. Und ja, das geht auch jetzt noch: An den ersten Schultagen geht in der Regel eh jemand mit, viele Familien sind auch gerade erst aus dem Urlaub zurück - und vielleicht legt sich plötzlich eine Baustelle quer, die zu Beginn der Sommerferien noch nicht da war?

„Der kürzeste Schulweg ist nicht unbedingt der sicherste“, sagt Jutta Rengelink, die Polizistin: Der sichere sei aber der bessere. Man solle auch einen Schulweg festlegen und nicht abweichen. Mit wachsender Erfahrung und Sicherheit könne man dann variieren.

Noch nicht sehr verbreitet: Schulwegpläne weisen den sicheren Weg

Hilfreich ist das relativ neue und noch nicht überall vorhandene Hilfsmittel eines Schulwegplans. Den erstellen mehr und mehr Grundschulen und verteilen sie (gegebenenfalls auf Nachfrage) unter Eltern. Darauf sind Schulwege aus jeder Richtung vorgeschlagen, sie zeigen Gefahrenquellen ebenso auf wie Stellen, wo man die Straße sicherer überqueren kann. Immer noch neu ist auch der digitale Schulwegtrainer der Landesverkehrswacht (schulwegtrainer.de).

„Kann mein Kind den Weg?“ Man kann das prüfen, indem man die Rollen tauscht und sich unterwegs eine Verkehrssituation vom Kind erklären lässt. Sehr hilfreich ist auch, wenn Mütter und Väter einmal die Perspektive des Kindes annehmen. „Gehen Sie unterwegs mal auf die Knie“, rät Peter Bandermann, der Sprecher der Dortmunder Polizei: „Es ist sehr anstrengend, viel zu hören, aber nichts zu sehen und zu versuchen, sichtbar zu werden.“

„Laufen Sie nicht telefonierend durch den Verkehr“

Christiane Mika, die Vorsitzende des Grundschulverbandes NRW, empfiehlt Eltern für das Üben des Schulwegs: „Seien Sie gemeinsam aufmerksam.“
Christiane Mika, die Vorsitzende des Grundschulverbandes NRW, empfiehlt Eltern für das Üben des Schulwegs: „Seien Sie gemeinsam aufmerksam.“ © FUNKE Foto Services | Kai Kitschenberg

Der Rest sind Verkehrsregeln? Auch, aber nicht nur. Der neue Elternbrief „Sicher zur Schule und zurück“ der Polizei spricht auch das Verhalten der Eltern beim Üben des Weges an, Stichwörter fallen wie „Geduld“, „Vorbild“, „positive Atmosphäre“ und natürlich „Eisdiele“. Eisdiele? „Anreize schaffen: Der Schulweg darf am Ende gern in einer Eisdiele enden.“

Die Vorbild-Rolle der Eltern betont auch Christiane Mika, Schulleiterin und Vorsitzende des „Grundschulverbandes NRW“. „Laufen Sie nicht telefonierend durch den Verkehr, seien Sie gemeinsam aufmerksam“, sagt sie: „Beziehen Sie das Kind mit ein.“ Am Ende dieses Prozesses müsse das Kind sicher sein, dass die Eltern ihm vertrauen, den Weg zu bewältigen. „Wir wollen ja selbstbewusste und selbstständige Kinder.“

Das Kind „macht Erfahrungen, es hat Bewegung, es bespricht sich“

Vielleicht kann das Kind sich ja auch schon bald einem „Laufbus“ anschließen. Ein Laufbus ist nichts anderes als eine Gruppe von Kindern, die (teilweise) den gleichen Weg haben und sich daher an bestimmten Stellen treffen, um gemeinsam zu laufen. Vielleicht begleitet von einem oder zwei Erwachsenen, man kann sich auch gut abwechseln in dieser Begleitung.

Für alle unsere Experten und Expertinnen hat der Fußweg absolute Priorität. „Der Schulweg gehört dem Kind, nicht nur räumlich“, sagt Jutta Rengelink: „Es macht Erfahrungen, es hat Bewegung, es bespricht sich.“ Christiane Mikat: „Nehmen Sie das Kind ernst in seinem Bedürfnis, sich frei zu bewegen.“ Allerdings: Mit sechs Jahren auf dem Fahrrad in den Berufsverkehr zu starten, das ist viel zu früh.

Nur noch ein Drittel der Kinder geht zu Fuß zur Schule

Elterntaxis sind vor allem frühmorgens vor vielen Grundschulen ein Problem.
Elterntaxis sind vor allem frühmorgens vor vielen Grundschulen ein Problem. © Jakob Studnar

Doch viele Eltern entscheiden sich ganz anders: Sie fahren das Kind mit dem Auto. Aus Angst und aus Zeitdruck. „Während in den 1970er-Jahren noch rund 90 Prozent aller Kinder in die Grundschule gelaufen sind, legen diesen Weg heute nur noch 34 Prozent zu Fuß zurück“, heißt es beim „Verkehrsclub Deutschland“: „Die meisten werden im Auto ihrer Eltern gebracht. Die größte Gefahr für Kinder im Verkehr: im Auto mitzufahren.“

„Eltern sind ängstlich, das ist eine ganz normale Sorge“, sagt die Polizeihauptkommissarin Rengelink. Und doch ist die Entscheidung falsch: Denn Elterntaxis erzeugen den Verkehr, vor dem sie die Kinder schützen wollen. Ihr Kollege Peter Bandermann hat dazu Zahlen: An einer Schule in Lünen mit 400 Kindern seien zwischen 7.15 und 7.50 Uhr 115 Autos vorgefahren. Die Folge: Chaos und Gefahr. Denn Hektik baut Unfälle.

Doch es gibt Fortschritte im Ruhrgebiet: Eigens eingerichtete „Elternhaltestellen“ etwa, an denen es geordneter zugeht (und von wo die Kinder noch ein Stück zu laufen haben). Elternabende, die zumindest vorübergehend Wirkung zeigen. „Aber dann wird es dunkel und kälter.“ Die Einbeziehung der Kinder kann ebenfalls Wirkung zeigen, vorüber-gehend, wenn man das so sagen kann: „Mama, ich will laufen.“ Im Moment laufen auch Versuche an, Straßen vor bestimmten Schulen vor der ersten und nach der letzten Stunde für Autos zu sperren.

Beispiel Dortmund: Auf 6126 Erstklässler kommen 372.303 motorisierte Fahrzeuge

Sind Eltern also ängstlicher als früher? Die Wissenschaft hat darauf keine Antworten, weil es zu einschlägigen Umfragen keine Vergleichsdaten aus der tieferen Vergangenheit gibt. „Helikopter-Eltern sind keine Einzelfälle“, heißt es bei der Dortmunder Polizei, während Christiane Mika vom Grundschulverband doch von Einzelfällen spricht: „Manche haben das Bedürfnis, das Kind bis in die Klasse zu bringen. Man muss die Sorgen ernst nehmen, aber auch aufzeigen, was die Schule tut, damit die Kinder sicher sind.“

Einigkeit besteht aber, dass der stark gewachsene Straßenverkehr Eltern größte Sorgen macht. „Die Städte sind zu Autostädten geworden, oft gibt es gar nicht mehr die Möglichkeit, mit dem Fahrrad zur Schule zu kommen“, so Mika. Peter Bandermann sagt es so: In Dortmund kämen in diesem Sommer auf 6126 Erstklässler 372.303 motorisierte Fahrzeuge, „das ist das Kräfteverhältnis“. Darauf mit mehr Fahrten zu reagieren, kann nicht richtig sein. Allein wegen der Elterntaxis gilt die Formulierung des TÜV Nord weiter: „Der Schulweg ist am gefährlichsten am Ende.“