Ruhrgebiet. Väter-Experte Hans-Georg Nelles weiß, warum viele Männer den Frauen die Familienarbeit überlassen: Auch, weil die Gesellschaft das erwartet.
Warum stecken Väter immer noch mehr Zeit und Kraft in den Beruf als in die Familie? Ein Gespräch mit Hans-Georg Nelles, Vorsitzender der Landesarbeitsgemeinschaft Väterarbeit.
Noch immer arbeiten Väter deutlich mehr als Mütter, und fast zwei Drittel der Männer gehen nicht in Elternzeit. Obwohl sie, Studien zufolge, die Familienarbeit gleichberechtigt übernehmen wollen. Was geht da schief?
Hans-Georg-Nelles: Das Elterngeld ist seit seiner Einführung 2007 nicht erhöht worden. Die Schweden sind da deutlich weiter als wir, eine schwedische Personalmanagerin sagte mir schon damals: Wenn ihr 100 Prozent der Väter in Elternzeit bekommen wollt, dann zahlt ihnen 100 Prozent. Bei uns aber gab es damals schon nicht allzu viel. Für zwei Vätermonate hat das vielleicht gereicht, das konnte man überbrücken. Aber das Leben ist teurer geworden, mit einem Einkommen kommen Familien heute nicht mehr zurecht. Die Problematik ist: Der eine macht Karriere, der andere bleibt vielleicht stehen und wird unter Wert wieder eingestellt.
Geht es denn nur ums Geld?
Wir müssen auch darüber reden, was die Gesellschaft von Vätern und Müttern erwartet. Von Vätern wird nach aktuellen Studie nach wie vor erwartet, dass sie Vollzeit arbeiten. Es ist ja sogar so, dass junge Väter mehr arbeiten als Single-Männer! Das jetzige Steuersystem bietet den Anreiz, reinzuhauen und der Familie etwas zu bieten. Was nach Karriere plus Familie aussieht, ist dann vielfach das Laufrad.
Also doch die Karriere.
Wir reden nicht in allen Fällen von Karriere. Das Thema Partnerschaftliche Arbeitsaufteilung ist nicht nur etwas für die Besserverdienenden, die eine gute Ausbildung haben. Männer und Frauen mit einfachem, geringerem Einkommen sind vielfach gezwungen, sich partnerschaftlich zu verhalten. Da hat jeder einen Beruf, manchmal zwei oder drei Jobs, die müssen sich die Kinderbetreuung aufteilen. Während diejenigen, denen der Beruf Spaß macht und die Erfüllung darin finden, oft darüber reden und sagen, das gern machen zu wollen. Aber im Alltag wiegen Wertschätzung und Anerkennung, die sie im Beruf bekommen, mehr als der Wunsch, aktiver Vater zu sein.
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Erfahren sie Wertschätzung nicht auch für ihre Familienarbeit?
Das ist doch sogar ein Schlager: „Das Bisschen Haushalt...“ In Deutschland ist die Care-Arbeit immer heruntergeredet worden, komplett abgewertet, das wird nicht wertgeschätzt. Diejenigen, die für sich entscheiden: Ich setze meinen Schwerpunkt in der Familie, müssen sich rechtfertigen. Sie bekommen zu hören: Du bist also arbeitslos? Du hast versagt und versuchst, dich wenigstens im Haushalt nützlich zu machen. Das ist nicht das, woraus ich meine Wertschätzung und mein Zugehörigkeitsgefühl schöpfen möchte. Da müssen wir als Gesellschaft überlegen, was uns solche Tätigkeiten wert sind und wie wir das ausdrücken.
Das heißt, es müsste für Care-Arbeit Geld geben?
Es müsste Zeit zur Verfügung gestellt werden. Und es muss überlegt werden, wie ich, wenn ich solche Aufgaben übernehme, nicht in die Altersarmut falle. Das ist das Mindeste, das geregelt werden muss. Da braucht es in der Praxis einen Systemwechsel. Dass Väter bei ihren Kindern sein wollen, dass die Väter da eine Sehnsucht entwickeln, ist super. Man muss das ernst nehmen und die Rahmenbedingungen schaffen.
Die Wünsche gibt es also.
Ja, das ist nachweisbar, eigentlich schon seit den 80er-Jahren. Aber da muss ich der Familienpolitik den Vorwurf machen: Wo sind die strukturellen Rahmenbedingungen für Väter und Mütter, dass sie es anders machen können? Wir möchten reduzierte Arbeitszeiten für beide. Das muss möglich sein, ohne dass es eine Rentenkatastrophe gibt.
Das ist die politische Seite, was können Arbeitgeber tun?
Sie muss ich fragen: Gestehen sie den Vätern Familienzeit überhaupt zu? Zwei Monate werden inzwischen „durchgewunken“, aber jeder Vater, der sagt, ich möchte vier Monate, sechs oder sogar zwölf, der wird angeguckt wie der Mann vom Mars, der wörtlich „aus der Rolle fällt“: Hast du keine Frau zuhause? Diese Vorstellungen sind noch tief verankert. In Unternehmen, wo das als normal vorgelebt wird, wo Arbeitszeit dauerhaft reduziert werden kann, ist die Quote der Väter in Familienarbeit sehr viel höher. Das muss möglich sein, ohne dass es heißt: Such dir einen neuen Job! Es braucht einen Kulturwandel.
Sonst bleibt das so: Für sechs Monate Elternzeit wird eine Frau kritisiert, ein Mann bewundert?
Das hat etwas mit den Rollenzuschreibungen zu tun. Eine Mutter, die sich nicht nur um ihr Kind kümmert, ist in Deutschland eine Rabenmutter. Es wird den Frauen auch nicht zugetraut, schnell in den Job zurückzukehren. Und wer ist das, der den Vater bewundert? Der kriegt Applaus, von den anderen Müttern vielleicht und auf dem Spielplatz. Aber das macht doch sehr deutlich, dass er der Exot ist, der Paradiesvogel. Das wollen Väter nicht sein, die heischen nicht um Beifall. Die wollen, dass das, was sie machen, als völlig normal angesehen wird und genau so wertgeschätzt, als wenn sie in der Firma am Band stehen.
Nach einer neuen Studie der Hans-Böckler-Stiftung übernehmen Mütter, ob nun in Vollzeit oder Teilzeit, sehr viel mehr der kognitiven Arbeit in der Familie, den sogenannten „Mental Load“, also das Kümmern. Wie kommt das?
Dem gegenüber steht der „Financial Load“, das heißt: Väter sehen sich in der Rolle, für die finanzielle Versorgung der Familie zuständig zu sein. Vieles beginnt da schon in der frühkindlichen Erziehung. Wenn sich dann zwei Menschen als Paar zusammentun, wird vielfach nicht konkret abgesprochen, wer was macht und wie Verantwortlichkeiten aufgeteilt werden. Gerade Väter, die in klassischen Modellen leben, sagen hinterher: Da bin ich irgendwie reingerutscht, das war gar nicht das, was wir wollten. Man muss das bewusst gestalten. Sonst kommt bei beiden alles andere zu kurz: Freunde, Partnerschaft… Das führt zu Unzufriedenheit.
Bei einem Kongress für Väter in einem Essener Gemeindehaus gab es kürzlich eine Herrentoilette mit Pissoirs und eine Damentoilette mit Wickeltisch. Müsste sich sowas ändern?
Klar, das bringt zum Ausdruck, was von Vätern erwartet wird. Männertoiletten mit Wickeltisch wären ein deutliches Signal: Das ist auch eine Aufgabe von Vätern, du kannst von Anfang dabei sein, hast die Chance, den Start nicht zu verpassen und die Kompetenzen zu erwerben, die die Mutter deines Kindes auch erwirbt. Nutze das!
Sie sind selbst Vater und Großvater. Was verpassen die Väter, die die meiste Zeit in ihre Arbeit stecken?
Die Zeit mit den Kindern, das gemeinsame Erleben! Die Möglichkeit, wieder selbst zum Kind zu werden. Das macht Vatersein aus. Und es ist prägend, auch für die Kinder. Wenn Männer von Anfang an Kontakt haben zu ihren Kindern, wenn sie erleben, dass das Baby auf sie reagiert, dann sind sie in einer ganz anderen Welt, haben ganz anderen Mut. Es geht darum, diese Gefühle zu wecken, nicht zu sagen: Ihr solltet, ihr müsstet... Verhaltensänderungen ergeben sich am ehesten dadurch, dass ich andere Erfahrungen machen kann.
Andernfalls bedauern sie das?
Wenn man mit älteren Männern spricht, durchweg. Und auch bei Jüngeren: 16 Jahre nach Einführung des Elterngeldes haben wir nun schon eine Generation Väter, deren Kinder älter sind, die die Möglichkeit gehabt hätten.
Was können die Mütter selbst tun, um die Väter mehr einzubinden?
Ihren Partnern zutrauen, dass sie die Kinder gut versorgen können. Akzeptieren, dass sie vieles anders machen, aber dass das okay ist. Loslassen und nicht verlangen, dass allein ihre Standards gelten. Gelassen zuschauen und genießen, dass die Väter Verantwortung übernehmen.
>>>Protokolle von Vätern mit unterschiedlichen Familienmodellen lesen Sie hier: