Ruhrgebiet. . Eltern bringen ihre Kinder oft mit dem Auto zur Schule. Die Polizei warnt: Die Risiken seien oft größer als der Nutzen und plädiert fürs Laufen.

Siegfried Klein dürfte alles gesehen haben, was man falsch machen kann als Elterntaxi. Den Vater, dessen Sohn im fahrenden Auto hinter dem Beifahrersitz steht; er hält sich an der Kopfstütze fest und hat den Tornister schon auf. Es muss schließlich gleich schnellgehen. Die Mutter, die an einem hohen Gitter parkt: Hier soll niemand durchgehen – sie hebt ihre Tochter über das Gitter. Oder jene, die direkt vor einem Polizisten im absoluten Halteverbot hält und dessen kleinliche Einwände noch nicht einmal versteht: „Ich muss das Kind doch rauslassen.“

„Das Chaos beginnt um Viertel vor acht“, sagt Klein, der Leiter der Verkehrsunfall-Vorbeugung bei der Polizei in Bochum. An diesem Morgen steht er mit sechs Kollegen, zwei Bullis und einem Tempomessgerät an einer Grundschule im Vorort Wiemelhausen. Und dennoch halten noch Eltern im Halteverbot, und drei Tempoverstöße messen die Polizisten, die man gar nicht übersehen kann.

Ihre guten Gründe: Zeitdruck und Sorge

In allen Revierstädten achtet die Polizei in diesen Tagen besonders auf die Verkehrssituation vor Schulen: eher mahnend als strafend, noch. „Wir werden in den kommenden Wochen die Schulwege besonders genau überwachen und Raser zur Verantwortung ziehen“, kündigt etwa die Polizei Oberhausen an, und: „Das gilt im übrigen auch für die, die ,nur schnell’ ihre Kinder zur Schule bringen wollen.“

Denn seit Mittwoch, seit wieder Schule ist, sind auch die Elterntaxis wieder unterwegs. Das Ziel: die lieben Kleinen so nah wie möglich am Schultor abzusetzen. Mit ihnen fährt das Chaos vor: Viele parken Wege und Einfahrten zu, rangieren hektisch vor und zurück, drängen in den Gegenverkehr, „haben Kinder im Auto, die nicht ordnungsgemäß gesichert sind, und halten im absoluten Halteverbot“, sagt Axel Deitermann, Sprecher der Polizei Oberhausen.

Das Ziel: die lieben Kleinen so nah wie möglich am Schultor absetzen

Ihre guten Gründe: Zeitdruck und Sorge. „Es laufen ja nur noch Mörder und Vergewaltiger draußen rum“, sagt ein Polizist spöttisch. Wirklich absurd ist: Aus Angst vor einem Autounfall setzen Eltern ihr Kind ins Auto.

Und so raten alle in diesem Zusammenhang denkbaren Verbände zum Grundschul-Weg zu Fuß – auch der ADAC. So sagt Claudia Neumann vom „Deutschen Kinderhilfswerk“: „Es gibt meist keinen Grund, Kinder morgens mit dem Auto in die Schule zu chauffieren.“ Eltern sollten die Kinder zu Fuß begleiten oder in Laufgemeinschaften selbstständig losziehen lassen. „Das entspannt die teils chaotische Verkehrssituation vor den Schulen am besten.“

Elterntaxis eine "Katastrophe für die Eigenverantwortung der Kinder"

Und der Erziehungswissenschaftler Albert Wunsch aus Neuss nennt Elterntaxis eine „Katastrophe für die Eigenverantwortung der Kinder“. Wunsch befasst sich viel mit Helikoptereltern und unterscheidet sie inzwischen nach „Kampf-, Rettungs- und Transporthubschraubern“.

Doch das Rettende wächst auch. Langsam verbreiten sich sogenannte Elternhaltestellen: auf eh vorhandenen Parkplätzen etwa an Supermärkten, einige Hundert Meter entfernt von der Grundschule. Der Vorteil: Das Aussteigen verläuft geordnet, und ein Rest Schulweg bleibt zu laufen.

„Es kommt die Zeit, da will die Säge sägen“

So macht es etwa eine Elterninitiative an der Schillerschule in Herne-Mitte. Der Anlass war, „dass ein Kind vor dem Lehrerzimmer so gut wie angefahren wurde“, sagt Schulleiterin Andrea Sdun. Nun steigen sie aus bei Lidl, fünf bis zehn Fußminuten entfernt, und laufen einen festen Weg zur Schillerschule. Fünf Erwachsene braucht es jeden Tag, die morgens an der Strecke stehen und die Kinder beobachten. „Wir werden das weiter machen, auch wenn der eine oder andere es nicht einsieht“, sagt Sdun.

Irgendwann in den nächsten Tagen wird die Polizei im Ruhrgebiet anfangen, ernst zu machen vor den Schulen. Statt mit guten Worten wird sie mit Bußgeldern kommen – schwarze Pädagogik, wenn man so will. „Bei den Elternabenden habe ich ein bisschen Redezeit. Ich sage dann auch: Es kommt die Zeit, da will die Säge sägen“, meint der Bezirksbeamte Rüdiger Buers in Essen. An den ersten Abenden würden die Eltern noch lachen über den Spruch. „Aber wenn die vier Schuljahre durch sind, lacht nur noch die Hälfte.“ Alle anderen musste er ansägen.