Ruhrgebiet. Das Hochwasser vor zwei Jahren traf das Ruhrgebiet schwer. Äußerlich sind die meisten Schäden beseitigt. Aber manche Menschen fürchten den Regen.

Aufgeräumt, geputzt, repariert und saniert: Zwei Jahre danach ist dem Ruhrgebiet vom Hochwasser nicht mehr viel anzusehen. Äußerlich. „Von außen sieht es vielleicht gut aus“, sagt eine Frau in Essen-Kettwig und meint ihr Haus, wo immer noch nicht alles fertig ist. „Von außen sieht es vielleicht gut aus“ stimmt aber auch für viele Menschen selbst. Die viel gearbeitet, aber noch nicht verarbeitet haben, was damals geschah. Und die sich sorgen, immer wenn es regnet.

Im Frühjahr ist die Ruhr in Mülheim wieder angeschwollen, flussabwärts war der Steg der Weißen Flotte überspült. Seither liegen wieder ein paar Sandsäcke am Haus von Familie Berns in Mintard. „Von da unten ist es noch ein Meter bis zu uns“, sagt Rainer Berns. „Wenn der Radweg unter Wasser ist, werde ich langsam nervös.“ Dabei ist der 46-Jährige absolut nicht der Typ, der zur Nervosität neigt. Nicht einmal an jenem 15. Juli 2021, als er zuhause versuchte zu retten, was zu retten ist. Da machte er, was ging, und als nichts mehr ging, sah er von der Ecke zu, wie der Fluss die Straße hinaufstieg. „Ich kann’s ja nicht ändern.“

Mit der Renovierung seines Hauses in Mülheim-Mintard fast fertig: Rainer Berns.
Mit der Renovierung seines Hauses in Mülheim-Mintard fast fertig: Rainer Berns. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Wasser bis zum Bauch: Über Gefahren nicht nachgedacht

Berns erzählt nüchtern, wie das war. Der Anruf von den Nachbarn, die „zwei, drei Sandsäcke“, die nichts mehr aufhielten. Der Gartentisch, auf den sie alles stellten, was sie schafften: Kühlschrank, Stühle, Grill. „Ich kann ja nicht das ganze Haus hochhieven, der Rest musste halt untergehen.“ Die Nachbarn hat man mit dem Boot abgeholt, die Berns wateten davon, da ging ihnen das Wasser schon bis über den Bauch. „Hat ganz schön gezogen“, Rainer Berns hat über die Gefahr „nicht nachgedacht“.

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Der Schaden: 140.000 Euro. Stromanlage und Gasheizung ersoffen zuerst, mit ihnen der Zähler, sie wissen gar nicht, was die Bautrockner danach monatelang verbraucht haben. 70 Zentimeter hoch stand das Wasser im Erdgeschoss, im kleinen Garten „hätte man schwimmen können“; sie haben dort heute noch Matschwiese, so bald es ein wenig regnet. Rigipswände, Estrich, alles musste raus. „Wenn zwei Stockwerke vollgelaufen sind, muss man auch zwei Stockwerke entkernen.“

Für die Menschen am Fluss gibt es endlich eine Versicherung

Die Berns nahmen ihr Kind und ihre Katze im Körbchen, sagten den Einbau der neuen Küche ab und zogen um, immer wieder: zwei Tage zu Freunden, zwei Wochen zu anderen, die im Urlaub waren, drei Wochen zu den Großeltern, vier in eine Ferienwohnung. Derweil gingen sie arbeiten, „man kann ja nicht drei Monate Urlaub nehmen“. Danach lebten sie lange mit Handwerkern, räumten im Obergeschoss immer wieder um, um Ordnung ins Chaos zu bringen. Es ging lange so, in Mintard überall: „Man hat den Bohrhammer schon vermisst, wenn er mal aus war.“

Der Keller von Rainer Berns ist inzwischen renoviert – aber noch nicht ganz fertig.
Der Keller von Rainer Berns ist inzwischen renoviert – aber noch nicht ganz fertig. © Rainer Berns | Privat

Inzwischen sind sie fast alle fertig im Dorf, viele haben sich ein bisschen verbarrikadiert. Bruchsichere Fenster, Klimaplatten auf dem Boden, die nicht schimmeln sollen. Und sie haben eine Versicherung, die sie vorher nicht bekamen, Rainer Berns sagt: „Oben auf dem Berg braucht ja auch keiner eine Hochwasser-Versicherung.“ An der Kirche gibt es jetzt eine Sammelstelle für Katastrophenfälle. Wenn es länger regnet, wird Frau Berns unruhig, der sechsjährige Sohn brauchte lange, bis er bei Wolken nicht mehr ängstlich ins Haus lief.

Im Keller hat eine Essener Familie weiter feuchte Stellen

Denn das Problem ist ja nicht weg: Gleich vor der Tür in der Straße, die „Durch die Aue“ heißt, verläuft der Alpenbach, und dort, wo er hinter den Maisfeldern in die Ruhr fließt, hat der Deich ein Loch – wie sollte das auch sonst gehen. Dabei ist dieses Bächlein nicht mehr als ein recht versandetes Rinnsal mit schwacher Strömung. Am Tag des Hochwassers aber musste es die volle Ruhr aufnehmen, das Wasser floss mit Macht zurück – und in die Mintarder Häuser. „Natur ist allerdings“, sagt Berns trocken, „der Bach fließt in den Fluss.“

Und der Fluss, wenn er das Wasser nicht mehr halten kann, in die Stadt. So war es in Kettwig, nur wenige Kilometer flussaufwärts. „Ich stehe im Eingang und sehe die Ruhr, da war der Garten schon weg“, erinnert sich eine Frau. Dieser Garten: der gerade fertig war, „jetzt wird nur noch geerntet“, hatte die Kettwigerin am Vortag erst gesagt. Zwei Jahre später ist sie immer noch dabei, ihn wieder aufzuforsten. „Nur, was nutzt ein schöner Garten, wenn man keine Zeit hat, darin zu sitzen?“ In der Kellerwand hat sie weiterhin feuchte Stellen, es zieht hoch ins Erdgeschoss, wo sie damals schnell alles trockenlegten. Aber dann kam nach wenigen Tagen der Holzboden hoch, „wir hatten überall kleine Häufchen“.

Mintard am Tag des Hochwassers. Das zweite querstehende Haus von rechts gleich hinter dem überfluteten Sportplatz ist das der Berns’.
Mintard am Tag des Hochwassers. Das zweite querstehende Haus von rechts gleich hinter dem überfluteten Sportplatz ist das der Berns’. © www.blossey.eu / FUNKE Foto Service | Hans Blossey

Die 70-Jährige hätte noch mehr erzählt, aber dann kann sie nicht mehr. „Es wühlt mich zu sehr auf.“ Alles zieht sich hin, „wir haben immer noch keinen Abschluss“. Sie wohnen weiter in der ersten Etage, oft stehe sie da und „weiß nicht weiter“, obwohl doch so viele helfen. „Es ist alles umgekrempelt. Aber immerhin haben wir unser Leben behalten.“

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Ob die Menschen nicht darüber nachgedacht haben wegzuziehen, irgendwohin, wo kein Hochwasser droht? Niemals, sie sind hier zu Hause. „Wo sollten wir denn hin?“, fragt die Frau in Kettwig, „wo könnten wir überhaupt hin?“ Und Rainer Berns ist wie immer nüchtern: „Wer kauft das denn noch und zu welchem Preis?“ Sie möchten ja auch die Nachbarn nicht missen, mit denen sie alles durchstanden: mehr als eine Schicksalsgemeinschaft.

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Und, nach außen, ist ja alles wieder gut. Fast. In Mintard steht ein Haus, vor das sie erst vor wenigen Monaten ein Gerüst stellten und Container davor. Diese Woche wurde einer abgeholt, voll mit Schutt. Zurück in der Einfahrt blieben die Spuren der Flut: Reste getrockneten Schlamms. Nach zwei Jahren.

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Zwei Jahre nach dem Hochwasser hat die Bezirksregierung Düsseldorf das bisher ausgewiesene Überschwemmungsgebiet der Ruhr in Oberhausen, Duisburg, Essen und Mülheim an der Ruhr geändert. Eine Überprüfung der aktuellen Verordnung hatte nach Angaben der Behörde unter anderem ergeben, dass das Gebiet im Teilbereich der Lanfermannfähre in Essen nach der Erneuerung und Erhöhung von Uferwegen bei einem statistisch einmal in 100 Jahren zu erwartenden Hochwasser nicht überschwemmt wird. Hingegen würde die Schleuseninsel in Mülheim an der Ruhr, die bisher nicht als Überschwemmungsgebiet erfasst war, überflutet. Die Änderungsverordnung tritt am 13. Juli in Kraft.