Düsseldorf. Im Jahr 2015 ist Mustafa aus dem Irak vor dem Krieg geflohen. Heute lebt er ein erfülltes Leben in Düsseldorf. Doch der Weg dahin war oft schwer.
Mit Freunden auf der Straße spielen, vom Leben als Fußballprofi träumen – bis zu seinem zehnten Lebensjahr hatte Mustafa Al Azzawi eine unbeschwerte Kindheit. Er wurde 1993 in Bagdad, der Hauptstadt des Iraks, geboren. Dass er in einer Diktatur aufwuchs, wusste er damals noch nicht. Sicherheit, Ruhe und ein durchschnittlicher Lebensstandard waren vorhanden, solange man sich nicht kritisch über die Regierung äußerte.
Zwölf Jahre später sollte Mustafa einer von 1,1 Millionen Menschen sein, die im Jahr 2015 die Flucht nach Deutschland ergriffen. Heute führt der 29-Jährige ein erfülltes Leben in Düsseldorf. Er arbeitet, ist frisch verlobt und in wenigen Tagen wird er eingebürgert. Doch der Weg dahin war alles andere als einfach.
Der Krieg zwang Mustafa und seine Familie zur Flucht
Das Leben im Irak änderte sich im Jahr 2003 schlagartig. „Plötzlich war der Krieg da“, erinnert sich Mustafa. „Wir hörten ständig die Bomben fliegen und konnten nicht mehr vor die Tür gehen, ohne Angst zu haben.“ Mit seinen Eltern und seinen zwei Geschwistern flüchtete der zehnjährige Junge zunächst westlich Richtung Syrien. Dort fand die Familie vorerst Ruhe. Mustafa konnte weiter zur Schule gehen und absolvierte eine Ausbildung zum Sportlehrer. Ein anschließendes Studium konnte er nicht mehr zu Ende bringen, weil der IS im Jahr 2014 anfing die Universitäten im Irak einzunehmen. Mustafa gründete eine Organisation, um junge Menschen vor Ort über die Ereignisse im Land aufzuklären und kritisches Denken zu fördern. Doch das Leben als Systemkritiker wurde zunehmend gefährlicher und der junge Student befürchtete: „Wenn der IS jetzt hierherkommt, werde ich umgebracht.“
Ein Leben in Angst und Schrecken, das Mustafa nicht länger aushielt. Seiner Familie erzählte er, dass er Urlaub in der Türkei machen würde. Dass er nicht vorhatte wiederzukommen wusste nur sein älterer Bruder. So verließ der damals 20-Jährige seine Heimat. Keine leichte Entscheidung, aber eine, die ihm das Leben gerettet hat, denn zwei Wochen später trat genau das ein, wovor er monatelang Angst hatte: Der IS nahm seinen Wohnort im Irak ein.
Neustart in Deutschland: „Wir wurden wie Verbrecher behandelt“
Nach einem perspektivlosen Aufenthalt in der Türkei entschied Mustafa, dass er in Deutschland einen Neustart wagen würde. Im Herbst 2015 erreichte er gemeinsam mit zwei Freunden den Aachener Hauptbahnhof. Ihr erstes Ziel: die Polizeibehörde. „Die Beamten waren grob und unfreundlich“, erinnert sich Mustafa. „Wir mussten unsere gesamte Kleidung ausziehen und wurden zunächst in drei separate Zellen gesperrt, ohne, dass man groß mit uns gesprochen hat“, erzählt er weiter. „Ich weiß, dass sich die Polizei an ihre Verfahren halten muss, aber wenn ich heute drüber nachdenke, verletzt es mich immer noch, dass wir wie Verbrecher behandelt wurden“, so der 29-Jährige. Nach einer gefühlten Ewigkeit der Stille und Ungewissheit sei endlich eine Übersetzerin geholt worden, die die Geflüchteten davon überzeugen konnte, dass sie in Frieden gekommen waren.
Mustafa und seine Freunde wurden in ein Aufnahmelager in der Nähe von Dortmund gebracht, in dem sie zwei Wochen unterkamen. Daraufhin lebten sie in einem Zufluchtsheim in Neuss, bis sie schließlich nach Düsseldorf geschickt wurden. „In den Notunterkünften habe ich erlebt, was für ein hilfsbereites Land Deutschland ist“, erinnert sich Mustafa. „Es waren viele Ehrenamtler da, die uns mit dem Papierkram geholfen haben, wir konnten an kostenlosen Deutschkursen teilnehmen und wurden erstmal rundum versorgt“, führt er fort.
„Viele Menschen stecken mich erstmal in eine Schublade“
Die deutsche Sprache zu erlernen sei nicht leicht gewesen. „Außerhalb der Unterkunft wurde man häufig böse angeschaut, wenn man in gebrochenen Sätzen deutsch gesprochen hat“, sagt Mustafa. Viele Menschen – und das sei manchmal noch heute so – steckten ihn schnell in eine Schublade, wenn sie nur seine schwarzen Haare sahen. „Aber das hat mich nicht davon abgehalten mit so vielen Menschen wie möglich zu sprechen“, sagt er bestimmt. Eine Übersetzungs-App habe ihm geholfen sich durchzukämpfen und irgendwann wurden aus den bösen Blicken, überraschte Blicke, weil Mustafa in nur wenigen Monaten das C1-Level erreicht hatte.
Als die schwere Anfangszeit überstanden war, entschied der junge Mann, dass er anderen Geflüchteten helfen wollte und wurde als Übersetzer in einer Notunterkunft tätig. Über die anderen Ehrenamtler habe er vom Bundesfreiwilligendienst (BFD) erfahren, bewarb sich bei der Stadt Düsseldorf und startete dort Ende 2017 beim Sportamt. Nach ein paar Wochen im BFD bot man Mustafa eine Ausbildungsstelle zum Sport- und Fitnesskaufmann an. Eine Chance, die er zweifellos nutzte. „Nach dem Ende der Ausbildung habe ich direkt eine feste Stelle bekommen“, erzählt der gebürtige Iraker stolz. „Dafür bin ich sehr dankbar.“
„Deutschland bietet Tausende Möglichkeiten zur Integration“
Dass der Begriff „Flüchtling“ in Deutschland häufig mit Kriminalität assoziiert wird, findet Mustafa schade. Die meisten Geflüchteten, die mit ihm in den Unterkünften gelebt haben, ständen heute auf eigenen Beinen. „Wenn man Millionen Menschen aufnimmt, sind natürlich nicht nur positive Beispiele dabei“, sagt er. Man könne nicht alle über einen Kamm scheren.
Grundsätzlich halte er das Integrationssystem in Deutschland für so gut, dass jeder eine Chance habe, Fuß zu fassen. „Wenn man offen für die Menschen ist, den Kontakt sucht und sich ausführlich über die Systeme in diesem Land informiert, gibt es tausende Möglichkeiten“, meint er. Ohne die Unterstützung von Freunden und Kollegen, hätte er viele Hürden jedoch nicht bewältigen können.
Für seinen deutschen Pass habe er zum Beispiel ganze zwei Jahre kämpfen müssen. „Deutsche Bürokratie kann einen wahnsinnig machen“, gibt er lachend zu. Aber der Aufwand hat sich gelohnt. Die Einbürgerung gibt Mustafa endlich das Gefühl angekommen zu sein. Mit dem Reisepass öffnen sich für ihn viele neue Türen: Er kann seine Eltern leichter treffen und seinen großen Bruder, der mittlerweile in Schweden lebt, jeder Zeit besuchen.
Für den nunmehr sechsten „NRW-Check“ hat diese Zeitung gemeinsam mit 38 weiteren Tageszeitungen im Land Anfang Juni mehr als 1500 Wahlberechtigte über 18 Jahre befragt. „Migration und Flüchtlinge“ benannten 27 Prozent der Befragten als ihre derzeit größte Sorge. Wir berichten weiter.