Essen. 2020 wurden in Essen insgesamt vier Herzen verpflanzt. Jetzt waren es gleich drei in nur sechs Tagen. Nene Tshilombo erhielt das erste der Serie.

Eines Morgens, ein paar Tage nach seiner Operation, wachte Nene Tshilombo auf der Intensivstation der Essener Uniklinik auf und bat um – Alufolie. Der Pfleger verstand nicht gleich. „Ich will heiraten“, erklärte der 34-jährige Patient aus Herten ungeduldig. Und zu einem Antrag gehöre ein Ring. Den er seiner Julia aus Alufolie basteln wolle…. Jetzt ist er verlobt mit der Frau, mit der er seit 17 Jahren zusammen ist, mit der zwei Kinder hat. Es konnte nun wirklich nicht mehr warten, nun, da es ihm endlich wieder gut geht. Der schwerkranke Altenpfleger erhielt am 20. Juni ein neues Herz. Es war das erste von dreien, die innerhalb von sechs Tagen in Essen transplantiert wurden.

Drei Herzen in nicht einmal einer einzigen Woche? Im gesamten Jahr 2020 zählte man im Essener WZO, im Westdeutschen Zentrum für Organtransplantation, nur vier solcher Operationen! Die „Serie“ ist Ergebnis der Bemühungen vor Ort, das Thema „Herzschwäche“ als neuen Klinik-Schwerpunkt zu etablieren, denkt Prof. Arjang Ruhparwar: Kommen mehr schwer kranke Patienten, kommen auch mehr Herzen. „Aber es gehörte auch eine gute Portion Glück dazu“, räumt der Direktor der Klinik für Thorax- und Kardiovaskuläre Chirurgie ein. Das ganze Team habe sich gefreut, obwohl eine solche Ballung ungeplanter Eingriffe, die „nicht jeder machen kann“, den Klinikalltag durcheinander bringe, dafür andere OPs verschoben werden mussten. Doch Ruhparwar versichert: „Wenn in derselben Woche noch ein viertes, fünftes und sechstes Organ gekommen wäre: Hätten wir auch das genommen, hätten wir auch das hingekriegt.“ Weil sterbenskranke Patienten und Patientinnen verzweifelt darauf warten.

„Es sieht nicht gut aus, sagten mir die Ärzte“

Privatdozent Dr. Bastian Schmack untersucht seinen jungen Patienten. Am 20. Juni wurde Nene Tshilombo (34) ein Spenderherz transplantiert, schon in dieser Woche darf er das Krankenhaus vermutlich verlassen: Der vierstündige Eingriff verlief reibungslos. Es gehe ihm endlich wieder „richtig gut“, sagt der im Kongo geborene Hertener. Mit sieben kann er her.
Privatdozent Dr. Bastian Schmack untersucht seinen jungen Patienten. Am 20. Juni wurde Nene Tshilombo (34) ein Spenderherz transplantiert, schon in dieser Woche darf er das Krankenhaus vermutlich verlassen: Der vierstündige Eingriff verlief reibungslos. Es gehe ihm endlich wieder „richtig gut“, sagt der im Kongo geborene Hertener. Mit sieben kann er her. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Die zwei anderen Männer, beide ebenfalls erst Mitte 30, die vier bzw. fünf Tage nach Nene Tshilombo in Essen transplantiert wurden, waren bereits als „High Urgency“-Fälle eingestuft: Ihr Überleben hing am seidenen Faden, für sie galt die höchste Dringlichkeitsstufe. Schon vor der Operation mussten sie stationär und intensivmedizinisch betreut werden. Patient 2 litt an einer angeborenen Herzschwäche, hing seit zehn Tagen schon an der Ecmo, der künstlichen Lunge, sein Zustand hatte sich zuletzt massiv verschlechtert. Der andere, berichtet Ruhparwar, hatte schon vor vier Monaten ein „Kunstherzsystem“ erhalten müssen. „Doch seine bösartigen Herzrhythmusstörungen dauerten an.“

„Die Wartezeit war hart, die Kinder haben mit gelitten“

Nene Tshilombo fühlte sich bis vor sechs Jahren jung, stark und fit, war als Sportler und Trainer für Breakdance und Fußball auch neben dem Job aktiv. Magenschmerzen, die nach zwei Tagen noch immer nicht verschwunden, führten ihn damals in die Notaufnahme. Die Klinikärzte behielten ihn gleich da. „Dabei wollte ich doch nur ein Medikament“, erinnert er sich. „Herzmuskelschwäche“ lautete die Diagnose, es ist die häufigste Ursache für eine Herztransplantation. Tshilombo mochte nicht daran glauben, aber in der Essener Uniklinik bestätigte sich der Verdacht. „Es sieht nicht gut aus, sagte man mir.“ Er bekam Medikamente, wurde engmaschig auch stationär von den Essener Kardiologen betreut. Wie krank er wirklich war, habe er beim ersten Schock des Defibrillators realisiert, den man ihm eingesetzt hatte. Es blieb nicht sein einziger Herzstillstand. „Viermal hat der Defi mein Leben retten müssen“, erzählt der zweifache Vater. Tshilombo kam auf die Warteliste für ein Spenderherz. „In diesem Februar“, sagt er, „wurde es richtig ernst.“

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Der 34-Jährige ist ein positiver Mensch; jemand, der gerne lacht. Doch die „Kopfkirmes“, sagt er, habe nach der Diagnose schnell begonnen: Wie geht es weiter? Was wird aus den Kindern? „Es gab Momente, da glaubte ich, es ist vorbei“, erinnert er sich. Die Lebenslust nicht zu verlieren, sei ein „harter Kampf“ gewesen. Sein Halt seien Julia und seine beiden Söhne, zwölf und zweieinhalb Jahre alt, gewesen. Doch auch sie hätten gelitten, „haben viel durchgemacht mit mir“. Seinen Heiratsantrag versteht er darum wohl auch als schönen Schlusspunkt hinter einer schlimmen Zeit – und als Startschuss in eine bessere.

Wenn das neue Herz wieder zu schlagen beginnt: ein „Moment der Magie“

Dr. Bastian Schmack, der Chirurg, der Nene Tshilombo (und die beiden anderen Patienten ebenfalls!), operierte, freut sich mit seinem Patienten („ein sehr schönes Ergebnis“), betont aber, dass der Erfolg aller drei Operationen – auch den beiden anderen transplantierten Männern geht es inzwischen wieder gut, obwohl sie noch immer auf der Intensivstation liegen – der des Teams sei. Auch Kardiologen, Anästhesisten, Pflegekräfte und Kardiotechniker seien an der OP beteiligt gewesen, in der Nachsorge komme es nun vor allem auf die Kardiologen an. Dass es ihn persönlich als „Chirurg vom Dienst“ gleich dreimal in sechs Tagen „erwischte“, dass er gleich dreimal hintereinander die seltene Operation übernehmen durfte, freut ihn allerdings auch ein wenig – obwohl seine Tochter ohne ihn Geburtstag feiern musste an jenem Samstag, als Tshilombos neues Herz kam; obwohl die letzte OP, die des Patienten mit dem frischen Kunstherzsystem „technisch sehr herausfordernd war“. Doch trotz aller Routine, trotz hunderter OPs, die er hinter sich hat, empfinde er den Moment, in dem das neue Herz im Körper eines vorher schwer kranken Menschen, zu schlagen beginne, noch immer als „Magie“. „Es ist die schönste OP von allen“, sagt auch Schmacks Chef, Arjang Ruhparwar, weil es den Patienten und Patientinnen nach der Akutphase so rasch besser gehe.

Nene Tshilombo kann beides beides bestätigen, wie „grausam“ der Sonntag nach dem Eingriff war, wie durcheinander er war und wie stark der Schmerz. „Hölle“, sagt er. Doch schon am Montag stand er wieder, wackelig noch, aber er stand, an der Bettkante. Und er staunte über die unglaubliche Veränderung in seinem Körper: „Ich fühlte mein Herz plötzlich schlagen und dass da richtig Power hinter steckt.“ Er sei dem Spender dafür „so dankbar“. Wenn er wieder ganz gesund ist, verspricht er, werde eine Organisation gründen, die über Organspende aufkläre und wie wichtig sie sei.

Spenderorgane sind noch immer rar, insbesondere Herzen

Professor Arjang Ruhparwar, Direktor der Klinik für Thorax- und Kardiovaskuläre Chirurgie am Uniklinikum Essen. Auch er war bei allen drei Operationen dabei.
Professor Arjang Ruhparwar, Direktor der Klinik für Thorax- und Kardiovaskuläre Chirurgie am Uniklinikum Essen. Auch er war bei allen drei Operationen dabei. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Denn noch immer sind Spenderorgane rar und das betrifft besonders Herzen. Nur drei von zehn sind für eine Transplantation überhaupt geeignet, viele schlicht zu alt. Neun von zehn Spenderherzen gehen zudem an Hoch-Dringlichkeitsfälle. Tshilombo, sagt Schmack, habe unwahrscheinliches Glück gehabt, dass sich so rasch eines für ihn fand: es lag vermutlich an seiner seltenen Blutgruppe. Dass sein Patient inzwischen wieder so fit ist, dass er vermutlich schon in dieser Woche entlassen werden kann, habe aber eben auch damit zu tun: dass er in noch relativ guter Verfassung transplantiert wurde.

Er und Julia, erzählt ein glücklicher Nene Tshilombo, als er sich wieder auf den Weg in sein Krankenbett macht, würden ihre Verlobung auch noch „richtig“ feiern, mit Familie und Freunden: am 20. Juni 2022, „dem Jahrestag meiner Wiedergeburt“.

>>>> INFO: Herztransplantationen

339 Herzen wurden 2020 in einem der 19 deutschen Spezialzentren transplantiert. Ende des Jahres standen zugleich noch 700 Patienten und Patientinnen auf der Warteliste für ein Spenderherz. Im Schnitt müssen Erwachsene sechs bis 24 Monate (nach der Listung) auf das Organ warten.

Die erste Herztransplantation überhaupt fand 1967 statt, der Patient überlebte den Eingriff um 18 Tage. Heute arbeiten 80 von 100 Spenderherzen nach Angaben der Deutschen Stiftung für Organtransplantation (DSO) noch mindestens ein Jahr nach der OP einwandfrei. Die Zehn-Jahres-Überlebensrate, so der Essener Spezialist Prof. Arjang Ruhparwar, liege bei 50 Prozent. „Das klingt ernüchternd, aber wir werden uns weiter verbessern. Und: Ohne OP wären die Betroffen gleich gestorben.“

Die meisten Herztransplantationen bundes- und sogar europaweit übernimmt das Herz-Zentrum in Bad Oeynhausen. 2020 waren es 73. Essen war in den 80er-Jahren der erste NRW-Standort, an dem Herzen „verpflanzt“ wurden. Heute ist das Westdeutsche Zentrum für Organtransplantation (WZO) eines der wenigen, in der „alle soliden Organe“ transplantiert werden: Herz, Lunge, Leber, Niere und Pankreas Jährlich zählt man dort um die 250 erfolgreiche Eingriffe.

Die Universitätsmedizin Essen ist zudem als einziges überregionales Herzinsuffizienzzentrum im Ruhrgebiet zertifiziert, mit eigener Schwerpunktambulanz, Spezial- und Intensivstation.