Essen. Menschen aus Einwandererfamilien in Parlamenten und Rathäusern sind rar, auch in NRW. Wer den Sprung nach Düsseldorf oder Berlin geschafft hat.

Lange hat es gedauert, dass in Deutschland ein Mensch mit Migrationsgeschichte zum Landrat gewählt wird. Ali Dogan hat es Ende Januar in Minden-Lübbecke als erster geschafft. Ein Blick in die Parlamente und Rathäuser der Republik zeigt: Auch Bürgermeister und Abgeordnete aus Einwandererfamilien sind immer noch eher eine Seltenheit – in ganz Deutschland, aber auch in NRW.

Cem Özdemir, dieser Name fällt vielen wohl als erstes ein, wenn man an Politiker mit Migrationsgeschichte denkt. Der ehemalige Bundesvorsitzende der Grünen ist heute Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft und damit der erste Bundesminister mit Migrationshintergrund überhaupt. Seine Eltern kamen als türkische Gastarbeiter nach Deutschland. Er selbst wurde im Kreis Reutlingen in Baden-Württemberg geboren.

Zwei NRW-Politiker aus Einwandererfamilien sind bundesweit bekannt

Als Bundespolitiker mit ausländischen Wurzeln sind aus NRW vor allem zwei Personen bekannt. Eine ist Paul Ziemiak, seit 2017 für die CDU im Bundestag, Generalsekretär der Partei von 2018 bis 2022. Er wuchs im Nordwesten Polens auf. Als Aussiedler kam Ziemiak mit seinen Eltern zunächst nach Unna, dann nach Iserlohn. Den Sprung in die Bundespolitik schaffte er über mehreren Vorsitzenden-Posten in der Jungen Union, vor allem als Bundesvorsitzender der JU von 2014 bis 2019.

Paul Ziemiak, heutiger Generalsekretär der CDU in NRW, kommt gebürtig aus Polen, ist aber in Deutschland bundesweit bekannt. Dieses Bild zeigt ihn im Konrad-Adenauer-Haus im November 2021.
Paul Ziemiak, heutiger Generalsekretär der CDU in NRW, kommt gebürtig aus Polen, ist aber in Deutschland bundesweit bekannt. Dieses Bild zeigt ihn im Konrad-Adenauer-Haus im November 2021. © dpa | Michael Kappeler

Die andere ist Serap Güler, seit 2021 CDU-Bundestagsabgeordnete. Sie wuchs als Tochter türkischer Gastarbeiter in Marl auf. Ihre Mutter war Haushaltshilfe, ihr Vater Bergmann. Güler ging den Weg nach Berlin über Düsseldorf, zunächst als Referentin in der Landesregierung, dann als Landtagsabgeordnete, dann als Staatssekretärin für Integration im NRW-Familienministerium. 2018 setzte sich Güler als Staatssekretärin unter anderem für ein Kopftuchverbot für Mädchen unter 14 Jahren ein. Ihrer Meinung nach würden junge Mädchen subtil von ihrer Familie dazu gedrängt, ein Kopftuch zu tragen.

Nur jeder zehnte Bundestagsabgeordnete hat eine Migrationsgeschichte

Güler, Ziemiak, Özdemir – sie sind drei von mindestens 83 Abgeordneten mit Migrationsgeschichte im aktuellen Bundestag. Heißt: Entweder sie selbst oder mindestens ein Elternteil wurde nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren. Das hat der Mediendienst Integration im September 2021 herausgefunden. Bei insgesamt 736 Abgeordneten haben demnach 11,3 Prozent der Politiker im Bundestag ausländische Wurzeln, rund drei Prozentpunkte mehr als in der vergangenen Legislaturperiode.

Aus dem Ruhrgebiet nach Berlin geschafft haben es zum Beispiel Axel Echeverria (SPD, Ennepe-Ruhr-Kreis), Mahmut Özdemir (SPD, Duisburg), Lamya Kaddor (Grüne, Duisburg), Sevim Dagdelen (Linke, Bochum) und Irene Mihalic (Grüne, Gelsenkirchen).

Anna Kavena (SPD): „Oft muss man sich durchbeißen“

Noch weniger international ist laut Mediendienst Integration der NRW-Landtag. 17 von insgesamt 195 Abgeordneten, also 8,7 Prozent, stammen aus Einwandererfamilien. So zum Beispiel auch Anna Teresa Kavena, SPD-Landtagsabgeordnete für die Städte Recklinghausen und Oer-Erkenschwick. Sie wurde in Polen geboren und wanderte mit vier Jahren mit ihren Eltern nach Deutschland aus.

Kürzlich bezeichnete sie in einem Facebook-Post NRW als „das Land der Chancen, das Land der Möglichkeiten“. Sie wisse aber „aus erster Hand, wie schwierig es ist, in einem neuen Land anzukommen – ohne Freunde und mit nur wenig Unterstützung.“ Sprachhemmnisse stünden vielen Einwanderern im Weg: „Oft muss man sich durchbeißen.“

Wer in NRW wohnt und einem Oberbürgermeister (OB) mit Migrationshintergrund in seinem natürlichen Habitat begegnen will, muss weit reisen. Denn seitdem Ashok-Alexander Sridharan 2020 als OB von Bonn abgewählt wurde, gibt’s in NRW gar keinen OB mit Migrationsgeschichte mehr. Das zeigt eine Erhebung des Mediendienstes Integration aus dem Sommer 2022. Demnach regieren nur noch in vier von 337 großen und kreisfreien Städten in Deutschland OBs aus Einwandererfamilien: Hannover, Görlitz, Rostock und Landshut.