Münster. Für Bauernpräsident Hubertus Beringmeier wird die Grüne Woche zur Woche der Wahrheit. Lenkt Agrarminister Özdemir nicht ein, „machen wir Druck“.

Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir hat seinen Kredit bei den Bauern schon im ersten Amtsjahr verspielt, wie es scheint. Jedenfalls in Westfalen-Lippe. Der Grund: Das vom grünen Minister im Sommer 2022 auf den Weg gebrachte und im Dezember in erster Lesung im Bundestag verhandelte Tierhaltungskennzeichnungsgesetz. „So verlagern wir massiv Tierhaltung ins Ausland“, kritisiert Hubertus Beringmeier, Präsident des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbandes (WLV), die Inhalte des Gesetzentwurfs beim traditionellen Austausch mit Journalisten beim Havichhorster Abend in Münster.

Der Präsident des Westfälisch-Lippischen Landschaftsverbandes, Hubertus Beringmeier, ist vom Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) wegen des Gesetzesentwurfs zur Tierhaltungskennzeichnung schwer enttäuscht, weil Vorschläge aus seiner Branche ungehört verhallt seien.
Der Präsident des Westfälisch-Lippischen Landschaftsverbandes, Hubertus Beringmeier, ist vom Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) wegen des Gesetzesentwurfs zur Tierhaltungskennzeichnung schwer enttäuscht, weil Vorschläge aus seiner Branche ungehört verhallt seien. © picture alliance/dpa | Guido Kirchner

Nach einem Jahr Özdemir als Bundeslandwirtschaftsminister macht sich Frustration breit. Bei dem Gesetz geht es um Transparenz in der Tierhaltung und für die Verbraucher an der Ladentheke. Dagegen sperre man sich nicht, versichert Beringmeier: „Wir begrüßen die Fleischkennzeichnung, schließlich sind wir alle Verbraucher. Allerdings hätte man alle Tierarten und das komplette Sortiment berücksichtigen müssen.“

Die Tierhaltungskennzeichnung soll schrittweise passieren. Zunächst soll sie nur für frisches Schweinefleisch gelten – aus deutschen Ställen. Über mehrere Jahre wurde in der sogenannten Borchert-Kommission im Bundeslandlandwirtschaftsministerium im Austausch mit den Bauern ein Zukunftskonzept für mehr Tierwohl erarbeitet. Herkunft und Art der Haltung sollten transparent gemacht werden, um gleichzeitig der Landwirtschaft eine Perspektive zu geben – und die Zusatzkosten für die Umstellung der Betriebe auf mehr Tierwohl zu bezahlen. „Dieses fertige Konzept wird komplett zerstückelt“, wettert Beringmeier.

Spanien profitiert

Die Zahl der Schweinemastbetriebeund die Anzahl der Schweine in deutschen Ställen ist seit zehn Jahren rückläufig. Von mehr als 28 Millionen 2012 sank die Zahl der Tiere auf gut 22 Millionen im vergangenen Jahr. Knapp ein Drittel davon wird in Betrieben in Westfalen-Lippe gehalten. Hubertus Beringmeiers Familie betreibt selbst einen Schweinemastbetrieb in Ostwestfalen. Es werden immer weniger Betriebe in Deutschland, dafür mehr in Südeuropa. Was hierzulande an Kapazität wegfalle, werde eins zu eins durch Spanien ersetzt. Von den durchschnittlich rund 30 Kilogramm Fleischverzehr pro Kopf und Jahr in Deutschland stammten bereits heute elf Kilogramm aus dem Ausland, das es mit Vorschriften mitunter nicht ganz so genau nehme wie die Deutschen. Und denen es laut Beringmeier auch leicht gemacht werde, Standards zu umgehen. „Ausländische Produzenten können Tierwohl anhand von Bildern nachweisen“, argwöhnt der Präsident. Wie will man aus Berlin auch kontrollieren, wie Tiere im Ausland gehalten werden?

Dass die Enttäuschung der Bauern langsam in Wut umschlägt, begründen sie so: Alle Versuche, mit Minister Özdemir konstruktiv ins Gespräch zu kommen, scheinen verhallt zu sein. Die in Stellungnahmen verpackten Vorschläge der Bauernverbände zur Tierwohlkennzeichnung scheinen in Berlin auf taube Ohren gestoßen zu sein.

Kaum Gehör für „Zukunftsbauer“

In ein paar Tagen könnte es zur „grünen Woche der Wahrheit“ kommen. Am 20. Januar startet die internationale Leistungsschau der Landwirtschaft in Berlin. Dort werde man noch einmal den Dialog mit Minister Özdemir suchen. Fruchten diese Gespräche wieder nicht, dürfte die Geduld der Bauern endgültig am Ende sein. „Dann wird unsere Gangart härter werden müssen. Wir werden extrem Druck machen“, schließt Beringmeier auch massive Demonstrationen rund um die Messe Grüne Woche nicht aus.

Viel lieber würde der WLV sein Konzept „Zukunftsbauer“ lautstark bewerben. Es ist der Versuch, Landwirte für mehr Nachhaltigkeit zu begeistern, zu zeigen, was die Bauern heute schon in Sachen Arten- und Klimaschutz zu leisten imstande sind. So soll ein Imagewandel gelingen, bei dem Verbraucher die Landwirte eher als Umweltschützer statt Landschaftsverpester, Tierpfleger statt Tierquäler und als Energieversorger (Beispiel: Agri-PV) wahrnehmen. „Wir werden wahrscheinlich die Branche sein, die am meisten mit dem Klimawandel zu tun hat. Und wir haben Lösungen“, sagt Henner Braach, WLV-Vizepräsident aus dem Siegerland. CO2-Speicherung durch Humusanreicherung nennt Braach als ein Beispiel für Lösungen. Das Konzept Zukunftsbauer wäre auch ein Gespräch mit Cem Özdemir wert. Es müsste dem grünen Minister eigentlich gefallen. Bei der Grünen Woche dürfte der Zukunftsbauer angesichts der aktuellen Stimmung aber wohl übertönt werden.

Vom Euro im Laden kommen 21,7 Cent beim Bauern an

Für Bauern geht es bei der Transformation der Landwirtschaft auch darum, finanzierbare Konzepte zu entwickeln. Wenn man ihnen glaubt, am liebsten ohne Subventionen. Nach Angaben des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbandes ist der Erlös für die Produkte überschaubar.

Im Schnitt kommen lediglich 21,7 Cent pro Euro, den die Verbraucher im Laden bezahlen, auf den Höfen an. Von der Milch (36,4 Prozent) und Eiern (37,6 Prozent) bleibe aktuell noch am meisten. Für Kartoffeln (23,1 Prozent) sowie Fleisch und Wurst (19,9 Prozent) bleibe schon deutlich weniger.

Im Gebiet des WLV gibt es aktuell 23.469 landwirtschaftliche Betriebe. Das sind zwei Drittel aller Betriebe in NRW, wo rund 60.000 Menschen direkt in der Branche tätig sind. 17.469 Höfe betreiben Tierhaltung. 9178 Betriebe mit 863.771 Rindern, davon 3095 mit 211.061 Milchkühen.