Gelsenkirchen. Vor drei Jahren begann die Pandemie. Wie sieht es nun aus in den Gesundheitsämtern? Wer wertet die Erfahrungen aus? Werden noch Faxe verschickt?

Drei Jahre ist es nun her, dass sich der Mitarbeiter eines Autozulieferers in Bayern mit dem Corona-Virus infizierte. Er war Ende Januar 2020 der erste Patient in Deutschland. Es folgten drei Jahre Ausnahmezustand. Weltweit, im Ruhrgebiet, in jeder Schule, in jedem Seniorenheim, an jedem Arbeitsplatz, in jedem einzelnen Leben. Und im Brennpunkt all dieser Umwälzungen standen die Gesundheitsämter. Ihre Rolle, ihre Arbeit hat sich extrem gewandelt. Sind sie gerüstet für eine neue Pandemie?

Die Menschen

Gelsenkirchens Sozialdezernentin Andrea Henze.
Gelsenkirchens Sozialdezernentin Andrea Henze. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

„Vorher haben wir unsere Arbeit gemacht, gewissenhaft und gut, waren aber irgendwie im Dornröschenschlaf. Nach außen wurden wir kaum wahrgenommen, und auch nicht in der Verwaltung. Wir waren so ein Ämtchen“, sagt Gelsenkirchens Amtsärztin Emilia Liebers. „Plötzlich ging gar nichts mehr ohne das Gesundheitsamt. Wir wurden ganz nach vorne katapultiert.“

Sachbearbeiterinnen leiteten große Teams. Lernten kurz hintereinander vier verschiedene Programme zu bedienen. Erklärten den Chefs, was man besser machen könne – und die hörten auf ihre Mitarbeiter. Kurz: „Wir haben nun Leute, die wissen, was sie können“, sagt Liebers. „Die Krisen bewältigen können, wenn sie kommen.“

Die Verwaltung

Im November 2020 sprang Marvin Schröder der Amtsärztin als Krisenmanager bei. Er nahm ihr „den Verwaltungskram“ ab – das hat sich bewährt. Nun hat das Gesundheitsamt zwei gleichberechtigte Chefs. Liebers kann sich auf das Medizinische konzentrieren, die Bürokratie, den Haushalt, das Personal betreut Schröder. Diese neue Effizienz will man erhalten: mit Selbstverantwortung, flachen Hierarchien und Chefs, „die man immer fragen kann“. Mit einer Kultur, die offen ist für Veränderung und Vorschläge. „Die Pandemie war ein Beschleuniger der Flexibilität“, sagt Sozialdezernentin Andrea Henze.

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Konkret haben sie etwa die Schuleingangsuntersuchungen effizienter organisiert. Früher waren drei Mediziner vor Ort. Heute führt eine Sozialmedizinische Assistentin, oft eine Pflegerin mit Zusatzqualifikation, durch ein standardisiertes Programm. Und nur eine Ärztin schaut sich die Zweifelsfälle an.

Die Kommunikation

Digital und gut vernetzt – das ist das Idealbild des neuen Gesundheitsamtes.
Digital und gut vernetzt – das ist das Idealbild des neuen Gesundheitsamtes. © Bundesgesundheitsministerium

Große Schwachpunkte waren die Kontaktnachverfolgung und der Informationsfluss. Das Gesundheitsamt von heute ist deutlich besser vernetzt. Mittlerweile wissen alle Stellen in der Stadt, „wie wir uns gut erreichen“, sagt Schröder. Fallmeldungen können Schulen oder Seniorenheime an eine spezielle Mailadresse schicken, so muss keiner mehr in blockierten Leitungen warten. Das Amt kann auch seine Post besser zustellen. „Wir gleichen unsere Adresslisten zum Beispiel mit den Kitas ab und bemühen uns auch um die Mailadressen der Eltern.“ Denn bis zu ein Viertel erscheint nicht zur Schuleingangsuntersuchung – es ist aber im Interesse der Kinder, hartnäckig zu bleiben.

Vom Fax zur Digitalisierung

Es hat gedauert, bis Deutschland eine moderne Lösung fand, um schnell Fallzahlen zwischen Laboren, Ämtern und dem Robert-Koch-Institut auszutauschen – aber es gibt sie nun: Offiziell sind bereits sämtliche 375 Gesundheitsämter und viele Labore an „Demis“ angeschlossen, das „Deutsche Elek­tro­ni­sche Melde- und Infor­ma­tions­system für den Infek­tions­schutz“ – doch hier und da müssen die Daten noch von Hand vom eigenen in das zentrale System übertragen werden. Auch Arztpraxen und Apotheken sollen bald teilnehmen, die Funktionalität soll erweitert werden um andere meldepflichtige Krankheiten.

„Dass Gesundheitsämter so lange Faxe genutzt haben, hatte den Datenschutz als Hintergrund. Mails wurden als zu unsicher angesehen. Nun haben sie weitgehend auf sichere Software umgestellt“, erklärt Johannes Nießen, Amtsarzt in Köln und Vorsitzender des Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes. „Allerdings setzen viele Städte und Ämter auf eigene Lösungen. Nicht mehr die Hardware, aber die Schnittstellen zu anderen Systemen sind nun das Problem, da nichts standardisiert ist.“

In Gelsenkirchen funktioniert die Datenübergabe mittlerweile automatisch. Auch die Papierakte ist den Weg des Faxes gegangen. Videokonferenzen sind – wie überall – Alltag. Vorbei die Zeiten, als der Gesundheitsminister mit 150 Experten in einer Telefonkonferenz zu kommunizieren versuchte.

Das Geld und das Personal

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Natürlich sind die Städte groß in Vorleistung gegangen. Zwischenzeitlich arbeiteten dreimal so viele Personen in den Gesundheitsämtern wie zuvor. Plus Hilfskräfte. Die Situation ist aktuell dynamisch, da viele Zeitverträge nun auslaufen. Vor allem der „Pakt für den öffentlichen Gesundheitsdienst“ von Ende 2020 greift nun. Der Bund schüttet vier Milliarden Euro für Personal, Digitalisierung und moderne Strukturen aus bis 2026. Rund 1000 Stellen seien damit bereits entstanden, erklärt Nießen, 5000 sollen es werden, wobei der Mangel an Fachpersonal eine große Hürde ist. In Gelsenkirchen sind bereits insgesamt fast zwei Millionen Euro angekommen. Damit sind unter anderem die 90 Stellen um etwa ein Sechstel aufgestockt worden.

Die nächste Pandemie

Ja, es gibt Stellen, die systematisch Lehren aus der Pandemie ziehen: „Das macht der ExpertInnenrat der Bundesregierung“, sagt Nießen, er gehört selbst dem Gremium an. Der Abschlussbericht steht noch aus. „Das Gleiche machen die Deutsche Krankenhausgesellschaft und die Amtsärzte beim BVÖGD-Kongress Ende April in Potsdam.“ Es laufen auch viele Forschungsprojekte; von 26 Studien allein in Köln weiß Nießen. „Ich würde mir allerdings wünschen, dass auch die Länder das von sich aus betreiben würden.“

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Natürlich hätten die Ämter gelernt, sagt Nießen: Dass man Schulen möglichst lange aufhalten sollte. Dass man in Kliniken und Seniorenheimen Angehörigen zumindest in Grenzsituationen Zugang gestatten müsse. Aber wie Besuchsverbote gestaltet werden, ist bislang nicht standardisiert, ebenso wenig wie die Testung des Personals. Bundesweit einheitliche Leitlinien seien wünschenswert, um „die Polyphonie zu vermeiden“, die in der Krise zu Vertrauensverlusten geführt haben.

Auch Liebers sagt: „Es war ein Problem, dass wir keine einheitlichen Leitlinien hatten außer die des Robert-Koch-Instituts.“ Im Sommer hat sich das Team zusammengesetzt und ein „ausgeklügeltes Baukastensystem“ beschlossen. Welche Teams, welche Strukturen gebildet werden müssen. Denn eine schnelle, konsistente Reaktion sei wichtig, sagt auch Sozialdezernentin Andrea Henze: „Die Professionalität des Gesundheitsamtes erzeugt den sozialen Frieden draußen.“