Ruhrgebiet. Die AOK Rheinland/Hamburg analysierte Krankmeldungen von Versicherten aus dem Pflegebereich. Am höchsten war der Krankenstand in Oberhausen.
Der Personalmangel im Pflegebereich ist kein neues Thema, seit Jahren leiden Altenheime, Pflegeeinrichtungen, ambulante Dienste und Kliniken unter Engpässen. Doch im vergangenen Jahr haben die Ausfallzeiten in weiten Teilen Nordrhein-Westfalens eine neue Dimension erreicht: Der Krankenstand stieg 2021 auf den Rekordwert von 7,72 Prozent, wie aktuelle Auswertungen der AOK Rheinland/Hamburg zeigen. Vor allem die Beschäftigten in Alten- und Pflegeheimen sowie in der ambulanten Pflege waren häufig krank.
Auffallend: Die Analysen der Krankenkasse (rund drei Millionen Versicherte) zeigen eine stark zunehmende seelische Belastung des Personals in der Pflege: Die Fallzahlen psychischer Erkrankungen haben sich bei Beschäftigten an Rhein und Ruhr von 2006 bis 2021 um fast 70 Prozent erhöht.
Für den „Branchenbericht Pflege“ hatte das Institut für Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) die Arbeitsunfähigkeitsdaten von 85.000 bei der AOK Rheinland/Hamburg versicherten Arbeitskräften aus der stationären und der ambulanten Pflege analysiert. Der größte Teil von ihnen arbeitete in NRW.
Höchstwert bei AU-Tagen: Jede Arbeitskraft in der Pflege fiel 28,2 Tage aus
Seit 2017 nimmt den Untersuchungen des BFG zufolge der Krankenstand in der Pflege zu. Zuletzt ist er von 7,68 Prozent im Jahr 2020 auf 7,72 Prozent im vergangenen Jahr gestiegen. Das heißt, dass 2021 an jedem Tag durchschnittlich 7,72 Prozent der Beschäftigten krankgeschrieben waren. Vor zehn Jahren, also 2012, hatte der Wert noch bei 6,86 gelegen. Im Branchenvergleich liegt die Pflege an der Spitze der Tabelle, gefolgt von Metallerzeugung (2021: Krankenstand von 7,61 Prozent), Ver- und Entsorgungsbranche (7,35 Prozent) sowie Öffentliche Verwaltung (7,26 Prozent). Am niedrigsten war der Krankenstand in der Informations- und Kommunikationsbranche (3,03 Prozent).
Regional zeigten sich deutliche Unterschiede beim Krankenstand der Pflegenden Am höchsten war er in Oberhausen (9,75 Prozent), auch Essen (8,43 Prozent) und Duisburg (7,83 Prozent) lagen über dem Durchschnitt, Mülheim mit 6,93 Prozent aber darunter. Am wenigsten krank waren die Beschäftigten in Bonn (6,4 Prozent).
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Pflegende waren im vergangenen Jahr zudem auch länger krank. Ein erkrankter Arbeitnehmer wurde im vergangenen Jahr für durchschnittlich je 17,2 Kalendertage krankgeschrieben (2020: 17,0 Tage / 2019: 15,1 Tage). Manche natürlich gar nicht, manche wiederholt. So summierten sich die Arbeitsunfähigkeitstage (AU) 2021 bezogen auf alle (!) Versicherten im Pflegebereich auf den bisherigen Höchstwert von 28,2 AU-Tagen. Das heißt: Durchschnittlich fiel jeder Pflegende fast einen Monat lang wegen Krankheit aus (2020: 28,0 Tage, 2019: 27,4 Tage).
„Die Beschäftigten in der Pflege sind überdurchschnittlich hohen psychischen und physischen Belastungen ausgesetzt. Daher müssen in dieser Branche vor allem gute Arbeitsbedingungen im Fokus stehen. Neben der materiellen Ausstattung und einem adäquaten Personalschlüssel sind faire Dienstpläne und eine angemessene Entlohnung Faktoren, die den Pflegeberuf attraktiver machen“, sagt Rolf Buchwitz, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der AOK Rheinland/Hamburg.
Frauen weniger oft, aber länger krankgeschrieben als Männer
Die Auswertungen der AOK Rheinland/Hamburg zeigen zudem, dass Frauen in der Pflege seltener arbeitsunfähig werden als Männer. 2021 kamen auf jede Frau durchschnittlich 1,49 AU-Fälle, auf jeden Mann 1,68 AU-Fälle. Aber: Kranken Frauen fielen wesentlich länger aus als kranke Männer, im Schnitt waren sie 3,3 Kalendertage länger arbeitsunfähig.
Die Ursache dafür – liegt nicht nur in der Pflegebranche – häufig in der Art der Erkrankung. Brustkrebs beispielsweise wird während des Erwerbslebens deutlich häufiger diagnostiziert als typische Tumorerkrankungen von Männern wie Prostata- oder Lungenkrebs.
Psychische Erkrankungen: Fallzahlen stiegen seit 2006 um 70 Prozent
Frauen werden zudem häufiger wegen psychischer Erkrankungen wie etwa Depressionen behandelt. Solche Befunde sind meist mit langen Fehlzeiten verbunden, und in der Pflege sind viele Menschen davon betroffen. Von 2006 bis 2021 haben sich laut BFG die Fallzahlen im Bereich der „Psychischen Erkrankungen“ um fast 70 Prozent erhöht. Psychische Störungen machten 2021 rund acht Prozent aller AU-Fälle in der Pflege aus, damit waren sie die drittgrößte Diagnosegruppe. Zwischen Rhein und Ruhr sind die Beschäftigten damit durchschnittlich 7,9 Tage wegen psychischer Probleme ausgefallen – auf diesen Wert kam keine andere Branche.
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Auf Atemwegs-Erkrankungen gehen mit 16 Prozent die meisten AU-Fälle zurück, für weitere 15 Prozent „sorgten“ Beschwerden wie Rückenschmerzen, Bandscheibenschäden oder Schulterläsionen (Muskel-Skelett-Erkrankungen).
„Die Belastungen müssen dringend aufgefangen werden. Es gilt, die Arbeitsbedingungen so zu gestalten, dass Mitarbeitende langfristig gesund und motiviert bleiben. Mit einem nachhaltigen betrieblichen Gesundheitsmanagement können Einrichtungsleitungen die psychische und körperliche Gesundheit ihrer Beschäftigten stärken“, sagt Andreas Schmidt, Geschäftsführer des BGF-Instituts.
>>> INFO: Corona in der Pflegebranche
Im Jahr 2021 sind auf 100 Beschäftigte in der Pflege im Gebiet der AOK Rheinland/Hamburg 4,1 AU-Fälle mit der Diagnose Corona gekommen. Obwohl viele Beschäftigte priorisiert gegen Covid-19 geimpft worden waren. Das SarsCoV2-Virus hat demnach zu 52,9 Ausfalltagen je 100 Versicherte geführt.
Die Umsetzung von Hygienemaßnahmen – etwa Abstand halten oder Arbeiten im Homeoffice – ist in der Pflegebranche schwer möglich. Körpernahe Dienstleistungen setzen einen direkten Kontakt voraus.