Mülheim. In der Pflege fehlen seit Jahrzehnten Personal und Geld - wo bleiben die Lösungen? Kritische Stimmen gab es jetzt bei einem Fachtag in Mülheim.

Um die Pflegestärkungsgesetze und ihre Nützlichkeit in der Praxis ging es kürzlich bei einem Fachtag im Mülheimer Seniorenheim Haus Ruhrgarten. „Wir haben seit Jahrzehnten Gehampel in der Pflege, doch die eigentlichen Probleme wurden nicht behoben“ - diese Einschätzung von Einrichtungsleiter Oskar Dierbach teilen die anwesenden Praktiker. Was also tun?

Zur Tagung eingeladen hatte die Arbeitsgemeinschaft der stationären Pflegeeinrichtungen in Mülheim, der 15 Seniorenheime angehören, also die überwiegende Mehrheit der Häuser hier in der Stadt. Dementsprechend waren zahlreiche Einrichtungs- und Pflegedienstleitungen bei der Veranstaltung vertreten.

„Sau wird jedes Jahr neu durchs Dorf getrieben“

Der Hauptreferent, Prof. Ronald Richter aus Hamburg, Sozialrechtler und Anwalt, tritt als wortgewandter Kritiker der Pflegestärkungsgesetze auf. Es sei üblich, so Richter, „dass in der Pflege die Sau jedes Jahr neu durchs Dorf getrieben

Kritische Stimme: Prof. Ronald Richter (li.) beim Pflege-Fachtag im Mülheimer Altenheim Haus Ruhrgarten.
Kritische Stimme: Prof. Ronald Richter (li.) beim Pflege-Fachtag im Mülheimer Altenheim Haus Ruhrgarten. © FUNKE Foto Services | Tamara Ramos

wird.“ Gigantisch viel Geld würde nun zusätzlich ausgegeben, „aber nur ein Tropfen davon ist in der professionellen Pflege angekommen.“ Im Zuge seines Vortrags nimmt er einzelne Neuregelungen systematisch auseinander, als wenig tauglich für die Praxis, etwa die Einführung der neuen Pflegegrade oder das künftige Qualitätsprüfungssystem, Stichwort: Pflege-TÜV. Er fragt provokant: „Bislang wurden die Prüfberichte eingerahmt - wo stellen Sie künftig die Litfaßsäule hin?“.

Leute erkundigen sich, wo das zusätzliche Personal bleibt

Viel öffentliche Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat das von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn angeschobene „Sofortprogramm Pflege“, das kurzfristig 13.000 neue Stellen bringen soll. Aber auch hier gibt es offenbar Umsetzungsprobleme, zumal die Pflegeheime gesetzlich verpflichtet sind, in der Betreuung zu mindestens 50 Prozent Fachkräfte einzusetzen. So berichtet der Leiter eines Altenheims: „Die Leute kommen in unsere Einrichtung und sagen: ,Ihr habt doch so viel neues Personal. Wo sind die Leute denn?’“ Er müsse dann erklären, dass er keine Pflegekräfte finde und zusätzliche Stellen noch nicht refinanziert seien.

Auch Gudrun Gross, Leiterin des Evangelischen Wohnstiftes Uhlenhorst, kennt dieses Problem. Ihr Haus, das 105 Pflegeplätze hat, könnte eineinhalb weitere Stellen schaffen, doch besetzt sind diese noch nicht. Eine Option wäre es, Teilzeit- in Vollzeitstellen umzuwandeln. „Aber viele Mitarbeiterinnen können oder wollen nicht in Vollzeit arbeiten“, erklärt Gross. Außerdem gebe es Stoßzeiten, etwa am frühen Morgen, zu denen besonders viel zu tun ist und mehr Leute gebraucht werden. „Da hilft es wenig, Stellen aufzustocken.“

Gute Fachkräfte selber ausbilden

Demgegenüber erklärt Jens Schmidt, Leiter der Alloheim-Residenz „Wohnpark Dimbeck“, es wisse, dass viele Häuser Personalsorgen haben, aber „uns geht es sehr gut“. Erstens hätten sie nur geringe Fluktuation bei den Mitarbeitern, und zweitens viele Azubis. Momentan seien es zehn Nachwuchskräfte, „Tendenz steigend“, so Schmidt. „Gute Fachkräfte sind nicht auf dem Markt, die muss man sich selber heranziehen.“

Hier kommt das neue Modell der Generalistischen Pflegeausbildung ins Spiel, gegen das vor allem die Träger von Altenpflegeeinrichtungen zu Felde ziehen. Prof. Ronald Richter plädiert auf der Tagung im Ruhrgarten dafür, „den

Gesetzesflut in der Pflege

Seit 2015 sind nacheinander drei Pflegestärkungsgesetze (PSG I bis III) bundesweit in Kraft getreten. Wichtige Veränderungen, die sie mit sich gebracht haben, sind unter anderem höhere Leistungen der Pflegeversicherung und ein neues Begutachtungsverfahren, bei dem die bisherigen drei Pflegestufen durch fünf Pflegegrade ersetzt worden sind.

Außerdem wurde ein Pflegeberufereformgesetz verabschiedet: Ab Januar 2020 startet eine Generalistische Pflegeausbildung. In den ersten beiden Jahren werden alle Azubis gemeinsam ausgebildet, im dritten Jahr können sie entscheiden, ob sie den allgemeinen Weg zur Pflegefachfrau bzw. zum Pflegefachmann fortsetzen wollen oder lieber einen der bekannten Abschlüsse in der Kinderkranken- oder Altenpflege machen möchten.

Die Erfahrungen mit der generalistischen Ausbildung sollen bis Ende 2025 ausgewertet werden. 2026 entscheidet der Bundestag neu.

Ferner wurde ein Pflegesofortprogramm verabschiedet: Für die Altenheime gibt es insgesamt 13.000 Pflegekräfte mehr. Danach bekommen Einrichtungen mit 81 bis 120 Bewohnern eineinhalb zusätzliche Stellen, finanziert über die Pflegekassen.

Tarifvertrag für die Krankenpflege eins zu eins auch verbindlich in der stationären Altenpflege umzusetzen“. Spätestens in drei Jahren müsse dies geschehen, wenn die ersten Absolventen nach dem neuen Modell auf dem Markt sind.

Menschenwürdige Pflege

Einrichtungsleiter Oskar Dierbach, selbst seit vielen Jahren im Beruf und Mitinitiator der Mülheimer Qualitäts-Offensive Pflege, hat die Hoffnung auf nachhaltige Verbesserungen noch nicht ganz aufgegeben. Warum es bisher keine echte „Pflegestärkung“ gegeben hat, kann er nur vermuten: „Entweder Inkompetenz, oder man will die Menschenwürde in der Pflege gar nicht beachten.“