Berlin. Kaum eine Berufsgruppe steht in der Pandemie so unter Druck wie die Altenpflegerinnen und Altenpfleger. Manche von ihnen geben auf.
Branka Ivanisevic arbeitet gerade ihren sechsten Tag in Folge, auch das nächste Wochenende ist sie noch im Dienst. Erst nach dem zwölften Tag hat sie drei Tage frei, bis der nächste 12-Tage-Turnus beginnt.
Sie ist Altenpflegerin in einem Pflegeheim der Diakonie in Neu-Isenburg bei Frankfurt, seit 20 Jahren in diesem Beruf. Einen Beruf, den sie liebt – und den sie trotzdem aufgibt: „Jeden Tag, jede Woche kam noch eine Schicht und eine neue Auflage hinzu. Immer nur heißt es: ‚Bitteschön macht das‘. Ich konnte nicht mehr funktionieren.“
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Abrechnung mit der Branche
Ihr letzter Arbeitstag wird offiziell der 31. März sein, inoffiziell steigt sie schon Mitte März aus, Resturlaub und zehn Tage Überstunden machen es möglich. Ivanisevic rechnet in unserem Telefongespräch mit der Pflegebranche ab. „Es geht letztendlich immer nur ums Geld, dabei müsste es um die Menschen gehen und die Frage, wie wir leben und behandelt werden möchten, wenn wir alt sind. Und wir werden alle alt.“
Doch das ist nicht alles, auch von der Gesellschaft fühlt sie sich im Stich gelassen: „Ich fühle meine Arbeit nicht genug wertgeschätzt.“ Zwar sei die Altenpflege seit der Corona-Pandemie in aller Munde, aber einen positiven Effekt auf ihre Arbeitssituation habe das nicht gehabt. Auch interessant:Spahn: Harter Lockdown nicht über den gesamten Winter
„Natürlich haben während des ersten Lockdowns die Leute auf ihren Balkonen geklatscht. Davon kann ich mir aber nichts kaufen, vor allem keine neuen Kollegen, damit wir die Arbeit besser verteilen können.“ Und sie kommt zu einem wirklich harten Fazit: „Ich würde meiner 16-jährigen Tochter nie erlauben, dass sie Altenpflegerin wird.“
Verantwortung für 40 Bewohner und 20 Mitarbeiter
Die 46-Jährige arbeitet in Vollzeit und führt eine Station. Damit trägt sie die Verantwortung für 40 Bewohner und 20 Mitarbeiter, in Vollzeit verdient sie brutto 3800 Euro, netto bleiben ihr, weil sie in der besseren Steuerklasse als ihr Mann ist, 2400 Euro, aber allein ihre Vier-Zimmer-Wohnung im Rhein-Main-Gebiet kostet 1600 Euro Miete.
Ihr Gehalt ist niedriger als das eines Krankenpflegers in gleicher Position. Laut Verdi bekommen Krankenpfleger im Schnitt 20 Prozent mehr Gehalt als Altenpfleger, auch wenn sie die gleiche Ausbildung haben. Dazu kommt die körperliche Belastung und die ständig steigenden Anforderungen wegen des Personalmangels.
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Massive Nachwuchssorgen
Die Altenpflege hat massive Nachwuchssorgen. Von den vier Pflegeauszubildenden, die in der Einrichtung von Ivanisevic lernen, will keiner in der Altenpflege bleiben. 2018 arbeiteten 1,7 Millionen Menschen in Deutschland in der Pflege, davon 600.000 in der Altenpflege, der Bedarf wird aber jedes Jahr wegen der alternden Gesellschaft größer.
„Keiner kann die Altenpflege schönreden“, sagt Ivanisevic. Nach drei Jahren Ausbildung bekomme eine Altenpflegerin 2600 Euro brutto. Das sei kein Anreiz. Auch interessant:Experten: Krebsvorsorge nicht wegen Pandemie vernachlässigen
Berufswahl nicht bereut – trotzdem viel Kritik
Johannes Hermann, 57, ist gelernter Altenpfleger in Dresden. 1984 hat er als Stationshelfer in der Pflege angefangen. Seine Berufswahl hat er zwar bis heute nicht bereut, aber er übt viel Kritik: Vor allem an der Einführung der Pflegeversicherung im Jahr 1995, damals sei den kommerziellen Investoren Tür und Tor geöffnet worden. Lesen Sie auch: Corona: Koalition beschließt Zuschuss für Hartz-IV-Empfänger
Die Folge war eine Erosion der Gehälter und Altenpflege unter marktwirtschaftlichen Aspekten. „Dabei betrifft uns das Thema Pflege alle, entweder als Einzahler, als Angehöriger oder als zu Pflegender“, sagt er am Telefon. „Kollegen spüren zwar von vielen Angehörigen Dankbarkeit, aber die Rahmenbedingungen müssen sich dringend ändern.“
Angst jemanden anzustecken
Die letzten Monate seien vielen seiner Kolleginnen und Kollegen „unter die Haut gegangen“. Neben den Belastungen war da auch die Angst jemanden anzustecken. „Selbst altgediente Kollegen haben die vielen Corona-Tode fassungslos gemacht. Das war traumatisch.“
Die Missstände in der Pflege haben laut Hermann vor allem mit der fehlenden Zeit zu tun. Er gibt ein Beispiel: „Stellen Sie sich vor, Sie müssen auf die Toilette und können nicht allein gehen. Sie müssen auf eine Pflegekraft warten, die nicht kommen kann, weil sie schon jemand anderes versorgt.
Wie geht es Ihnen bei diesem Gedanken?“ Manchmal könnten Selbstverständlichkeiten nicht stattfinden. „Es fehlt die ganze Zeit, Zeit, Zeit.“ Hinzu komme der Personalmangel. Laut Forschern der Uni Bremen fehlt gut ein Drittel an Personal in der Langzeitpflege. Das wären bundesweit 100.000 Vollzeitstellen.
Verdi: „Corona-Pandemie wirkt wie ein Brennglas“
Die Probleme sind zwar bekannt, doch haben sie durch die vielen Corona-Fälle in Pflegeheimen neue Aufmerksamkeit bekommen: „Die Corona-Pandemie wirkt für die Missstände in der Altenpflege wie ein Brennglas“, sagt Matthias Gruß, bei Verdi zuständig für Altenpflege-Einrichtungen.
Gruß hat in Gesprächen erfahren, dass Pflegekräfte in einem „ständigen Alarmzustand“ leben. „Viele von ihnen werden krank, und der hohe Krankenstand wird für das gesunde verbliebene Personal zur nächsten Belastung.“ Lesen Sie auch:Deutscher Ethikrat gegen Sonderrechte für geimpfte Personen
Deutschen Pflegeverband fordert Tarifgehalt
Ähnlich sieht es Martina Röder, Vorsitzende des Deutschen Pflegeverbandes. Sie beschreibt die aktuelle Situation und die Testungen der Bewohner sowie aller Mitarbeiter als Belastungsprobe. Zwar sei „die konsequente Einhaltung der Hygienekonzepte der Träger immer von Bedeutung. Die Wertschätzung der Pflege in der Bevölkerung wird politisch aber nicht in dem gebotenen Maße realisiert.“
Neben einem Tarifgehalt fordert Röder flexible Arbeitszeiten und neue Personalschlüssel. Verdi will mit einer „Solidarischen Pflegegarantie“ die Situation verbessern. Eine Pflegeversicherung für alle, die alle pflegebedingten Kosten abdeckt und in die jeder entsprechend seines Einkommens einzahlt.
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