Ruhrgebiet. Die Städte bereiten sich auf die Antragsflut für das Wohngeld Plus vor. Doch Geld wird vielerorts wohl erst im Frühjahr fließen — oder im Sommer.
Es gibt wohl keine Stadtverwaltung, die gerade nicht noch ein paar Stellen zusammengekratzt, um ihre Wohngeldstelle besser zu besetzen. Denn mit dem neuen Jahr sollen plötzlich dreimal so viele Menschen Anspruch haben auf das neue Wohngeld Plus. Am Donnerstag berät der Bundestag über diesen Teil des Entlastungspaketes, der vor allem Geringverdienern und Rentnern helfen soll angesichts der explodierenden Heizkosten. Doch es ist bereits abzusehen, dass vielerorts der Winter längst vorbei sein wird, bevor die Hilfe ankommt – denn die Bearbeitung der Anträge wird ein Kraftakt für die Städte.
„Wenn bald ein deutlich größerer Kreis berechtigt ist und zudem ein neues Berechnungsverfahren kommt“, werde sich die Bearbeitungszeit über die üblichen acht Wochen hin ausdehnen, prognostiziert Hans-Jochem Witzke, Vorsitzender des Deutschen Mieterbundes NRW. „Wir fürchten, dass die ersten Auszahlungen erst im Frühjahr erfolgen – oder sogar erst Anfang des Sommers.“ Witzke befürchtet, dass viele Haushalte „drastische Nachzahlungen bei den Heiz- und Betriebskosten“ nicht aufbringen können. Man müsse wissen, dass solche Zahlungsrückstände zu einer Kündigung führen können.
Darum mache es Sinn, seinen Antrag frühzeitig zu stellen, erklärt Witzke. „Es gibt im Netz bereits Wohngeldrechner, mit denen man seine Berechtigung nach den neuen Regeln selbst prüfen kann.“ Eine einfache Formel gibt es nicht. Berechtigt ist, wer ein eigenes Einkommen hat, dazu zählen Arbeitslosengeld I, Kurzarbeitergeld und die Rente. Die Mietkosten und die Wohnverhältnisse entscheiden mit, auch Eigentümer können berechtigt sein. Nach den neuen Regeln sollen zwei Millionen statt derzeit 660.000 Haushalte Anspruch haben – etwa fünf Prozent der Bevölkerung. Das durchschnittliche Wohngeld soll sich ungefähr verdoppeln auf 370 Euro pro Monat. Für Hartz IV-Aufstocker kann das Wohngeld eine Alternative sein, denn auch Kindergeld und -zuschlag werden dann wieder gezahlt.
Drei Monate dauert die Bearbeitung teilweise schon
Das Personal ist dünn in den Wohngeldstellen, denn schon 2020 stiegen die Anträge deutlich, in Dortmund etwa um mehr als ein Viertel (von monatlich rund 1150 auf 1460 Anträge). Zum einen ist bereits vor zwei Jahren der Kreis der Empfänger ausgeweitet worden, zum anderen sank das Einkommen vieler Menschen in der Pandemie. So dauert die Bearbeitung in Essen schon heute drei Monate, vor Corona ging es in einem Monat. Dortmund braucht sechs bis acht Wochen, „in vielen Fällen“ auch länger – dort hat man die Wohngeldstelle schon zur letzten Novelle um vier Stellen aufgestockt.
Dass die Geflüchteten aus der Ukraine zum Anstieg der Anträge beitragen, wie manchmal behauptet wird, sei „nicht erkennbar“, so ein Sprecher Dortmunds. Es sind auch nur die berechtigt, die arbeiten und keine Grundsicherung mehr beziehen. Zeit nehmen sich die Sachbearbeiter insbesondere für ältere Kundinnen und Kunden, die noch persönlich vorbeikommen und beraten werden müssen. Notwendig ist ein persönliches Erscheinen nicht mehr. Das Wohngeld ist eine der wenigen Dienstleistungen, die man online beantragen kann, über den NRW Wohngeldrechner oder die Initiative Gemeinsam Online des Bundesministeriums für Digitalisierung. Freilich muss man dann noch Gehaltsnachweise und ähnliches per Post nachsenden.
Reserven? Fehlanzeige
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Aber woher soll das Personal nun kommen? Reserven in anderen Ämtern gibt es kaum, auf dem Markt sei so viel Personal nicht zu finden, heißt es zum Beispiel in Witten. Dort ist die Wohngeldstelle regulär mit 6,5 Stellen besetzt. Sollte sich die Zahl der Anträge verdreifachen, „müssten da am Ende 20 Leute sitzen“, sagt Amtsleiter Michael Gonas. Immerhin will die Stadt ihre Azubis ins Wohnamt schicken.
„Eine zeitnahe Bearbeitung der Anträge wird voraussichtlich schwer umzusetzen sein“, erklärt Dortmund. So viel qualifiziertes Personal sei so schnell kaum zu finden, man arbeite darum an Übergangslösungen. Und auch in Herne setzt man neben Neueinstellungen und Schulungen auf: Aushilfskräfte: Vor längeren Bearbeitungszeiten warnen alle. So sieht Essen die Wohngeldstelle vor einer „großen Herausforderung“. Man gehe davon aus, dass nicht nur das Dreifache der jetzigen Anträge kommen wird, sondern noch deutlich mehr – hinzu kommen die Anträge, die abgelehnt werden.
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Und noch immer stellen viele Berechtigte keinen Antrag, sei es aus Unwissenheit, sei es aus Scham oder Stolz. Der Wohngeldantrag wird gerade von Schuldnerberatungen oft empfohlen. Gerade Essen hat hier Nachholbedarf. Während in Düsseldorf 2,2 Prozent der Haushalte Wohngeld beziehen, sind es in Essen nur 1,8 Prozent – rund 2100 Haushalte weniger. Das bedeutet keineswegs, dass in Düsseldorf mehr Berechtigte leben. In Duisburg und Dortmund liegen die Quoten ähnlich hoch. Wahrscheinlicher ist es, dass in Essen sehr viel mehr Berechtigte keinen Antrag gestellt haben – und die Düsseldorfer einfach besser informiert sind.
Info: Wann lohnt es sich, den Antrag zu stellen?
Muss ich als Wohngeldbezieher einen neuen Antrag stellen, um in den Genuss des höheren Wohngeldes Plus zu kommen?
Nein. Denn alle laufenden Bezüge werden von Amts wegen überprüft. Ab dem neuen Jahr werden automatisch die neuen Regelungen des Wohngeldes Plus angewendet. Auch ein „Änderungsantrag“ oder Ähnliches ist nicht notwendig. So steht es im Entwurf des neuen Wohngeld-Plus-Gesetzes (§ 42d), über das der Bundestag am Donnerstag debattieren soll.
Mein Antrag wurde abgelehnt, nach den neuen Regeln könnte ich aber berechtigt sein. Muss ich einen neuen Antrag stellen?
Ja. „Bereits in 2022 gestellte und abgelehnte Anträge werden nach bisherigem Kenntnisstand nicht erneut auf die Regelungen des Wohngeld-Plus-Gesetzes überprüft“, teilt die Stadt Essen stellvertretend mit.
Sollte ich mit einem Antrag bis zum neuen Jahr warten?
Wenn Sie nach den alten Regeln berechtigt sind, sollten Sie nicht warten. Jeder Monat bringt Geld. Gegebenenfalls kommen Sie in diesem Jahr noch in den Genuss des Heizkostenzuschusses, der einmalig für die letzten drei Wintermonate gewährt wird (im Wohngeld Plus ist er enthalten). Sind Sie nur nach den neuen Regeln berechtigt, sollten Sie dagegen warten. „Eine Antragstellung für Wohngeld Plus ist nach bisherigem Kenntnisstand erst ab dem ersten Januar möglich“, erklärt die Stadt Essen. Zwar werden Anträge, die jetzt gestellt und im neuen Jahr bearbeitet werden, ab Januar nach den neuen Regelungen bearbeitet – aber man kann nicht wissen, wann ein Fall bearbeitet wird. Auf der sicheren Seite ist man, wenn man den Antrag möglichst früh im neuen Jahr stellt.
Wie kann ich prüfen, ob ich berechtigt bin?
Nach den alten Regeln prüft noch der NRW Wohngeldrechner. Die neuen Regeln sind noch nicht offiziell beschlossen. Privat angebotene Rechner können eine erste Orientierung bieten. Man sollte aber noch einmal prüfen, sobald die Rechtslage klar ist.