Ruhrgebiet. Eine Idee der Emschergenossenschaft beflügelt Fantasien: Bottrop, Castrop-Rauxel, Gelsenkirchen und Oberhausen wollen den Emscherstrand.
Im Bernepark in Bottrop ist die Emscher noch ganz bei sich: ein schnurgerader Flusslauf in einem Bett aus Betonplatten, und auch das berühmte Warnschild des ins Wasser stürzenden Kindleins hängt hier. Selbst wenn in den nächsten Jahren und Jahrzehnten der ganze Fluss renaturiert wird: Dieser Abschnitt soll als eine Art Gedenkstätte so bleiben, um den Leuten zu zeigen, wie künstlich die Emscher einmal war.
Schwer vorstellbar, dass nur einen Kilometer von hier ein „Emscherstrand“ entstehen soll. Bottrops Planer haben das schon länger als Projekt für die „Internationale Gartenausstellung 2027“ im Ruhrgebiet angemeldet, wollen sie dort vor allem mit Fuß- und Radwegen zugänglich machen. Von Sand ist da noch nicht die Rede. Aber der Begriff ist in der Welt.
„Wir müssen auch immer weiter verrückte Ideen entwickeln“
Vor wenigen Wochen dann hat die Emschergenossenschaft selbst das Fantasie anregende Wort vom Emscherstrand fallen gelassen. „Wir müssen“, so ihr Vorstandsvorsitzender Ulrich Paetzel, „auch immer weiter verrückte Ideen entwickeln, um die Menschen für unsere Projekte zu begeistern“. Allerdings sind im Moment vor allem diverse Anliegerstädte begeistert und haben sich entschlossen in Gedankenspiele gestürzt. Ihr Spiel heißt „Stadt Strand Fluss“.
Prinzipiell kein Problem. Fluss-Strände mit mehr oder weniger Qualität, mit mehr oder weniger Sand gibt es etwa in München und Wien, in Stuttgart, Bremen und Bremerhaven. Im serbischen Novi Sad findet sich nah der Innenstadt an der Donau Sand ohne Ende, Bars, Sonnenliegen und -schirme, Schwimmbereiche und Rettungsschwimmer, gute Laune, alles; die Anlage von 1911 trägt sogar noch ihren alten habsburgischen Namen in deutscher Sprache: „Strand.“
„Die Emscher ist endgültig von der Schwatten zur Blauen geworden“
Zurück ins Ruhrgebiet. „Die Strand-Idee ist toll“, sagt etwa Oberhausens Strategie-Dezernent Ralf Güldenzopf. Im Vorort Holten habe der Fluss ausreichend Platz, und die Ufer fallen flach zum Fluss hin ab. 20 Kilometer weiter westlich „begrüßt“ auch Gelsenkirchen nicht völlig unerwartet das Vorhaben. Paetzel hatte beide Städte für den Strand ins Gespräch gebracht - und, einmal dabei, in einem Nachsatz auch noch Castrop-Rauxel.
Dessen Bürgermeister Rajko Kravanja (SPD) äußert sich schon angemessen begeistert: „Ein Emscherstrand für Castrop-Rauxel ist eine tolle Idee, die wir gerne umsetzen würden, und die zeigen kann, dass die Emscher von der Schwatten endgültig zur Blauen geworden ist.“
Böschungen in Gelsenkirchen sollen „flacher“ und „vielseitiger“ werden
In Gelsenkirchen sind die Umstände deutlich erschwert. Auf 8,3 Kilometern Länge fließt der Fluss hoch eingedeicht durch die Stadt, überwiegend dicht an Industrie und Wohnhäusern entlang, von Straßen und Rohren aufs Engste begleitet. Die Böschungen sollen „flacher“ und „vielseitiger“ werden, wo das möglich ist, doch soweit absehbar, wird der Flusslauf weitgehend eingezäunt bleiben.
Und doch hat Ilias Abawi, der Sprecher der Emschergenossenschaft, in diesen Tagen seine liebe Mühe, das Wort vom Strand wieder einzufangen. Das riecht einfach schon nach Sonnencréme und hat sich selbstständig gemacht auf den Flügeln der Fantasie. Abawi erdet die hochfliegenden Träume mit dem Satz: „Wir werden jetzt nicht eine Tonne Sand aufschütten.“ Zumindest nicht gleich.
Der „Erlebensraum Lippeauen“ in Hamm bekommt eine Art Strand
Denn noch ist Emscherwasser überwiegend Abwasser aus Kläranlagen: Die Frage stellt sich einfach nicht, Menschen in die Emscher zu lassen. „Schwimmen und baden in der Emscher wird noch lange Zeit nicht möglich sein.“ Schon eher, sich an ihr zu sonnen oder die Füße ins Wasser zu strecken; Eiswagen, darf man annehmen, kommen dann von selbst.
Wie das einmal aussehen könnte, zeigt sich derzeit in Hamm. Dort bauen die Stadt und die Emschergenossenschaft (in ihrer gleichzeitigen Eigenschaft als „Lippeverband“) nah der Innenstadt an einem naturnahen „Erlebensraum Lippeauen“, und als sie das teilweise befestigte Ufer abtrugen, offenbarte sich darunter: sandiger Boden.
Emscher soll „nicht in 50 oder 100 Jahren noch eingezäunt sein“
Auch entstehen auf der Großbaustelle zwei Erhebungen. „Verweilinseln“ werden sie offiziell genannt: „Das sind erhöhte Bereiche mit leichter Neigung in Richtung Lippe, von wo aus die Besucher später, auf einer Decke liegend, einen schönen Blick auf das Wasser genießen können“, sagt Lukas Huster, Sprecher der Stadt Hamm. Der entstehende „Lippestrand“ ist dagegen ausdrücklich nicht als Badestrand ausgewiesen „aufgrund der allgemeinen Wasserqualität“. Die hält freilich weder an der Ruhr noch am Rhein-Herne-Kanal Menschen davon ab, ins Wasser zu steigen.
Der Emscherstrand auf Sand gebaut? Das dann auch wieder nicht. „Menschen in der Emscher, dass muss von der Wasserqualität her langfristig machbar sein“, sagt Ilias Abawi: „Sie soll nicht in 50 oder 100 Jahren noch eingezäunt sein.“ Oder vielleicht doch: Dann aber mit Kassenhäuschen und Drehkreuz.