Essen. Zwei Frauen aus dem Ruhrgebiet berichten über ihre Ausgaben in Zeiten der Inflation. Bei einer ist die Gasrechnung nun so hoch wie manche Miete.
Nennen wir sie Michaela Weber, auch wenn sie in Wahrheit anders heißt. Aber in dieser Geschichte geht es um Geld. Und darüber spricht es sich anonym leichter in Zeiten von Shitstorms und Internet-Hetze. Gerade jetzt, wo es auch bei Menschen knapp wird, die sich das nicht vorstellen konnten.
Neulich hat sich die 61-Jährige mal hingesetzt, hat aufgeschrieben, was an Geld hereinkommt und jeden Monat wieder rausgeht. „Man muss ja wissen, ob es noch reicht“, sagt Michaela Weber. „Mittelschicht“, hätte sie vor ein paar Wochen noch geantwortet, wenn man sie gefragt hätte, wo sie sich und ihren Lebensgefährten sieht. „Nicht reich, um Gottes Willen“ aber weit weg von arm. Ein Paar, das das Geld nicht verprasst aber sich auch einmal etwas gönnt. „Wenn wir raus gehen, halten wir uns nicht den ganzen Abend an einem Glas Bier fest“, sagt sie.
Die Mutter von zwei erwachsenen Kindern setzt sich an den Tisch in ihrer Küche und greift zu einem Block mit vielen Zahlen. Bei den Einnahmen muss sie nicht lange überlegen. 20 Stunden in der Woche geht Weber im Betrieb ihrer Schwestern arbeiten. 1500 Euro Netto bekommt sie, auch wegen der Zuschläge für Wochenendarbeit, die sie oft leisten muss. Ihr Partner ist selbstständig, legt noch einmal 900 Euro in die gemeinsame Kasse. „Ja“, sagt Weber, „das klingt erst einmal nach viel. Ist es aber gar nicht.“
„Man lässt die Kinder ja nicht im Stich“
Der Kugelschreiber fliegt über das Papier. 500 Euro für Miete. Warm. „Das ist günstig für 85 Quadratmeter, selbst im Ruhrgebiet“, weiß Weber. Doch dafür führen die Webers viele kleine Reparaturen in ihrer Wohnung auch selber aus. Abzahlung für das Auto, Telefon, Strom, Versicherungen, Rundfunkbeitrag und ein Pay-TV-Abo für die Bundesliga machen noch einmal rund 550 Euro im Monat. „Sky könnte ich natürlich kündigen“, räumt sie ein. „Aber ich bin großer Fußballfan.“
- Lesen Sie dazu auch: Inflation: Scholz kündigt weitere Entlastungen für Bürger an
Bei einem ihrer Söhne ist es derzeit „finanziell eng“, den unterstützt sie mit gut 200 Euro alle vier Wochen. „Man lässt die Kinder ja nicht im Stich.“
Bleiben 1150 Euro. Für Essen und Tanken. „Benzin spielt keine große Rolle“, sagt Weber. „Wir haben Glück, dass alles, was wichtig ist, in der Nähe ist.“ Und zu den Weltenbummlern zählt das Paar auch nicht. „Ostseeküste, Ferienwohnung mit Meerblick, das reicht.“
„Ich gucke im Supermarkt nur noch, wo die roten Schilder sind“
Aber das Essen. Da geht „einiges an Geld drauf“ im Hause Weber. „Ich koche nicht gerne. Deshalb haben wir uns bisher oft etwas kommen lassen oder sind essen gegangen. Das machen wir jetzt immer seltener.“ Stattdessen studieren sie noch aufmerksamer als früher die Angebote in den Supermärkten. „Ich gucke nur noch, wo die roten Schilder sind.“ Was nicht im Angebot ist, das wird nicht gekauft, Grundnahrungsmittel ausgenommen. Auch nicht in der eventuell vorhandenen Billig-Alternative. „Entweder Markenware oder gar nichts, ich weiß das ist bekloppt.“
550 Euro im Monat sind trotz Sonderangeboten keine Seltenheit. Auch weil Kinder und Enkel gerne mal für ein langes Wochenende einfallen bei den Webers. „Das freut uns natürlich sehr, aber wenn die Familie wieder weg ist, ist der Kühlschrank auch leer.“
Zum Glück, sagt die zweifache Großmutter, habe sie vor einiger Zeit mit dem Rauchen aufgehört. Klar, vor allem wegen der Gesundheit. „Aber mindestens eine Packung am Tag, das könnte ich mir heute auch gar nicht mehr leisten.“
Strom und Öl werden auch nicht billiger
Gut 600 Euro hat Michaela Weber damit in normalen Monaten zur Verfügung. Wenn keine plötzlich defekte Waschmaschine dazwischenkommt oder ein Fernseher der nach zehn Jahren treuer Dienste den Geist aufgibt. Aber auch ohne solche Zwischenfälle waren viele Monate in den vergangenen Jahren alles andere als normal. „Während der Lockdowns hat mein Partner manchmal gar nichts verdient.“ Dann hat sie „ausgeholfen“, hat auf ihr Sparbuch zugegriffen, wo sie einzahlt, was sie an Zigarettengeld spart. „Aber auch das geht natürlich irgendwann zu Ende.“
- Lesen Sie dazu auch: Menschen im Ruhrgebiet: „Wir werden immer ärmer!“
Zurzeit läuft es ganz gut bei ihrem Lebensgefährten. „Ich kann wieder jeden Monat was zurücklegen.“ Aber wie lange? „Der Hammer kommt erst noch“, macht sich Weber nichts vor. Der Vermieter hat bereits mitgeteilt, dass sich der Preis beim Ölhändler mehr als verdoppelt hat. „Das wird er an die Mieter weitergeben. Und der Strom wird auch nicht billiger.“ Deshalb hat sie sich schon umgestellt und badet nicht mehr. „Wir duschen nur noch. Kurz. Geht auch.“
Reicht es noch für Ferien?
Ansonsten, sagt Weber, „müssen wir überlegen.“ Fährt sie noch mit ihren Freundinnen zwei Mal im Jahr auf Mädeltour? Kann Sie noch regelmäßig zum Kegeln gehen? Oder ins Kino? Und reicht es noch für Ferien am Ostseestrand? Weber zuckt mit den Schultern. „Ich bin immer Optimist“, sagt sie dann. „Vielleicht wird es am Ende ja doch nicht ganz so schlimm.“
Selbst wenn doch, „wir werden nicht verhungern“, sagt Weber. Und wahrscheinlich auch nicht frieren. „Hör auf zu jammern“, haben ihr die Freundinnen deshalb schon mal gesagt und vom „Klagen auf hohem Niveau“ gesprochen. „Dir geht es doch noch gut.“ Sie nickt. „Ich weiß, dass viele Menschen in diesen Zeiten ganz andere Sorgen haben.“
Trotzdem sei sie beunruhigt. Und nicht nur sie. Viele in ihrem Bekanntenkreis hätten nicht gedacht, „dass sie sich in ihrem Leben noch mal so viele Gedanken um Geld machen müssen“. „Manchmal“, hat sie gemerkt, „fragt man sich, wie lange man noch sagen kann, wir gehören zum Mittelstand.“
Auch Susanne macht sich Sorgen: „Schaffe ich das überhaupt noch?“
Neulich kam schon wieder Post von ihrem Gas-Anbieter, das zweite Mal in diesem Jahr. Am liebsten, sagt Susanne, würde sie die Briefe gar nicht mehr öffnen, aber natürlich geht das nicht. Hilft ja auch nichts: „Bezahlen muss ich trotzdem.“ 580 Euro ab dem nächsten Ersten, mehr als dreimal so viel wie noch vor einem Jahr. Mehr als ein Viertel ihres Einkommens, nur für die Heizung. Susanne schläft jetzt mit derselben Frage ein, mit der sie auch aufwacht – wenn sie denn schlafen kann: „Schaffe ich das überhaupt noch?“
Dabei sagen ihr sogar gute Freunde, dass sie sich doch keine Sorgen machen muss. Halbtagsjob in der Verwaltung, kleine Witwenrente, Eigentum im Essener Stadtteil Heisingen… Die Lösung sei doch ganz einfach: „Verkaufst du halt dein Haus.“
Die Schlafzimmer von Mutter und Tochter bleiben kalt, immer
Das sagen sie so, und Susanne bleibt jedesmal sprachlos zurück. Ihr Haus. „Das ist doch mein Zuhause.“ Seit 60 Jahren, sie ist schon hier geboren. Der Großvater hat das halbe Doppelhaus gebaut, 150 Quadratmeter, teils verschiefert. Die Mutter gründete hier ihre Familie, lebt noch heute im Erdgeschoss, 94 Jahre alt. Und die Tochter blieb, zog ihren Sohn groß, kümmert sich um die Mama, beide sind verwitwet. „Man schmeißt das doch nicht einfach alles weg.“
Lesen Sie dazu auch: Verbraucherschützer: Viele können Heizung nicht mehr zahlen
Und das Geld sowieso nicht zum Fenster hinaus. Sechs Heizkörper nutzen die beiden Frauen nur, Wohnzimmer, Küche, Bad, die Schlafzimmer bleiben kalt, immer. Trotzdem ist der Verbrauch hoch, obwohl die Fenster neu sind, das Dach isoliert. Die Gasheizung ist gut 20 Jahre alt, aber frisch gewartet, der Wasserkessel gerade zehn. Bis vor zwei Jahren hat sich ihr Mann um all’ diese Dinge gekümmert, er hat vieles selbst gemacht. Investiert und repariert, sie haben ihr Haus gepflegt.
Gasrechnung ist höher als bei manch anderem die Miete
In dieser Woche hat Susanne einen Termin bei der Verbraucherberatung. Solarenergie und Wärmepumpe, davon hat man ihr schon abgeraten: das Dach zu klein, das Gebäude zu alt, es ist von 1928. Und dann die Kosten, man muss das Geld ja auch erst einmal haben für eine solche Sanierung. Für den Winter hat sich die 60-Jährige zwei Infrarot-Heizkörper besorgt, nur muss ja auch der Strom dafür bezahlt werden. Und zu frieren, wie die Politiker jetzt immer raten, „das kann ich doch meiner Mutter nicht zumuten“. So wie man sie wohl auch nicht mehr „versetzen“ kann mit ihren 94.
Dieses Jahr hatte Susanne noch Urlaub geplant, im nächsten wird das nicht mehr gehen. Mit ihren Freundinnen trifft sie sich zuhause, Auto fährt sie kaum, bei Lebensmitteln kann sie gut sparen, sagt sie, sie brauche nicht viel. Aber von den 2000 Euro, die monatlich reinkommen, muss sie ja auch Strom, Wasser Telefon aufbringen – und bald 580 Euro fürs Gas, „das ist mehr als manche Miete zahlen“.
Den Anbieter jedenfalls kann sie nicht wechseln: Günstiger findet sie keinen, und die sie findet, nehmen keine Neukunden. Also: doch frieren. Und hoffen. „Ich möchte mein Zuhause nicht aufgeben.“