Bochum. Verständlichkeit gegen Gerechtigkeit: Gendersprache regt Widerspruch an. Damit geht Michaela Blaha jeden Tag um. Sie macht Ämtertexte besser.
Gendersprache kann eine Kampfzone sein. Michaela Blaha befindet sich mittendrin. Die Sprachwissenschaftlerin hat vor 14 Jahren die „Idema“, Gesellschaft für verständliche Sprache, als An-Institut der Uni Bochum gegründet. Seitdem sorgt Blaha für mehr Klarheit in Texten von Behörden und Unternehmen. Nur macht ihr der Genderstern einen, nun, Strich durch die Rechnung.
Wundern Sie sich, dass auf einmal so verbissen um Sprache gerungen wird?
Blaha: Es wundert mich eher, dass das Genderthema erst jetzt hochkocht. Schon in den 70ern haben Linguistinnen thematisiert, dass durch die konsequente Verwendung der männlichen Form das Weibliche auch gesellschaftlich untergeht. An unserem konservativen Gymnasium in Wanne-Eickel war ich anno 1988 die erste SchülerInnensprecherin – wofür ich immer ausgelacht worden bin: Äh, da kommt diese Superemanze. Das Thema ist also ein altes. Es kommen allerdings die Dimensionen des dritten Geschlechts und der fluiden Geschlechter hinzu. Trotz aller Diskussionen gibt es dafür noch keine guten Lösungen. Das ist natürlich ein Unding.
Was halten Sie als ehemalige SchülerInnensprecherin vom Binnen-I, Genderstern und Unterstrich?
Davon distanziere ich mich heute (lacht). Viele verrückte Sachen dürfen ausprobiert werden, vor allem wenn man jung ist. Aber ich finde das Binnen-I im textlichen Alltag nicht praktikabel. Es ist weiter ungewohnt, stört den Lesefluss und viele Leute regen sich darüber auf. Für mich spricht auch gegen Gender-Schreibweisen, dass das männliche Geschlecht dabei grammatikalisch oft unterschlagen wird. Zum Beispiel „den Lehrer*innen“. Die männliche Form „den Lehrern“ ist darin nicht mehr repräsentiert.
Auch für viele andere Gendervorschläge gilt: Die Texte werden zu lang oder man stolpert über Dopplungen. Das alles ist schädlich für den eigentlichen Zweck des Textes. Er soll einen Inhalt kommunizieren. Und was genauso schlimm ist: Es weckt oft negative Emotionen bei den Lesern. Sprachbewusstsein muss darum das Thema Geschlecht umschließen, aber es muss immer der eigentliche Zweck des Textes bedacht werden.
Geht es überhaupt um Sprache und Gerechtigkeit oder um Macht und Durchsetzungsansprüche?
Meines Erachtens wäre das Thema Verständlichkeit wichtiger, da es allen Menschen hilft. Für mich ist das gerade eine Welle. Man kann sich mit Gendersprache offenbar wunderbar profilieren. Und es gibt auch Gelder für Studien und Leitfäden zu Genderfragen, etwa nach dem Gleichbehandlungsgesetz. Ich will nicht abstreiten, dass sprachliche Gleichberechtigung ein wichtiges Thema ist. Aber man muss gucken, was sinnvoll ist. Man findet immer noch Formulierungen wie: „Jede/r, die/der schwanger ist.“ Was inhaltlich keinen Sinn macht, darf nicht geschrieben werden.
Und wenn man sich schon das Gendern auf Teufel komm raus zum Ziel gesetzt hat, wie in der neu formulierten Straßenverkehrsordnung, dann muss man sich darüber im Klaren sein, dass der Text dadurch eher schlechter wird. Statt Fußgänger heißt es dort nun „zu Fuß Gehende“, aus „Rollstuhlfahrern“ werden „Fahrende von Rollstühlen“, was fast schon nach Hochadel klingt. Das ist aber nichts, was jemand sagen würde.
Hinzu kommt die handwerklich schlechte Umsetzung. Zum einen taucht vereinzelt doch der „Fußgänger“ auf, zum anderen „der zu Fuß Gehende“, der ja auch wieder männlich ist. Und dann wären da noch die Antragsteller, Beifahrer, Polizeibeamten, Reiter, Tierhalter und Verkehrsteilnehmer, die -warum auch immer – nur in der männlichen Form präsent sind.
Wird sich das Gendern auf lange Sicht durchsetzen?
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Es kann sein, dass die Mehrheit sich im Laufe der Zeit daran gewöhnt. Das kann ich mir zwar nicht vorstellen, aber für den Mauerfall fehlte mir auch die Fantasie. Aber es ist richtig, dass die Sprachgemeinschaft in einem langen Prozess entscheidet, was sinnvoll ist. So gesehen ist auch gegen paradiesvogelartige Vorschläge nichts zu sagen. Aber ich finde es erschreckend, wie viel Energie gebunden wird, die beim Thema Verständlichkeit besser eingesetzt wäre.
Wird das grammatische mit dem biologischen Geschlecht verwechselt? Muss man sich als Frau „Fußgängerin“ wünschen?
Das ist eine fast philosophische Frage oder eine sozialwissenschaftliche. Die Einsicht war in den Siebzigerjahren gar nicht so falsch: Wenn wir immer nur männliche Formulierungen benutzen, wird die Frau benachteiligt. Aber gesellschaftlich waren wir an einem anderen Punkt. Natürlich sind wir noch nicht da, wo wir hinmüssen. Aber ich bezweifle stark, dass sprachliche Gleichstellung einen großen Anteil beitragen wird. Dann müsste die Frau in Ländern, wo es kein grammatisches Geschlecht gibt, besser gestellt sein, etwa im englischen Sprachraum. Das ist aber nicht so.
Und das dritte Geschlecht?
Es gibt nun häufig die Möglichkeit, als Geschlecht divers anzugeben. Aber es gibt immer noch keine passende Anrede analog zu Herr und Frau. Und auch keine Personalpronomina, also er oder sie. Zwar gibt es Vorschläge wie den von Lann Hornscheidt, dass Studierende Studierx und Professoren Professx genannt werden könnten – oder in einer neueren Form Studens und Proffens. Aber das Problem ist: Es muss auch praktikabel in der Umsetzung sein.
Ihr Beruf ist es, Amtssprache verständlicher zu machen. Ist das Gendern ein Fort- oder ein Rückschritt?
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Ein Rückschritt, ganz klar. Es gibt einen wunderbaren Paragrafen aus der Bauordnung NRW, der ist so kompliziert geschrieben, dass man am Ende nicht mehr weiß, um was es eigentlich geht:
„Treten bei einem Bauvorhaben mehrere Personen als Bauherrin oder als Bauherr auf, so kann die Bauaufsichtsbehörde verlangen, dass ihr gegenüber eine Vertreterin oder ein Vertreter bestellt wird, der oder die die der Bauherrin oder dem Bauherrn nach den öffentlich-rechtlichen Vorschriften obliegenden Verpflichtungen zu erfüllen hat.“
Die Gefahr bei all diesen Genderleitfäden für Behörden ist: Man schreibt einfach alles doppelt und schon ist man modern und gerecht. Aber stumpf umgesetzt bringt es nichts für die gesellschaftliche Wahrnehmung, wenn man sich vom Text mit Grausen abwendet.
Das erinnert mich an die „Sprachreinigung“ des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins um 1900. Der hat sich dagegen aufgelehnt, dass die Sprache durchsetzt sei von ausländischen Wörtern. Das ist der Grund warum in Behördentexten bis zum heutigen Tag, selbst bei neuen Gesetzen, solche Konstruktionen auftauchen wie „vom Hundert“ statt Prozent. Das sagt kein Mensch und viele verstehen es auch nicht, erst recht nicht, wenn es abgekürzt wird mit v.H. Oder Fernsprecher statt Telefon.
Hat sich die Amtssprache denn jenseits des Genderns verbessert?
An manchen Stellen. Aber strategisch und konsequent setzt keine Behörde in Deutschland verständliche Sprache um. Es würde Arbeit machen und Geld kosten. Die Mitarbeiter müssten alle geschult werden, müssten Werkzeuge an die Hand bekommen. Es müsste eine Qualitätssicherung etabliert werden. Im Gegensatz zu Unternehmen gibt es kein Benchmarking, welche Probleme bestimmte Texte oder Briefe aufwerfen. Man ist angewiesen auf Einzelpersonen, die das Thema wichtig finden.
Was empfehlen Sie ihren Kunden?
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Ich rufe immer zu Ungehorsam mit gesundem Menschenverstand auf. Nur die Existenz eines Leitfadens verpflichtet mich noch nicht, alles umzusetzen. Es gibt viele andere Vorschriften, die auch keiner umsetzt, zum Beispiel, dass man verständlich schreiben soll. Wenn es nicht so oft vorkommt, kann man sicher die Doppelschreibung Bürgerinnen und Bürger verwenden. Man kann auch manches neutral schreiben. In Tabellen dagegen muss man meist Platz sparen. Es sollte immer situationsangemessen gegendert werden. Aber der Text darf dem allgemeinen Sprachempfinden nicht zuwiderlaufen. Wenn ich von einem Kunden wider meinen Rat gezwungen werde zu gendern, dann empfehle ich den Doppelpunkt. Ich finde, der stört am wenigsten beim Lesen.
Was sagen Sie Kunden, die keinem weh tun wollen?
Sie werden nie eine Lösung entwickeln können, bei der jede und jeder und jedes sagt: So find ich‘s gut. Irgendwer beklagt sich immer. Es gibt natürlich die Sorge vor juristischen Konsequenzen, aber auch Verständlichkeit ist grundsätzlich einklagbar. Und dennoch macht es kaum einer. Ein prominentes Gerichtsverfahren war im vergangenen Jahr Marlies Krämer gegen die Sparkasse. Sie hatte bis zum Bundesverfassungsgericht geklagt, weil die Sparkasse sie konsequent als Kunde bezeichnet hat in einem Formular. Sie hat verloren. Das ist ein gutes Beispiel dafür, dass es an manchen Stellen okay ist, nicht zu gendern.
Was würden Sie der Zeitung raten?
Ebenfalls: mit gesundem Menschenverstand zu arbeiten.