Essen. RTL hat eine moderne Version der Passionsgeschichte in der Essener City nachgespielt. 5000 Besucher waren dabei. Ihr Urteil fiel durchwachsen aus.
Kurz vor 20 Uhr und es tröpfelt. „Na, na na“, sagt Werner Kugel und blickt sorgenvoll in den Himmel. „Nicht das wir jetzt noch nass werden.“ Kugels Ehefrau ist da weniger beunruhigt. „Petrus ist doch hier, der wird es schon richten.“ Ist ja schließlich nicht irgendeine Veranstaltung, die RTL an diesem Abend live vom Burgplatz in der Essener City in die Wohnzimmer des Landes sendet. Es ist „Die Passion“. In einer modernisierten Version, wie sie der Sender für zeitgemäß hält. Mit deutschen Hits der letzten Jahrzehnte, die zu den Ereignissen in den letzten Tagen von Jesus Christus passen sollen.
Seit 18 Uhr strömen die Menschen am Mittwochabend auf den Platz, zwischenzeitlich zieht sich die Warteschlange durch die halbe Essener Fußgängerzone. „Aber am Ende hat der Einlass gut geklappt“, loben Martina (54) und Andrea (54). „Genaue Vorstellungen“ über den Ablauf des Abends haben sie nicht. „Mal sehen, was uns erwartet.“
Die Passionsgeschichte in Essen: Keine Sitzplätze, nichts zu essen
Ältere Menschen – und davon gibt es nicht wenige – erwartet gleich nach dem Einlass erst einmal ein Schrecken. Es gibt keine Sitzgelegenheiten. „Hätte ich das gewusst, wäre ich zu Hause geblieben“, ärgert sich eine Frau. Karin Strauß (47) stört etwas ganz anderes. Nirgendwo auf dem eingezäunten Gelände gibt es etwas zu essen. „Dabei bin ich direkt von der Arbeit hierhin gekommen und habe richtig Hunger.“
Die mitgebrachten Getränke müssen die Besucher bei der Security am Eingang auch abgeben. Im Gegenzug gibt es kostenlos Flaschen mit Wasser. „Vielleicht wird ja Wein daraus“, scherzt jemand. Wird es natürlich nicht, aber das findet ein Ehepaar im Rentenalter auch nicht schlimm. „Ist ja keine Kirmes hier“, sagt der Mann. Im Chor seiner Gemeinde singt er, kennt sich aus in der Bibel, sieht aber ein, dass die Kirche „moderner werden“ muss. „Vielleicht kann man die Passionsgesichte auf diese Art und Weise auch jüngeren Menschen näher bringen. Die wissen ja gar nicht mehr, um was es dabei geht.“
Thomas Gottschalk als Erzähler wider seine Natur
Kurz vor 20 Uhr kommt Thomas Gottschalk, der den Erzähler gibt, auf die Bühne um das Publikum ein wenig in Stimmung zu bringen. Das kann er immer noch wunderbar, doch das nutzt nichts. Denn an diesem Abend kann er nicht quatschen, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, sondern muss einen genau vorgegeben Text vom Teleprompter ablesen. „Sonst hätte ich wieder Sachen gesagt, die in der Bibel gar nicht stehen.“
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Pünktlich um 20.15 Uhr geht es los. Kurz stellt Gottschalk die Hauptdarsteller vor. Alexander Klaws als Jesus, Laith Al-Deen als Petrus, Mark Keller als Judas, Ella Endlich als Maria und schließlich Henning Baum als Pontius Pilatus, der von hoch oben aus einem angestrahlten Fenster eines Nachbargebäudes grüßt. Er sehe in seinem eleganten Anzug dabei aus, als sei er vor den Häppchen einer Schicki-Micki-Party geflüchtet und warte nun ungeduldig auf den telefonisch angeforderten Pizzaboten der was handfestes zu essen bringen soll, wird nur Sekunden später im Internet gelästert.
Die Passion in „zeitgemäß“: Currywurst zum Abendmahl
Noch ein paar salbungsvolle Worte des ehemaligen Wetten…dass?-Moderators, dann nimmt die Geschichte Fahrt auf. Doch auf der Bühne passiert zunächst einmal nichts. Stattdessen flimmert ein Video über eine große und trotzdem nicht von überall zu sehende Leinwand, in dem Jesus und seine Jünger mit dem Linienbus durch Essen fahren und in der Stadt dann den WM-Song „Auf uns“ anstimmen. Was ein wenig wirkt, wie eine 80er-Jahre-Werbekampagne für die Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs. „So habe ich mir das aber nicht vorgestellt, sagt Sabine (57). Und Oliver (35) und Andreas (38) sind sich einig. „Das hat mit Live nichts mehr zu tun.“
So ähnlich geht es weiter. Ja, Ella Endlich singt mehrfach vor Ort, alles andere aber kommt aus der Konserve, genauer gesagt von vor gut zwei Jahren gedrehten Videos aus dem Einkaufszentrum am Limbecker Platz oder aus dem Inneren einer Kneipe, in der Jesus zum letzten Abendmahl lädt. Mit Brot und Currywurst übrigens, die er an einer Imbissbude gekauft hat, hinter deren Theke Sterne-Koch Nelson Müller steht und Rainer Calmund Kunde ist.
Gute Sänger, aber keine Schauspieler - und umgekehrt
Zwischendurch wird immer wieder zur Prozession geschaltet, bei der ein großes, leuchtendes Kreuz von Menschen verschiedener Herkunft und Religion durch die Fußgängerzone getragen wird. Dabei hält ihnen eine RTL-Reporterin namens Anett Möller ihr Mikrofon vor die Nasen, um ihre Motivation zu erfahren. Da kommen – sagen wir mal – ungewöhnliche Schicksale ans Licht, gleichzeitig hemmen die Schalten aber auch den Fluss der Geschichte.
Je länger der Abend dauert, desto offensichtlich wird ein weiteres Problem der Show. Die meisten von Jesus Jüngern mögen gute Sänger sein, Schauspieler aber sind sie nicht. Genauso wenig wie Henning Baum versuchen sollte, sein Geld mit Musik zu verdienen. Vielen Menschen auf dem Burgplatz ist das allerdings egal. Während die Kübel von Spott und Häme, die im Netz über der Show ausgeschüttet werden, immer größer werden, warten sie geduldig auf das Eintreffen des mittlerweile verhafteten Heilands.
Publikums-Kritik: „Wie Fernsehgucken mit ein paar tausend Leuten“
Kurz nach 22.30 Uhr. Das tödliche Ende naht. Nicht den Mörder Barrabas (Martin Semmelrogge) will die Menge am Kreuz sehen, sondern Jesus Christus. Was allerdings bei manchem Besucher zu einer neuen Frage führt. „Dürfen wir klatschen wenn er tot ist?“ Eine Antwort darauf bedarf es nicht, denn das Schlimmste der Geschichte erspart RTL dem Publikum, lässt die Tortur nur von Baum schildern. Stattdessen steht Alexander Klaws zum Finale plötzlich auf einem Hausdach am Burgplatz und singt „Halt dich an mir fest“.
Die Menge ist begeistert, aus Beifall wird Jubel und vor dem Nachhauseweg gibt es noch den Segen eines evangelischen und eines katholischen Pfarrers. Erst mit zunehmendem Abstand vom Spielort, wird die Kritik etwas lauter.
„Hätten die Karten Geld gekostet, hätte ich mich jetzt geärgert“, sagt einer. Drei junge Leute aus Bottrop sind sogar trotz des freien Eintritts enttäuscht. „Vieles ist zum Fremdschämen gewesen“, findet Vanessa (27). „So wie die Geschichte erzählt worden ist, hätte ich sie nicht verstanden, wenn ich sie nicht schon gekannt hätte“, ergänzt Maria (25). Und Jona (23) greift noch einmal die vielen Einspielfilmchen auf. „Im Grunde“, ärgert sich der 23-Jährige, „war das wie Fernsehgucken mit ein paar tausend Leuten.“
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