Bochum. Covid als Berufskrankheit: Das betrifft fast 100.000 Beschäftigte im Gesundheitswesen. Das Bochumer Bergmannsheil untersucht und behandelt sie.

Auf der Liste der infektiösen Berufskrankheiten steht Covid-19 weit jenseits der 100, nach Pest und Cholera, Mumps und Masern ganz unten. Ursache unklar, Nummerierung „vorläufig“ – und das zeigt schon das ganze Dilemma: Auch für die Unfallversicherungen ist dieses Corona ja noch „neu“. Trotzdem hat die zuständige Berufsgenossenschaft allein in den Gesundheitsberufen schon an die 100.000 Infektionen bundesweit als Berufskrankheit anerkannt – knapp 2500 davon, weil Ärztinnen, Pfleger, Therapeutinnen, Labormitarbeiter noch lange nach der akuten Phase an den Folgen leiden. Beim Erkennen und Anerkennen hilft der Post Covid Check am Bochumer Bergmannsheil.

Es war Januar 2021, Deutschland hatte angefangen zu impfen, aber Anne Evers war noch nicht dran. Erst die Kollegen auf der Intensivstation, die mit Covid-Patienten zu tun haben, dann die auf der Internistischen – so verteilte ihre Klinik den anfangs spärlichen Impfstoff. Anne Evers pflegte schwer herzkranke Patienten, solche, die keine Maske tragen konnten wegen ihrer Luftnot. Sie hatte ihre Impftermine schon, so lange arbeitete „die Angst, dass es mich doch erwischt“ mit. Und es erwischte sie: „Hohes Fieber, Schmerzen, Luftnot, Durchfall...“ Es waren so viele Symptome, dass sie immer welche vergisst, die Ärzte müssen sie erinnern: „Husten, Abgeschlagenheit, Geschmacksverlust, Herzrasen, Gewichtsverlust...“

Auf einer Skala bis zehn liegt ihre Leistungsfähigkeit nach ihrer Therapie wieder „bei 7 bis 8“: Krankenschwester Anne Evers.
Auf einer Skala bis zehn liegt ihre Leistungsfähigkeit nach ihrer Therapie wieder „bei 7 bis 8“: Krankenschwester Anne Evers. © Funke Foto Services | Kai Kitschenberg

Nach der Corona-Infektion blieben Schmerzen und Müdigkeit

Das Allerschlimmste war nach einer Woche vorbei, aber danach: „Es wurde und wurde nicht besser.“ 24 Stunden, sagt die Krankenschwester, hätte sie schlafen können, jede Bewegung war zu viel, beim Laufen blieb ihr die Luft weg, Treppensteigen ging gar nicht. Und immer noch hoffte sie, „das geht weg“. Aber Schmerzen blieben, manches Lebensmittel verträgt sie bis heute nicht, die Haare fielen aus, die Haut war krank. Aus acht Tagen wurden acht Monate: „So lange war ich außer Gefecht.“

Die 48-Jährige konnte nicht arbeiten, sie bemühte sich auszuruhen, um zu Kräften zu kommen – so hatten Ärzte ihr das empfohlen. „Man will ja wieder fit werden.“ Genau falsch, das weiß sie heute. „Ausruhen verlängert die Verläufe, Schonung ist das Schlechteste, was man machen kann“, sagt Prof. Martin Tegenthoff, Direktor der Neurologischen Klinik am Bergmannsheil in Bochum. Aber auch er wusste das damals noch nicht, „wir lernen jeden Tag“.

Berufskrankheit Long Covid ist noch nicht komplett erforscht

Prof. Martin Tegenthoff empfiehlt bei Long Covid schnelle Mobilisierung.
Prof. Martin Tegenthoff empfiehlt bei Long Covid schnelle Mobilisierung. © FFS | Kai Kitschenberg

Als Anne Evers in Niedersachsen noch fieberte, führte das BG Klinikum gemeinsam mit der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) einen stationären Post Covid-Check ein, legte Standards fest für eine Diagnostik: Wie erkennt man Long Covid, wie behandelt man? Was gehört zu den Folgen einer Infektion, was nicht? „Das Ganze ist ja noch in der Forschung“, sagt Markus Taddicken, Geschäftsführer der Bezirksverwaltung Bochum der BGW, „wir müssen versuchen, Schritt zu halten.“ Die gesetzliche Unfallversicherung schreibt in ihrer Liste 3101 die Merkmale der Berufskrankheit Covid-19 eigens dazu.

Seither haben Prof. Tegenthoff und seine Kollegen allein in Bochum mehr als 500 Patienten gesehen, wobei „gesehen“ bedeutet: Sie haben jeden auf den Kopf gestellt. Neurologen, Kardiologen, Pneumologen, Psychologen und Reha-Mediziner untersuchen, sie messen Lungenfunktion, Hirnströme, Herzfrequenz, testen Belastungs- und Konzentrationsfähigkeit, Nervenwasser, schicken die Menschen je nach Beschwerden auch in die Dermatologie. Und nicht nur Psychologen stellen viele Fragen: Sie haben gelernt, dass die Seele auch bei Long Covid mithilft bei der Genesung. „Wenn jemand Angst hat, dass er eingeschränkt bleibt für den Rest seines Lebens“, sagt die Leitende Psychologin Dr. Jule Frettlöh, „ist das psychologisch Gift.“

Interdisziplinäre Untersuchungen ohne Wartezeiten

Mindestens eine Woche dauern die interdisziplinären Untersuchungen, „ein Riesenaufwand“, sagt Prof. Tegenthoff, und am Ende stehen eine gemeinsame Therapie-Empfehlung und ein Gespräch. Der Patient weiß dann, woran er ist, die Versicherung kann seinen Fall anerkennen, Ärzte und Therapeuten wissen, was zu tun ist. Anne Evers ist dankbar: „Ich musste nicht zu jedem Spezialisten einzeln gehen und monatelang auf Termine warten.“

Und auch der Kampf gegen Long Covid kann schneller beginnen. „In die Ecke setzen und schonen“, sagt nämlich Prof. Tegenthoff, „chronifiziert die Symptome.“ Vielmehr setzen die Bochumer auf rasche Belastung und Mobilisierung. Unter gezielter Therapie bekomme man die Patienten „in einen Funktionszustand wie vorher“. Anne Evers hat das am eigenen Leib erfahren: „Man muss dagegen ankämpfen. Das ist tierisch anstrengend, aber es bringt was!“ Im Sommer 2021 begann sie endlich mit einer ausgeklügelten Reha. Atemgymnastik, um wieder Luft zu kriegen, Sport, um die Muskulatur wieder aufzubauen: „Ich wollte weiter gehen können als einen halben Kilometer.“ Flott nimmt sie heute im Bergmannsheil die Stufen in die oberste Etage, sie schnauft nicht einmal. Aber sie ist noch nicht am Ziel. Nach der Arbeit, gesteht Anne Evers, muss sie immer noch die Füße hochlegen; auf einer Skala bis 10 sei ihre Leistungsfähigkeit inzwischen „bei 7 bis 8“.

Untersuchte schon mehr als 500 Patienten auf Long Covid: das BG Universitätsklinikum Bergmannsheil in Bochum.
Untersuchte schon mehr als 500 Patienten auf Long Covid: das BG Universitätsklinikum Bergmannsheil in Bochum. © FUNKE Foto Services | Julia Tillmann

Aber es wird weiter aufwärts gehen, da sind die Ärzte sicher. „Es dauert verdammt lang“, gibt Prof. Tegenthoff zu, „aber die gute Nachricht ist: Man wird auch wieder gesund.“

>>INFO: BERUFSKRANKHEIT COVID-19

Die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) hat bundesweit inzwischen 97.034 Covid-Diagnosen als Berufskrankheit anerkannt, in NRW bis Ende Februar allein 25.391. Die Zahl der Anträge beläuft sich in Deutschland auf 156.640, wegen der „extrem hohen Fallzahl“ verzögert sich die Bearbeitung derzeit. 135.424 Anträge sind bereits beschieden.

2440 dieser Patienten sind langfristig erkrankt, haben also Long Covid und machen eine von der BGW unterstützte Reha. Die Berufsgenossenschaft ist zuständig für Beschäftigte im Gesundheitswesen, in der Pflege und auch Kita-Personal in kirchlicher oder privater Trägerschaft.