Essen. Einkauf, spazieren, Treppen steigen: Für Long-Covid-Patienten sind das Strapazen. Das Elisabeth-Krankenhaus Essen forscht, was Betroffenen hilft.
- Noch Monate nach ihrer Corona-Infektion leiden einige Betroffene unter den Folgen, selbst wenn die Krankheit mild verlief
- Long-Covid-Patienten sind oft schon erschöpft, wenn sie spazieren gehen oder Treppen steigen
- Vielen fällt es auch schwer, einem Gespräch zu folgen, oder sich auf ein Formular zu konzentrieren
- Ein Zweiradmechaniker erlebte seinen ersten Arbeitstag nach der Krankheit als Katastrophe – und verlor seinen Job
- Ein Team des Elisabeth-Krankenhauses in Essen will gemeinsam mit anderen Wissenschaftlern herausfinden, ob Sport den Patienten helfen kann
- Long-Covid-Patienten würden oft mit ihrer Krankheit und ihrer Ratlosigkeit allein gelassen
Früher ist Christian Rose im Monat 1000 Kilometer mit dem E-Bike gefahren. Jetzt ist er erledigt, wenn er die Einkäufe in den zweiten Stock trägt. Früher ist ein gutes halbes Jahr her: Im Mai 2021 erkrankte der Zweiradmechanikermeister an Covid-19 und bis heute ist nichts, wie es vorher war. Warum das so ist und ob ihm Bewegung helfen kann, wollen Mediziner des Essener Elisabeth-Krankenhauses gemeinsam mit anderen Wissenschaftlern herausfinden. Spovid – aus: Sport und Long Covid – heißt die Studie, die mit Bundesmitteln gefördert wird.
Zwei Wochen lang hat er fast nur geschlafen
Christian Rose musste nicht im Krankenhaus behandelt werden. Der 44-Jährige war zu Hause in Quarantäne, seine Freundin zog in ein anderes Zimmer, blieb gesund. „Ich habe zwei Wochen lang mehr oder minder geschlafen.“ Genauso habe er es auch von erkrankten Kollegen gehört, sagt Priv. Doz. Dr. Oliver Bruder, Chefarzt der Klinik für Kardiologie und Angiologie am Elisabeth-Krankenhaus: „Dann kamen sie langsam zurück.“ Darauf hatte auch Rose gehofft; gedacht, dass die Krankschreibung über vier Wochen locker reiche – und sich getäuscht.
Sein erster Arbeitstag war eine Katastrophe und bis heute sein letzter. Rose hätte gern in der Werkstatt begonnen, sollte sich aber um die Kunden kümmern. „Da sind immer mindestens zwei Sachen gleichzeitig zu tun: Einer holt was ab, der andere hat eine Nachfrage, es kommt eine Reklamation, die vielen Telefonate. Dafür fehlte mir die Konzentration, alles war zu viel.“ Der Tag sei so belastend gewesen, dass er darauf drei Wochen lang durchgehend Kopfschmerzen hatte, auch nachts. Dabei sei er vor der Covid-19-Infektion kein Kopfweh-Kandidat gewesen. Sein Chef kündigte ihm noch am Abend des Katastrophentages, er war in der Probezeit. „Angesteckt hatte ich mich auf der Arbeit.“
Patienten waren nach einer Dusche vernichtend erschöpft
Wie die Rückkehr in Alltag und Beruf gelingen kann, war die Frage, die sich Oliver Bruder und seine Kollegin Dr. Mareike Eißmann, Oberärztin der Klinik für Kardiologie und Angiologie, früh in der Pandemie gestellt hatten. Da ging es weniger um Long Covid, sondern um Klinik-Mitarbeiter – ob Reinigungskraft, Pfleger oder Arzt – von denen sich viele mit Corona infiziert hatten und sich fragten, wann sie sich wieder etwas zutrauen könnten. Den einen gelang es rasch, andere waren lange noch nach einer Dusche „vernichtend erschöpft“.
Der Fatigue genannte geistige wie körperliche Erschöpfungszustand ist inzwischen vielfach bei Long-Covid-Patienten beobachtet worden. Bruder und Eißmann, die auch das Zentrum für Sportmedizin „BodyGuard!“ am Elisabeth-Krankenhaus leitet, fragten sich: „Sport hilft bei allen kardiovaskulären Erkrankungen – was hilft bei Long Covid?“
Zuerst begleiteten sie eine Gruppe, in der alle Teilnehmer trainierten. Bei der neuen Spovid-Studie, die im Dezember 2021 gestartet ist, gibt es nun auch eine Kontrollgruppe: „Wir wollen herausfinden, ob die Bewegungsgruppe mehr profitiert oder die, die sich schont“, sagt Eißmann.
Denn anders als etwa bei Herz- und Bluthochdruckpatienten müsse man bei Long-Covid-Patienten die Bewegung vorsichtiger dosieren, sagt die Sportmedizinerin. „Ein zu harter Trainingsstart führt zu Rückschritten – das kannten wir vor Covid-19 nicht.“ Anfangs sei Long Covid oft als vorwiegend psychosomatisches Phänomen beschrieben, doch es sei messbar, betont Bruder. Bei vielen Betroffenen sehen sie auch ein auffälliges Atemmuster.
Er schreibt vor dem Einkauf alles auf – und lässt den Zettel zu Hause liegen
Den Patienten mache das zu schaffen, sagt Eißmann: „Die wollen ja – und werden zurückgeworfen.“ Wie Rose, der zu den ersten Studienteilnehmern gehörte: Allein der Eingangstest, bei dem er wie beim Belastungs-EKG radfahren sollte, habe ihn eine Woche aus der Bahn geworfen. Beim Waldspaziergang sei seine schwangere Freundin trotz Bauch davongezogen; Monate habe er gebraucht, um wieder Anstiege zu bewältigen. Wochenlang habe er sich nicht getraut, Auto zu fahren.
Schließlich ist nicht nur seine körperliche Leistungskraft beeinträchtigt, auch die Konzentrationsfähigkeit sei verloren gegangen: „Vor dem Einkauf schreibe ich alles auf – und dann lasse ich den Zettel zu Hause.“ Zu Besuch bei den Schwiegereltern könne er kaum dem Gespräch folgen, suche nach Worten; und wenn er ein Formular ausfülle, lese er eine Frage zigmal und verstehe sie immer noch nicht. „Da steigt bei mir eine Blockade im Kopf auf.“ Seine Freundin müsse unfassbar viel abfedern.
Nach einem Spaziergang brannte zwei Wochen lang seine Lunge
Rose ist weder ein Einzelfall noch der schwerste. „Wir hatten Patienten mit neurologischen Ausfallerscheinungen wie nach einem Schlaganfall“, sagt Mareike Eißmann. Allen Betroffenen verlange Long Covid große Geduld ab, was für jene besonders schwer sei, die sehr aktiv und zielstrebig waren. Eißmann denkt an den sportlichen Anwalt, der sagte, er sei immer den Meter extra gegangen. „Der muss jetzt lernen, einen Meter weniger zu gehen.“ Zumal die Rekonvaleszenz in Wellen verlaufe und man das Training ständig anpassen müsse.
Sportwissenschaftler Christoph Schneider von „BodyGuard“ hat für Patienten wie Christian Rose Instruktionen erarbeitet, wie sie ihre Alltagsaktivitäten steuern und trainieren können. Online hat er sie begleitet. „Es war für sie oft nicht so einfach machbar oder gar so progressiv wie bei anderen Erkrankungen.“ Es hänge stark von der Tagesform ab, sagt Rose. Als er mal sieben Kilometer spazieren ging, habe er danach zwei Wochen nicht schlafen können, weil seine Lunge so brannte. „Da habe ich meine Ziele kleiner gesteckt.“ Erst ein bisschen E-Bike fahren, Monate später radfahren ohne Unterstützung.
„Manche fühlten sich im Training gut, hatten später aber krasse Ermüdungserscheinungen“, sagt Schneider. Viele haderten damit, ein Schatten ihrer selbst zu sein, sich nicht wiederzuerkennen. „Die sagen: Ich will mein altes Leben zurück.“
Long-Covid-Patienten fühlen sich allein gelassen
Christian Rose weiß, dass er noch weit von seinem alten Leben entfernt ist. „Ich habe ewig oft Arbeitsproben von mir selbst genommen: Die Reparaturen brauchten viel zu lange – und ich hatte Komplettaussetzer.“ Vier bis sechs Stunden benötige er für etwas, das er früher in anderthalb geschafft habe. „Man möchte ja seine Position halten.“ Doch die Arbeitsdichte in seinem Job könne er so nicht bewältigen.
Wo er Hilfe braucht, stößt er auf Ratlosigkeit: In der Reha erklärte man ihn rasch für gesund, schickte ihn dann zum Psychologen, weil er sich nicht konzentrieren konnte. Der erklärte, er sei noch nicht arbeitsfähig. Ihm wurde zu einer Umschulung geraten, doch welche Stelle das organisiert und zahlt, war strittig… „Es gibt so viele Betroffene, da kommt noch ein Riesenproblem auf uns zu“, schwant Mareike Eißmann. „Es ist tragisch, dass man die Menschen so allein lässt.“
Christian Rose erlebt neuerdings kleine Fortschritte. „Ich kann wieder zwei Töpfe auf dem Herd im Auge behalten oder beim Autofahren Radio hören – das habe ich ewig nicht verpackt. Es geht in die richtige Richtung.“ Anfang Januar ist sein Sohn auf die Welt gekommen. Der halte seine Freundin und ihn auf Trab – und sei ein riesiges Glück.
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Bund fördert Forschung zu Long Covid
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung stärkt die Erforschung der Langzeitfolgen von Covid-19. Auch die Studie „Return to play“ der Klinik für Kardiologie und Angiologie im Elisabeth-Krankenhaus Essen erhält Bundesmittel. Geleitet wird sie von Privat-Dozent Dr. Oliver Bruder, Chefarzt in der Klinik.
Die Studie, die in der Kardiologie des Elisabeth-Krankenhauses und durch „BodyGuard! – Zentrum für Prävention, Sport, Medizin“ durchgeführt wird, gehört zum Forschungsprojekt „Spovid“: Hier untersuchen Forscher aus Essen, Dortmund, Bochum und Düsseldorf, ob und wie Sport zur Rekonvaleszenz bei Long Covid beiträgt. Kooperationspartner: Prof. Dr. Alexander Ferrauti aus der Trainingswissenschaft an der Fakultät für Sportwissenschaft der Ruhr-Uni Bochum; Prof. Dr. Thimo Wiewelhove von der IST-Hochschule und Prof. Dr. Andreas Stang, Zentrum für klinische Epidemiologie der Uni Duisburg-Essen.
Dr. Oliver Bruder ist im Podcast des Deutschlandfunks „Forschung aktuell“ zu hören auf: https://bit.ly/3BjIwoM