Ruhrgebiet. Experten warnen: Prostitution und sexualisierte Gewalt sind nicht weit, wenn Menschen in Not sind. Das haben vergangene Krisen gezeigt.
Es ist eine idyllische Unterkunft: Das Hotelschiff „Oscar Wilde“ hat am Rheinufer mit Blick auf den Düsseldorfer Medienhafen festgemacht. Dieses Schiff ist wohl auch der Ort eines Verbrechens. Zwei Männern sollen hier eine Geflüchtete vergewaltigt haben, schon am 6. März, erklärte die Polizei nun. Laut „Bild“ ist das ukrainische Opfer erst 18 Jahre alt, die Tatverdächtigen sollen aus dem Irak und Nigeria stammen (37 und 26) und auch ukrainische Pässe besessen haben – ob zu Recht, sei Teil der Ermittlungen. Diese Details bestätigt die Polizei nicht. Die beiden Männer sitzen in Untersuchungshaft.
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Es ist ein Fall, der die Alarmglocken klingeln lässt bei allen maßgeblichen Stellen. Die Städte wissen, dass sie für Schutz sorgen müssen in den Unterkünften. Die Sozialarbeiter sind besorgt, weil die privat untergebrachten Flüchtlinge einem höheren Risiko der Ausbeutung ausgesetzt sind. Und Polizei wie Zoll wissen, dass nun die Stunde der organisierten Kriminalität schlägt.
Mit dem „Angebot“ nimmt die Gefahr zu
Menschenhändler und „Rattenfänger“ arbeiten nie unorganisiert, sagt Frank Buckenhofer, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei-Zoll. „In dem Augenblick, in dem Menschen in Not sind, wird diese Notlage auch ausgenutzt – im Bereich der Zwangsprostitution und der illegalen Beschäftigung. Diese Gefahr sehen wir immer in Krisen, und sie verschärft sich mit dem ,Angebot’. Das nimmt jetzt massenhaft zu. Als wir die Flüchtlingsmassen 2015 hatten, kamen überwiegend Männer, die dann illegal auf dem Bau oder als Pizzabäcker arbeiteten. Nun sind es Frauen, und leider wird sich dadurch auch die Form der Ausbeutung verändern.“
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Der Zoll und alle Behörden müssten nun verschärft und aktiv die Lage beobachten, fordert Buckenhofer. „Sie müssen alle Antennen ausfahren.“ Dazu gehörten Kontrollen in Bordellen und in der Gastronomie sowie anderen Branchen. „An der Grenze kann man nichts dagegen tun“, erklärt der Zollfahnder. „Die Registrierung ist unerheblich. Erst wenn die Menschen illegal beschäftigt oder ausgebeutet werden, liegt eine Straftat vor.“ Das sei dann eine Herausforderung vor allem für den Zoll. Bei Gewaltdelikten ist es Aufgabe der Landespolizei. Wenn im Privaten ein Gastgeber sexuelle Gefälligkeiten oder Arbeitsleistungen einfordere, „dann ist das menschenverachtend und juristisch Vergewaltigung oder Nötigung oder Erpressung.“
Noch keine Übergriffe bekannt
„Noch kenne ich keine Fälle von Übergriffen hier“, sagt Katharina Küsgen. „Aber ich befürchte, es wird nur eine Frage der Zeit sein, bis wir hören, dass Frauen auf dem Fluchtweg etwas passiert ist.“ Beim Diakoniewerk Gelsenkirchen-Wattenscheid ist Küsgen zuständig für „Flucht und Migration“. Allein in Gelsenkirchen sind, Stand Dienstag, 157 Geflüchtete aus der Ukraine registriert.
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In Bezug auf Gewalt und Zwangsprostitution „haben wir ein Stück Feingefühl“, sagt Küsgen. „Wir haben Erfahrungen mit rumänischen, bulgarischen und afrikanischen Frauen“, die in eine solche Lage geraten sind. „Da wir täglich acht Stunden in den Gemeinschaftsunterkünften ansprechbar sind, wenden sich die Frauen auch an uns, ob es sexualisierte oder häusliche Gewalt ist oder eine Trennung.“
Sammelunterkünfte gelten Experten als sicherer
„Privatunterkünfte sind viel gefährlicher, sofern es sich bei den Gastgebern nicht um Freunde oder Familienangehörige handelt“, erklärt Katharina Küsgen. „Die städtischen Gemeinschaftsunterkünfte sind abgeschlossene Schutzräume mit einem 24-Stunden-Wachdienst“, an den man sich wenden kann und der vor Eindringlingen schützt. Diejenigen, die privat unterkommen, seien dagegen nicht ohne weiteres erreichbar. Sie müssen sich selbst an eine der vielen Anlaufstellen in den Vierteln wenden. Nur auf Anfrage gibt es Hausbesuche.
Wenn Menschen privat, an der Stadt vorbei unterkommen, „sind wir außen vor“, sagt auch Gelsenkirchens Stadtsprecher Martin Schulmann. „Es sind ja alles erwachsene Menschen. Wir können dann allenfalls beratend tätig werden und, wenn etwas schief läuft, Hilfe anbieten … Wir haben das Thema auf dem Schirm. In den Gemeinschaftsunterkünften versuchen wir, kritische Gruppen nicht zu vermischen, und bei der Vermittlung an Gastgeber haben abgeschlossene Wohnungen Priorität. Ein Platz auf dem Sofa ist ohnehin eine Notfalllösung, die in kürzester Zeit zu Problemen führen wird.“
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Die private Unterbringung sei „potenziell gefährlich“, sagt auch Aysel Sırmasaç vom Dachverband der autonomen Frauenberatungsstellen mit Sitz in Essen. „Die Städte müssen so schnell wie möglich den Zugang zu den Frauen suchen und finden.“ Das Personal in den Unterbringungen, den Beratungsstellen, an Schulen, aber auch an Bahnhöfen müsse geschult und für die Gefahr sexualisierter Gewalt sensibilisiert werden. Immer wieder, so Medienberichte, sollen am Berliner Hauptbahnhof Männer geflohene Frauen angesprochen und dubiose Angebote zum Übernachten oder Mitfahren unterbreitet haben.
Sie sind nicht auf dubiose Angebote angewiesen
Tatsächlich wird am Essener Hauptbahnhof bereits ein Flyer von „Nachtfalter“ in ukrainischer und englischer Sprache verteilt, der auf Gefahren und Rechte hinweisen, erklärt Sozialarbeiterin Kim Schmitz von dieser Fachberatungsstelle gegen Menschenhandel. „Die Geflüchteten aus der Ukraine haben ja ein Aufenthaltsrecht hier und legalen Zugang zum Arbeitsmarkt. Sie sind nicht darauf angewiesen, auf dubiose Angebote einzugehen. Wir raten ihnen auch, ihren Ausweis nicht abzugeben und nach Personalien von Fremden zu fragen, die ihnen Mitfahrangebote oder Ähnliches machen. Die sollten sie dann an Freunde weitergeben.“ Dennoch, glaubt Kim Schmitz, werden die Helfer bald mit den ersten Fällen von Zwangsprostitution konfrontiert werden. „Es ist kein neues Phänomen, dass Menschenhandel im Kontext von Flucht stattfindet.“