Berlin. Der Krieg vernichtet nicht nur Leben. Er zerstört auch Lebensperspektiven – gerade von modernen Frauen, warnt Autorin Julia Emmrich.
Frauen als Kriegsopfer. Frauen als Vertriebene. Frauen als Flüchtlinge. Das sind die Bilder der vergangenen Tage. Einige dieser Frauen haben sich schon in den Westen gerettet, andere hoffen noch auf Evakuierung aus den belagerten Städten der Ukraine. Sie haben ihre Kinder an der Hand, ihre alten Eltern im Schlepptau und müssen ihre Freunde, Ehemänner, Brüder und Väter zurücklassen. Es sind Bilder, die von Lebensgefahr, von existenzieller Angst berichten. Dahinter aber droht noch eine andere Sorge.
Der Krieg vernichtet nicht nur Leben, er zerstört auch Lebensperspektiven. Niemand weiß, wie das Leben in der Ukraine sein wird, in den kommenden Jahren. Niemand kann sagen, wann die Geflüchteten wieder zurück in ihr Land können. Für die Frauen, die jetzt aus ihrem Alltag, ihrem Berufsleben, ihrer zivilen Welt gerissen wurden, ist das eine erschütternde Perspektive. Denn was bedeutet es denn für die Mathe-Lehrerin aus Mariupol, für die Psychologin aus Kiew, für die Musikerin aus Cherkiw, wenn sie jetzt Hals über Kopf nach Polen, Deutschland oder nach Ungarn geflohen sind?
Flucht bedeutet für Frauen einen gewaltigen Rückschritt – sozial und ökonomisch
Jeder einzelnen wünscht man, dass sie schnell wieder nach Hause zurückfindet. Oder, sollte sich diese Hoffnung zerschlagen, dass sie im Zufluchtsland in ihrem Beruf weiterarbeiten kann, dass sie einen Kitaplatz für ihre Kinder findet und schnell wieder Stabilität erlebt. Ob das gelingt, ist jedoch mehr als fraglich. Flucht bedeutet für Frauen in der Regel einen gewaltigen sozialen und ökonomischen Rückschritt.
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Damit Frauen ihren Weg gehen können, brauchen sie stabilen Frieden, ein funktionierendes Gemeinwesen und verlässliche Orte für ihre Kinder. Das gilt in der Ukraine genauso wie überall sonst auf der Welt. Auch deshalb ist der Krieg in der Ukraine ein Zivilisationsbruch: Er tötet nicht nur unzählige Menschen. Er traumatisiert nicht nur eine ganze Kindergeneration durch Sirenen, Bomben und Ruinen. Er wirft auch Millionen Frauen auf eine Rolle zurück, die sie eigentlich lange überwunden hatten – auf die Opferrolle. Egal, ob sie bleiben oder fliehen.
Hätte Angela Merkel einen Ausweg gefunden, den die Männer nicht finden?
Der aktuelle Krieg mitten in Europa wird von einem Mann geführt, der sich nach allem was man weiß, fast ausschließlich von Männern beraten lässt. Die anderen Akteure, die über den Verlauf dieses Krieges entscheiden, sind ebenfalls nahezu ausschließlich Männer: Der ukrainische Präsident Selenskyj, der belarussische Machthaber Lukaschenko, US-Präsident Biden und Nato-Generalsekretär Stoltenberg, dazu Chinas Staatschef Xi Jinping und die Regierungschefs von Frankreich, der Türkei und Israels.
Sicher, Deutschland hat mit Außenministerin Annalena Baerbock und Verteidigungsministern Christine Lambrecht zwei Frauen in Schlüsselpositionen. Estland hat immerhin eine mutige Premierministerin. Aber das ist, ehrlicherweise, allenfalls die zweite Reihe in diesem Konflikt. Sähe die Lage mit einer machtvollen Frau in der Spitzenrunde anders aus? Hätte eine Kanzlerin Angela Merkel einen Ausweg gefunden, den keiner der Männer fand oder finden wollte? Die Frage lässt sich nicht seriös beantworten. Und Gedankenspiele im Konjunktiv helfen keiner einzigen Frau in diesen Stunden weiter.
Die erste Willkommenswelle war beeindruckend - jetzt müssen Lösungen her
Was dagegen hilft, sind alle jene Angebote, die Frauen im Krieg nicht nur als bemitleidenswerte Opfer sehen, sondern sie dabei unterstützen, ihr Leben so schnell wie möglich wieder in die eigenen Hände zu nehmen. Die erste Willkommenswelle war beeindruckend. Jetzt müssen kluge Lösungen her – für Zehntausende moderne Frauen, die aus Großstädten mitten in Europa geflohen sind.
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