Bochum. Angst zu haben, ist normal, sagt der Bochumer Psychologie-Professor Jürgen Margraf. Er rät: Reden Sie mit anderen darüber – aber nicht zu viel.

Über die Angst vor dem Krieg sprach Annika Fischer mit Prof. Jürgen Margraf, Professor für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Ruhr-Universität Bochum.

Erst die Pandemie, nun auch noch der Krieg – manche Menschen wissen in diesen Tagen gar nicht mehr, was sie am meisten ängstigt. Ist Angst normal?

Prof. Jürgen Margraf: Angst zu haben, ist normal und sinnvoll: Angst warnt vor Gefahren und bereitet rasches Handeln vor, in der Regel Kampf oder Flucht. Zu viel Angst kann allerdings auch lähmen. In Schreckstarre zu verharren, hilft meist aber nicht weiter. Wir sind damit auch nicht allein: Der Menschen ist viel mehr ein Gruppen-Wesen, als uns klar ist. Es ist eine Illusion zu glauben, dass wir autonom entscheiden könnten. Gemeinsam sind wir stark; es ist sehr wichtig für den Einzelnen, was die anderen denken und tun.

Prof. Dr. Jürgen Margraf sagt: Ältere haben Angst, dass der Krieg zurückkommt, Jüngere müssen lernen, dass er immer und überall passiert.
Prof. Dr. Jürgen Margraf sagt: Ältere haben Angst, dass der Krieg zurückkommt, Jüngere müssen lernen, dass er immer und überall passiert. © FUNKE Foto Services | Olaf Ziegler

Wir wähnten uns in einer Zeit des Friedens. Ältere Menschen kannten den Krieg nur noch aus der Erinnerung, junge gar nicht. Was macht das mit uns, sind wir nicht vorbereitet?

Wir haben uns nur vorgemacht, dass es diese Dinge nicht gäbe. Es stimmt einfach nicht, dass wir „in einer anderen Welt aufgewacht sind“, wie es jetzt heißt. Es hat den Krieg die ganze Zeit gegeben, man muss sogar sagen: Krieg ist leider der Normalfall. Es ist eine wahnsinnige zivilisatorische Errungenschaft, dass wir internationale Strukturen geschaffen haben, mit denen wir dies besser in Schach gehalten haben.
Die Älteren haben jetzt Angst, dass der Krieg wiederkommt. Für die Jüngeren ist die Herausforderung zu realisieren, dass Krieg nicht etwas aus grauer Vorzeit ist, sondern immer und überall passieren kann. Da werden Gewissheiten erschüttert. Das war übrigens ähnlich mit der Pandemie: Da hatten wir auch vergessen, dass so etwas immer mal wieder vorgekommen ist.

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Spielt es für unsere Ängste eine Rolle, dass der russische Präsident und sein Handeln so schwer einzuschätzen sind?

Angst hat viel mit wahrgenommener Kontrolle und Vorhersagbarkeit zu tun. Information kann für beides helfen. Aber Leute wie Putin müssen gestoppt werden, die kann man nicht einfach durch Gespräche von irgendetwas abbringen. Der Mann trifft ganz offensichtlich zunehmend irrationale und skrupellose Entscheidungen , und er hat nun mal den großen, dicken Atomknopf. Grundsätzlich ist es so, dass wir alles fürchten, was unbekannt, außergewöhnlich und unfreiwillig ist. Und was und bekannt scheint, das fürchten wir nicht genügend, stattdessen fürchten wir uns oft sogar vor den falschen Dingen.

Russland unter Putins Führung meinten wir zu kennen. Haben wir ihn also nicht genug gefürchtet?

Wir stehen in Schreckstarre vor etwas, von dem klar war, dass es im Busch war. Wir müssen aber als Gesamtgruppe umdenken und hinter dem Strategiewechsel stehen, den unsere Regierung nun plant. Auch wenn es unseren Lebensstandard vorübergehend senkt, müssen wir das in unser aller Interesse mittragen. Langfristig wird es dann allen besser gehen.

Was tun gegen unsere Angst?

Gemeinsam sind wir immer klüger, deshalb ist der Austausch miteinander wichtig. Man muss die Leute dabei auch nicht in Watte packen. Ich bin 65, und auch ich muss mich jetzt mit Dingen auseinandersetzen, die mich als Heranwachsenden in ganz anderer Weise beschäftigt haben. Man kann einfach in dieser Situation keinen radikalen Pazifismus mehr leben, auch wenn man noch so sehr will.
Die Angst verläuft in drei Schritten: Zuerst kommt die schnelle Reaktion, dann die Einschätzung der Lage, dann die Verarbeitung – und darin liegt unsere Chance. Wir können uns als Gruppe mit der Gefahr auseinandersetzen und damit zu besseren Ergebnissen kommen als jeder für sich allein.

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Wie?

Da kommt die Persönlichkeit ins Spiel. Für manche ist es hilfreich, die bekannten Regeln für den Katastrophenfall zu befolgen, wie sie es vielleicht zu Anfang der Pandemie schon getan haben. Andere verdrängen, aber das funktioniert nicht dauerhaft und kostet zu viel Energie. Vermeiden Sie Informationen nicht, aber setzen Sie sich ihnen auch nicht den ganzen Tag aus. Lieber einmal täglich gründlich informieren, und dann Schluss. Aus der Forschung wissen wir, dass zu viel Input aus den sogenannten sozialen Medien stark verunsichert und zu einem Kontrollverlust führt. Sprechen Sie mit anderen, aber nicht nur darüber und nicht die ganze Zeit. Achten Sie zudem auf genügend positive Aktivitäten und einen gesunden Lebensstil, das gibt Ihnen Stärke und Ausdauer.

Gibt es ein Mittel gegen die Hilflosigkeit?

Aktiv zu sein ist immer besser als passiv. Man kann für die Ukraine spenden, für den Frieden demonstrieren, Erklärungen unterzeichnen, konkrete Hilfe leisten. Wenn wir etwas tun, fühlen wir uns besser und stärker. Ich bin verhalten optimistisch, dass wir Europäer aus dieser Krise vereinter und gestärkter herauskommen werden, weil wir durch diese Erfahrung besser verstehen, auf was es wirklich ankommt.