Bochum. Der bekannte Bochumer Psychologe und Therapeut Prof. Jürgen Margraf spricht über die Folgen der Corona-Pandemie für die Psyche.
Was hat dieses so ungewöhnliche wie beängstigende Jahr mit uns Menschen gemacht? Und welche Wege gibt es, um dennoch mit Zuversicht und Mut ins neue Jahr zu gehen? Über all das sprachen wir mit dem wohl bekanntesten Bochumer Psychologen und Psychotherapeuten, Prof. Dr. Jürgen Margraf (64). Dabei verriet er auch sein ganz persönliches Rezept, um am Ende vielleicht sogar gestärkt aus der Corona-Krise herauszukommen.
Ein ganz besonderes, für einige Menschen leider auch ganz besonders trauriges Jahr geht zu Ende. Was hat die Corona-Pandemie mit der Psyche der Menschen gemacht. Und wie spüren Sie das möglicherweise hier vor Ort in der therapeutischen Arbeit?
Jürgen Margraf: Wir sehen tatsächlich rund 3000 Patienten im Jahr. Da sind alle Altersklassen darunter, ja manchmal auch ganze Familien. Wir sehen in dieser Zeit mehrere Dinge nebeneinander. Natürlich machen sich jetzt die Menschen Sorgen. Das ist völlig verständlich. Bei manchen kann es zu einer Verschärfung schon vorher bestehender Probleme kommen. Aber gleichzeitig sehen wir auch, dass es für andere leichter wird, vor allem, wenn man sich nicht mehr als Einziger mit Problemen fühlt.
Bestimmte Geheimnisse schaden eher
Hier an der Ruhr-Universität gibt es einen Schwerpunkt in der Therapie mit Kindern- und Jugendlichen. Gibt es da Hinweise, wie sich die Pandemie auf junge Menschen auswirkt?
Margraf: Was man sicher sagen kann, ist, dass dieses ständige Hin und Her schlecht ist. Das sehen wir jetzt zum Beispiel nicht nur hier bei uns in Nordrhein-Westfalen in der Schulpolitik. Aber ich will jetzt keine Politikerschelte betreiben. Es gibt noch einen weiteren Aspekt. Nämlich, wenn jetzt Eltern versuchen, etwas vor den Kindern zu verstecken, es geheim zu halten, ist das sicher die schlechteste Lösung. Viel besser wäre es, wenn sie etwa sagten: ‘Das hier ist eine neue Situation und wir wissen nicht ganz genau, was gerade passiert. Aber wir haben gute Leute, die kümmern sich und wir haben die meisten Dinge gut im Griff’. Übrigens wird Unsicherheit etwa der Eltern weniger über das Gesicht ausgestrahlt als vielmehr über die Stimme, die Stimmlage. Wenn man eine angespannte Stimmlage hat, dann reagiert darauf das Gegenüber.
Ganz konkret – was können Familien in dieser mitunter doch stressigen Zeit tun, ohne sich gleich um einen Termin für eine Therapie bemühen zu müssen?
Margraf: Es gibt eine gute Internetseite, die mit ganz einfachen Mitteln und sehr anschaulich Wege aufzeichnet: „Familien unter Druck“. Diese Seite unter Schirmherrschaft des Bundesfamilienministeriums ist mit Unterstützung meiner Frau (Prof. Dr. Silvia Schneider, Anm. d. Red.), also aus der Ruhr-Uni heraus, mit aufgebaut und konzipiert worden. Da sind etwa ganz kurze Video-Clips, die cool gemacht sind und wo etwa TV-Promis ganz knapp praktische Tipps geben.
Selbstwirksamkeit oder die Kunst des Problem-Lösens
Gibt es da eine Idee, ein Konzept, wie wir uns gerade in diesen Zeiten mit mehr positiver Energie in der Welt bewegen können?
Margraf: Alles, was unsere wahrgenommene Kontrolle und Vorhersagbarkeit steigert, das tut uns gut. Psychische Probleme gibt es meistens dann, wenn jemand unrealistisch wenig Kontrolle wahrnimmt. Unser Verhalten wird von kurzfristigen Konsequenzen gesteuert und nicht von langfristigen. Dabei ist Selbstwirksamkeit ein wichtiger Begriff aus der Psychologie. Dieser bezeichnet die Überzeugung, dass ich die Herausforderungen, vor denen ich stehe, auch bewältigen kann. Unser ganzes Leben ist auch Problemlösen. Es kann also helfen, ganz konkret drei Probleme zu erinnern, die man selbst im letzten Jahr gelöst hat – und danach hat man einen geraderen Rücken und geht mit einem größeren Selbstvertrauen in die Welt hinaus.
Was kann man sonst noch tun?
Margraf: Wir brauchen alle Bewegung, körperliche und geistige. Da gibt es leider einen Schichteffekt, bei der Unterschicht, den armen Leuten, liegt der Anteil derjenigen, die gar keinen Sport machen bei über 50 Prozent, und etwa 20 Prozent sagen, sie betätigen sich nie geistig. Und ausgerechnet diese Bevölkerungsgruppe leidet am stärksten unter dieser Pandemie.
Beweglichkeit von Körper und Seele hilft jetzt
Was nehmen wir mit, wenn wir an eine Wende zum Besseren im nächsten Jahr denken?
Margraf: Dies hat uns gezeigt, dass wir zwar als Einzelner nicht wirklich gewappnet gegen eine solche Krise sind, aber wir Menschen als Gruppe sind stark und finden Lösungen. Das ist eine unglaubliche Erfolgsgeschichte, wenn ich etwa an das atemberaubende Tempo bei der Entwicklung des Impfstoffes und unseren gestärkten Zusammenhalt denke.
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Und Sie selbst, wie stärken Sie sich und gehen persönlich durch diese Krise?
Margraf: Ich habe sehr deutlich gemerkt, wie sehr mir mein Sozialleben fehlt und habe zunächst einmal alle meine alten Freunde kontaktiert. Letztlich bin ich als Mann gefährdeter – persönliche Kontakte, das können Frauen viel besser. Außerdem habe ich mein Sportprogramm ausgebaut. Wenn ich sonst drei- bis viermal in der Woche eineinhalb Stunden Sport getrieben habe, tu ich das jetzt beinahe täglich. Laufen, Gymnastik und Kraft, die Kombination, die wirkt. Außerdem kochen meine Frau und ich sehr gerne gemeinsam, das haben wir in den letzten Monaten intensiviert.
>>>Zur Person Jürgen Margraf
Der Psychologe Jürgen Margraf, erhielt 2010 die wichtige Alexander-von-Humboldt-Professur. Dies ist der mit fünf Millionen Euro höchstdotierte Forschungspreis Deutschlands. Margraf gilt als führender Experte auf dem Feld der klinischen Psychologie und Psychotherapie. Er machte sich unter anderem einen Namen bei der Therapie von Angststörungen. Er ist der Autor und Mitherausgeber zahlreicher Veröffentlichungen. Im März 2010 kam er gemeinsam mit seiner Frau Prof. Silvia Schneider an die Ruhr-Universität Bochum. Hier leiten sie das Forschungs- und Behandlungszentrum für psychische Gesundheit.
Ende November wurde bekannt, dass er sich gemeinsam mit seinem Team darum bewirbt, das vom Bund geplante "Zentrum für psychische Gesundheit" an die Ruhr-Universität zu holen. Dieser Bewerbung der international renommierten Fakultät für klinische Psychologie und Psychotherapie der Ruhr-Universität werden dabei durchaus Chancen nachgesagt.