Essen. 190.000 Unternehmer in Deutschland sind auf der mühsamen Suche nach Nachfolgern. Wie ein Gerüstbauer in Essen das Problem gleich dreifach löst.

Fast 40.000 Unternehmer suchen allein in NRW in den nächsten fünf Jahren einen Nachfolger. Viele fürchten, keinen zu finden – erst recht nicht mehr in der eigenen Familie. Ein Essener Gerüstbauer aber hat gleich drei: Verschiedene Bildungswege zu teils ganz anderen Zielen führten die Söhne Alexander, Niklas und Frederik Wykrota am Ende doch zurück in Vaters Firma.

Am Telefon kann der Kunde schon mal durcheinanderkommen: „Mit wem haben Sie denn gesprochen?“ Zuviel gefragt, die heißen ja alle Wykrota. Der frischgebackene Geselle Frederik (24). Niklas (25), der nach seinen letzten Prüfungen gleich den Meister dranhängen will und zugleich Betriebswirtschaftslehre studiert. Alexander (26), gelernter Kaufmann. Und natürlich Dirk (56), zweifacher Gründer und 1988 der jüngste Meister im Land, der sich ohne eine elterliche Firma im Rücken selbstständig machte. Ein „Glück“ sei es, sagt Alexander, dass sich alle hier wiederfanden: im – nun – Familienbetrieb in Essen-Werden.

Drei auf einen Streich: Frederik (24, l.), Alexander (26, 2.v.r.) und Niklas Wykrota (25, r.) sind gemeinsam in den Betrieb ihres Vaters Dirk (56, 2.v.l.) eingestiegen.
Drei auf einen Streich: Frederik (24, l.), Alexander (26, 2.v.r.) und Niklas Wykrota (25, r.) sind gemeinsam in den Betrieb ihres Vaters Dirk (56, 2.v.l.) eingestiegen. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Denn abzusehen war das nicht. Vielleicht beim Jüngsten, der schon auf der Realschule den Technik-Unterricht am coolsten fand: „Sägen, Schrauben, Bohren“, das war sein Ding. In den Ferien jobbte Frederik beim Vater, machte mit 16 aber erst eine Dachdecker-Lehre. Der Gerüstbau schien ihm noch zu schwer, „ich war ja noch ein Kind“. Dann aber entdeckte er doch, dass der Gerüstbau „mehr Spaß macht“: Der 24-Jährige liebt es, „Lösungen zu finden, wenn andere nicht weiterdenken“. Kein Gerüst ist ja wie das andere, keine Fassade gleich. Dieser Wykrota liebt das Vorher-Nachher, das Neue, das hinter der Stahlkonstruktion zum Vorschein kommt.

Die Sicherheit des Bürojobs erfüllte den Ältesten nicht

Für jede Fassade eine passende Lösung. Der Jüngste der Familie, Frederik, übernimmt das Aufmaß für das Gerüst.
Für jede Fassade eine passende Lösung. Der Jüngste der Familie, Frederik, übernimmt das Aufmaß für das Gerüst. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Über den Ältesten haben sie ein bisschen gelacht, als er aus seinen Kaufmanns-Büros zurückkehrte: „Ich hatte schon immer die dünnsten Arme“, gesteht Alexander. Er bleibt der einzige, der hier Hemdkragen trägt statt Arbeitsklamotten. „So ein Betrieb braucht eine kaufmännische Führung“, sagt der 26-Jährige selbstbewusst. Dabei hat er ein bisschen gebraucht bis zur Erkenntnis, „vor vier Jahren hätte ich noch Nein gesagt“. Er arbeitete zuletzt in einem Immobilien-Büro in Düsseldorf, bis die Kurzarbeit in der Pandemie ihn zum Nachdenken brachte. „Was will ich wirklich?“, fragte er sich. Die Sicherheit des Bürojobs jedenfalls, merkte er, „erfüllt mich nicht“. Im Handwerk schaffe man etwas, „eine Dienstleistung kann man nicht anfassen und nicht fühlen“. Der Plan aber ergab sich erst nach der Kündigung, und der geht so: Frederik nimmt das Aufmaß, Alexander kalkuliert das Angebot.

„Ich scheue mich nicht davor, mir die Hände dreckig zu machen“

Und dann ist da noch Niklas, der eigentlich Pilot werden wollte. Der BWL studiert und nun doch bei der Handwerkskammer Dortmund auf seine Prüfung zusteuert, weil er den „Spaß mit dem kleinen Bruder“ auf dem Gerüst vermisste und weil er merkte: „Ich scheue mich nicht davor, mir die Hände dreckig zu machen.“ Der 25-Jährige will gleich durchstarten Richtung Meisterbrief – er wird im gemeinsamen Betrieb also der Meister sein.

Vertraut seinen Söhnen: Dirk Wykrota.
Vertraut seinen Söhnen: Dirk Wykrota. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Vater Dirk hat seinen einst als Dachdecker gemacht. Und immer gewusst, eigentlich: dass es schwierig werden würde, „die Kinder“ für seinen Beruf zu begeistern. „Das Problem hat jeder im Handwerk.“ Das Institut für Mittelstandsforschung (IFM) schätzt aktuell, dass 190.000 Unternehmen in Deutschland innerhalb der nächsten fünf Jahre einen Nachfolger suchen. Ein Drittel der Handwerksbetriebe nannte in einer Umfrage ihres Zentralverbands diese Suche als die „größte Hürde“ für eine Übergabe.

Die Jungen stemmen die Digitalisierung

Dirk Wykrota braucht nicht mehr zu suchen, er hat jetzt dieses Trio, das sein „Potenzial“ genau darin sieht: dass sie zu dritt sind – und dass sie Dinge können, für die dem Vater das Know-how fehlt. Das sagt er selbst so, und hält sich dabei auch räumlich im Hintergrund. Er sieht ja, wie sie Erfolg haben mit der Digitalisierung, mit dem Planen von Prozessen am PC. „Die rocken das sehr gut“, haben das Team gestärkt, den Umsatz im ersten Jahr glatt verdoppelt. Nur ist es auch so: „Das Umdenken“, sagt der 56-Jährige, „muss man erst lernen. Ich habe 33 Jahre lang meine Suppe allein gekocht.“

Aber er hat sie auch „reinwachsen“ lassen, sagt Frederik. „Wir wurden mit viel Vertrauen beschenkt.“ Alles in allem, findet der Jüngste: „Eine gute Entscheidung unseres Vaters.“

>>INTERVIEW MIT UNTERNEHMENSFORSCHER TOM RÜSEN

Prof. Tom Rüsen, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Familienunternehmen (WIFU) an der Universität Witten/Herdecke.
Prof. Tom Rüsen, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Familienunternehmen (WIFU) an der Universität Witten/Herdecke. © WIFU | privat

An die 200.000 Unternehmer in Deutschland brauchen bald einen Nachfolger. Viele tun sich dabei schwer. Drei Fragen an Prof. Tom Rüsen, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Familienunternehmen (WIFU) an der Universität Witten/Herdecke.

Warum ist es so schwer, für Betriebe einen Nachfolger/eine Nachfolgerin zu finden?

Prof. Tom Rüsen:Früher gab es bei den Kindern in Familienbetrieben eine gewisse innere Verpflichtung, die Nachfolge zu übernehmen. Diese Bereitschaft ist rückläufig. Die junge Generation geht heute lieber eigene Wege. Sie möchte ihre eigenen Träume erfüllen, das entspricht dem Zeitgeist.

Hat das Handwerk es da besonders schwer?

In der Breite der Gesellschaft hat das Handwerk ein Image-Problem und nicht mehr den Stellenwert, den es einmal hatte. Die Ausbildung wird im Vergleich zum Studium nicht mehr als vollwertig angesehen: „Du musst schon studiert haben, sonst bist du nichts.“ Dabei ist sie sehr teuer. Wer seinen Meister machen will, muss mehrere Tausend Euro dafür bezahlen. Das muss bildungspolitisch unbedingt verändert werden.

Was passiert, wenn Unternehmen keinen neuen Chef finden?

Man muss mit zwei Effekten rechnen. Betriebe lösen sich auf, bei denen die bleiben, werden die Preise dramatisch steigen. Und die Service-Nähe wird abnehmen: Um die Nachfrage zu decken, werden zunehmend ausländische Betriebe mit Tochter-Unternehmen nach Deutschland kommen.