Essen. Auf dem Bau dauert es über 200 Tage, bis eine Stelle besetzt werden kann. Im Ruhrgebiet ist der Tiefbau besonders betroffen. Exklusive Zahlen.

Ein mittelständischer Bauunternehmer, der zwischen Duisburg und Dortmund zum 1. Januar einen Straßenbauer sucht, kann damit rechnen, dass er bis September tatsächlich einen findet. Durchschnittlich 247 Tage dauert es in diesem Jahr bisher, eine im Tiefbau ausgeschriebene Stelle im Ruhrgebiet zu besetzen. Der Fachkräftemangel wächst auch in der Corona-Pandemie weiter an, auf dem Bau ist die Personalnot besonders groß. Das zeigt eine Auswertung der Bundesagentur für Arbeit NRW für unsere Zeitung.

Die BA-Statistiker in Düsseldorf haben die so genannten Vakanzzeiten in den Berufsgruppen des Handwerks gemessen. Das ist die Dauer vom eigentlichen Antrittsdatum einer über die Bundesagentur ausgeschriebenen Stelle bis zur tatsächlichen Besetzung des Arbeitsplatzes. Die rund acht Monate, die es zuletzt brauchte, eine Tiefbaustelle im Ruhrgebiet zu besetzen, sind der Durchschnittswert der vergangenen zwölf Monate. Die Sorgen sind bekannt, nehmen aber weiter zu. Im Vorjahreszeitraum erhielt der Tiefbau-Unternehmer im Ruhrgebiet noch rund zwei Monate schneller Verstärkung.

Fachkräftemangel nimmt im Handwerk weiter zu

Insgesamt ist der Fachkräftemangel im Handwerk im Ruhrgebiet etwas geringer als in ganz NRW, der Tiefbau ist hier die Ausnahme der Regel, dass es im Revier tendenziell immer noch zu wenige als zu viele Arbeitsplätze gibt. Doch gerade Fachkräfte und Spezialisten im Handwerk fehlen hier wie landesweit. In allen Handwerksberufen zusammen dauerte es im laufenden Jahr durchschnittlich 164 Tage, eine Stelle zu besetzen, im Ruhrgebiet 159 Tage. Nur 2020 waren es mit 173 landesweit noch mehr, möglicherweise, weil gerade zu Beginn der Pandemie viele Kontakte und damit auch Bewerbungsgespräche vermieden wurden. In allen Berufen liegt die Vakanzzeit bei 118 Tagen.

Nach dem Tiefbau klagt der Hochbau auf niedrigstem Niveau über Probleme bei der Personalsuche: 202 Tage (Ruhrgebiet: 173) braucht er im Schnitt, um eine Fachkraft zu finden, etwa einen Maurer, Dachdecker oder Gerüstbauer. Ähnlich schwer tun sich Klempner und Sanitärfachbetriebe (195 Tage), gefolgt vom Ausbaugewerbe (175) mit Malern, Fliesenlegern, Stuckateuren und vielen weiteren Gewerken sowie Elektrikern (170). Dagegen können Stellen im Reinigungsgewerbe, in Textilberufen und der Holzverarbeitung noch etwas schneller besetzt werden.

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Der Personalmangel bringt auch zum Ausdruck, dass die Betriebe alle Hände voll zu tun haben. Dazu passt die jüngste Konjunkturumfrage im Ruhr-Handwerk, die einen deutlich um elf Punkte angestiegenen Geschäftsklimaindex von 124 Punkten ausweist. Am größten ist der Optimismus im östlichen Ruhrgebiet (129), gefolgt vom westlichen (120) und dem nördlichen (109). Noch unterschiedlicher ist die Stimmung in den verschiedenen Handwerksbranchen – während der Bau brummt, klagen Kosmetik- und Friseurbetriebe, Metzger und Fotografen über Umsatzverluste.

Bücher voll mit neuen Aufträgen, nur wer soll sie erledigen?

„Mehr Maßnahmen für Klimaschutz und die Modernisierung der Infrastruktur werden auf absehbare Zeit für volle Auftragsbücher sorgen. Was uns fehlt sind die Fachkräfte, die das alles umsetzen sollen“, betonte Hans Hund, Präsident der Handwerkskammer Münster, derzeit federführend in der Arbeitsgemeinschaft Handwerk Region Ruhr, die aus den drei zuständigen Kammern Münster, Dortmund und Düsseldorf gebildet wird.

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Die gestiegene Nachfrage schlug sich unter anderem in einer gestiegenen Auftragsreichweite von 8,1 Wochen und in einer erhöhten Auslastung von 79 Prozent nieder. Das ist aus Sicht der Kunden keine gute Nachricht: Wer etwa im Bauhauptgewerbe einen Handwerker beauftragt, zum Beispiel einen Maurer, Dachdecker oder Gerüstbauer, muss aktuell im Durchschnitt zwölf Wochen und drei Tage auf ihn warten, also mehr als drei Monate. Ihre Auftragsreichweiten haben sich in diesem zweiten Corona-Jahr seit dem Frühjahr um eine weitere Woche verlängert. Im Ausbaugewerbe dauert es im Durchschnitt neun Wochen und zwei Tage, bis ein Klempner, Fliesenleger oder Maler kommt.

Neben Personal fehlen auch Materialien

Oft fehlen auch nicht nur Personal und Zeit, sondern das Material. Metall, Holz und elektronische Teile sind knapp, das treibt zudem die Preise nach oben. In der aktuellen Umfrage gaben mehr als zwei Drittel aller Bauhandwerker an, ihre Preise erhöhen zu müssen. Über alle Gewerke sagen das 54 Prozent der Handwerker.

Berthold Schröder, Präsident der Handwerkskammer Dortmund, setzt nun auf die neue Ampel-Regierung in Berlin, sie habe in ihrem Koalitionsvertrag „viele gute Impulse gesetzt“. Er lobt die Fokussierung auf die berufliche Bildung, das fordert das Handwerk schon lange. Die Regierung müsse aber darauf achten, dass ihr Pakt zur Stärkung und Modernisierung beruflicher Schulen auch die Bildungsstätten des Handwerks einschließe. „Denn Klimaschutz, Energie und Mobilitätswende sowie Digitalisierung lassen sich nur mit beruflich qualifizierten Fachkräften des Handwerks umsetzen“, so Schröder.