Essen. . Das Wittener Institut für Familienunternehmen kennt die Probleme: Eltern und Kinder reden oft nicht darüber, wer den Betrieb übernehmen soll. Bei Deichmann gab es dafür eine vorbildliche Lösung.

Die deutschen Familienunternehmen stehen vor einem Umbruch: 28 Prozent von ihnen müssen laut einer aktuellen Studie in den nächsten zehn Jahren die Nachfolge in der Führung regeln. Bundesweit stehen danach 46 000 Mittelständler vor einer ungewissen Zukunft.

Diesen Betrieben und deren Mitarbeitern eine Perspektive aufzuzeigen, ist eines der Kernthemen des Wittener Instituts für Familienunternehmen (Wifu) der Universität Witten/Herdecke. „Die Nachfolgefrage ist ein ganz großes Problem in vielen Unternehmen“, sagt Professor Marcel Hülsbeck, der am Wifu lehrt und sich in seiner Forschung insbesondere mit Personal- und Organisationsfragen in Familienunternehmen beschäftigt.

46 000 Mittelständler brauchen Nachfolger

Seine Einschätzung stützt eine Studie der Unternehmensberatung Ernst & Young aus dem Frühsommer. Danach ist die Nachfolgefrage in 46 000 Betrieben, die knapp 1,5 Millionen Mitarbeiter beschäftigen und für einen Umsatz von 292 Milliarden Euro stehen, noch nicht geregelt. Dabei ist die Bedeutung von Familienunternehmen in Deutschland überragend: Rund 90 Prozent aller Firmen befinden sich ganz oder zum Teil in Familienbesitz.

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Hülsbeck hat tiefe Einblicke in die Szene. Familienunternehmen gehören nicht nur zu den Förderern der Privatuniversität Witten/Herdecke. Etliche von ihnen schicken auch ihren Nachwuchs zum Studium in die Ruhrstadt. „Ein Drittel unserer Studierenden am Institut kommen aus Familienunternehmen“, sagt der Professor.

Eltern und Kinder reden nicht darüber

Aus Gesprächen mit Betroffenen kennt Hülsbeck die Vielzahl von Gründen, warum es zu Problemen bei der Nachfolgeregelung kommt. „Heute ist es einfach nicht mehr so, dass der Erstgeborene automatisch den Betrieb übernimmt. Es gibt auch keine Unterschiede mehr zwischen Söhnen und Töchtern“, sagt der Wissenschaftler.

Das größte Problem sei oft ein profanes: „Eltern und Kinder reden nicht über die Nachfolgefrage“, meint Hülsbeck. Diese psychologischen Aspekte sind deshalb auch Teil des Studiengangs, weil sie das Familienleben belasten. Der Professor: „Oft ist nicht klar, ob am Frühstückstisch der Vater mit dem Sohn oder der Chef mit seinem Abteilungsleiter spricht.“ Wenn sie überhaupt über die Nachfolge reden, lässt der Nachwuchs häufig offen, ob er in den familieneigenen Betrieb einsteigen will oder eine Karriere außerhalb anstrebt. „Oft lockt ein Job bei einem Unternehmensberater in New York mehr als die Perspektive, ins eigene Unternehmen in Südwestfalen einzusteigen“, sagt der Wissenschaftler.

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Vorbildliche Lösung bei Deichmann

„Manchmal können die Eltern aber auch nicht loslassen und halten ihre Kinder hin“, erklärt Hülsbeck und spricht in diesem Zusammenhang vom „Prinz-Charles-Effekt“. So erzählt der Professor gern vom 65-jährigen Sohn, der seinem 85-jährigen Vater und Chef mitteilt, dass er in Rente zu gehen gedenke.

Wie es besser gehen kann, lernen die Studierenden am Wittener Institut für Familienunternehmen. „Die Familien müssen eine Strategie über die Nachfolgefrage entwickeln“, rät Hülsbeck. Reibungslos verlief der Wechsel bei Europas größtem Schuhhändler Deichmann. Der 1962 geborene Heinrich Deichmann trat 1989 in das Essener Unternehmen ein und wurde 1999 Vorsitzender der Geschäftsführung, als Nachfolger von seinem Vater Heinz-Horst Deichmann, der dem Sohn sofort alle Freiheiten einräumte.

Eltern können nicht loslassen

Die Duisburger Haniels dagegen haben schon vor fast 100 Jahren grundsätzlich entschieden, dass kein Familienmitglied ins Management der Beteiligungsholding oder eines Tochterunternehmens einsteigt. „Selbst Praktika sind nicht möglich“, so ein Haniel-Sprecher. Die Familienmitglieder sitzen aber in Aufsichtsräten der Firmen, an denen Haniel beteiligt ist. Auch auf diese Kontrollfunktion müssten junge Leute vorbereitet werden, mahnt Professor Hülsbeck.

Eine wichtige Botschaft kann aber weder Forschung noch Lehre transportieren. Hülsbeck: „Die wichtigste Aufgabe in den Familien ist: Ihr müsst miteinander reden.“