Gelsenkirchen. Die Pandemie hat für einen Haustierboom gesorgt. Nun ist der Alltag zurück und Halterinnen und Halter stellen sich die Frage: Wohin mit dem Hund?
Ein lautes Quietschen. Carlo zieht sich zurück. Schon wieder hat er dem Cocker Spaniel-Pekinese-Mix Rio etwas zu fest ins Ohr gebissen. Der vier Monate alte Golden Retriever muss noch lernen, seine spitzen Milchzähne aus dem Spiel zu lassen. Doch wenn nicht hier, wo dann? Mehrmals in der Woche besucht der Welpe die Hundetagesstätte (Huta) Canidos. Während Herrchen und Frauchen im Büro sitzen, toben in Gelsenkirchen 60 Hunde auf einem alten Bauernhof mitten im Grünen.
„Die Huta ist für viele Menschen die einzige Lösung, Beruf und Tierhaltung unter einen Hut zu bringen“, sagt Betreiber Ralph Brandt. Das Problem: In den Hundetagesstätten im Revier gibt es kaum noch freie Plätze. Die Pandemie hat für einen regelrechten Haustierboom gesorgt. Nun ist der Alltag zurück und Halterinnen und Halter stellen sich die Frage: Wohin mit dem Tier?
„Wir haben sehr viele Anfragen“, bestätigt Brandt, der etwa 15 verzweifelten Hundebesitzern am Tag absagen muss. „Wir sind leider voll“, heißt es immer wieder am Telefon. Frühestens Mitte November gebe es den nächsten „Kennlerntag“, an dem sich Halterinnen und Halter die Huta an einem Sonntag in Ruhe anschauen können. Denn normalerweise darf niemand das Gelände betreten. „Stress vermeiden“ lautet das Motto.
Huta in Gelsenkirchen: „Die klassische Familienkonstellation gibt es nicht mehr“
Ralph Brandt ist sichtlich froh, dass das Geschäft wieder anläuft. 60 Hunde betreuen er und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter jeden Tag, während der Pandemie waren es im Schnitt nur halb so viele. Auch die Hundepension sei in den Herbstferien erstmals wieder ausgebucht. „Im Sommer waren die Leute noch zurückhaltend.“
100.000 Euro habe ihn die Pandemie gekostet, erzählt Brandt. Die Pläne, neben den Standorten Gelsenkirchen und Dortmund eine weitere Huta in Essen zu eröffnen, „daran ist derzeit nicht zu Denken“, so der 50-Jährige. „Die Pandemie hat uns wirtschaftlich gesehen fünf Jahre zurückgeworfen.“
Dabei könnten die Hundehalter im Ruhrgebiet den Platz gebrauchen. „Die klassische Familienkonstellation, bei der die Mutter zu Hause bleibt, gibt es nicht mehr“, sagt Brandt. Auf einen Hund verzichten, das wollen die Menschen aber offensichtlich nicht. Unternehmer, die ihren vierbeinigen Freund nicht mit auf Geschäftsreise nehmen können, und Paare, die Vollzeit arbeiten, sind nur einige der Kunden, die um kurz vor sechs am Morgen auf der Matte stehen.
Betreuung in der Huta: „Voraussetzung ist, dass der Hund sozialverträglich ist“
Doch es gibt auch andere Gründe, seinen Hund in die Huta zu bringen: Jack Russel-Yorkshire Terrier-Mix Carlo zum Beispiel braucht viel Bewegung, die vierjährige Hündin Dori liebt den Kontakt zu anderen Hunden und ist überhaupt nicht gern allein. Und Mischling Nala ist „geht so sozialisiert“, wie Halterin Angela Leimmecke sagt. Im April nahm die 31-Jährige die Hündin aus dem Tierheim zu sich. In der Huta wartet Nala nicht nur, bis ihr Frauchen von der Arbeit zurück ist. Sie lernt dort auch den Umgang mit anderen Hunden.
Mindestens einmal in der Woche kommen die Hunde in die Huta nach Gelsenkirchen. Ebenso wie bei seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern versucht der Betreiber eine hohe Fluktuation – und somit Stress für die Tiere – zu vermeiden. „Von heute auf morgen“ bekommt daher niemand einen Platz.
„Voraussetzung ist auch, dass der Hund sozialverträglich ist“, sagt der Tierpsychologe, den Blick stets abgewandt. „Eine unhöfliche Angewohnheit“, entschuldigt er sich. „Mogli, jetzt ist aber Schluss!“ Jeden Hund kennt Ralph Brandt beim Namen und weiß genau, auf wen er ein Auge haben muss: „Man kennt ja seine Pappenheimer.“
Und so hört man vor dem Fachwerkhaus nicht, dass dahinter 60 Hunde unterschiedlichster Rassen zusammenleben. „Hunde bellen, wenn sie sich aufregen oder frustriert sind“, sagt Brandt. In der Huta aber sollen sich die Tiere wohlfühlen. Dazu gehöre, dass der ein oder andere Hund nach dem Probetag nicht wiederkommen darf. „Ich möchte keinen Hund sehen, der traurig in der Ecke sitzt“, sagt der gelernte Softwareentwickler, der sich mit der Hundetagesstätte einen Traum erfüllte. „Wir machen das, weil wir Hunde lieben, nicht nur, weil wir Geld verdienen wollen.“
Corona-Pandemie brachte vielen Vierbeinern ein neues Zuhause
Der alte Bauernhof, den Brandt vor zehn Jahren gekauft hat, ist ein Paradies für Vierbeiner: Spielende Welpen, Huskys, die über die „Rennbahn“ flitzen, und große Bäume, unter denen die Hunde im Sommer ein schattiges Plätzchen finden. Wer von all dem Toben, Buddeln und Blödsinnmachen eine Pause braucht, zieht sich zurück in den Innenbereich, wo sich die Rudelälteste gerade den Rücken am Holzofen wärmt. „Das ist wie eine Kreuzfahrt“, sagt Brandt. „Die Hunde können entscheiden, ob sie auf der Dachterrasse liegen oder bei der Animation mitmachen wollen.“
Dass die Hutas in der Region voll sind bis unters Dach, darin sieht der Betreiber im Übrigen ein gutes Zeichen: So hätten viele Hunde während der Pandemie ein neues Zuhause gefunden. Und auch für uns Menschen sei ein Haustier eine Bereicherung. „Wenn man so einen Hund zu Hause hat“, sagt Brandt und lässt sich von dem kleinen Rauhaardackel Louie durchs Gesicht schlecken, „kriegt man sicher keine Depressionen.“
Öffnungszeiten und Preise
■ Die Hundetagesstätte Canidos in Gelsenkirchen ist montags bis freitags von 6 bis 19 Uhr sowie samstags und sonntags von 9 bis 18 Uhr geöffnet.
■ Eine Zehnerkarte kostet je nach Betreuungszeit 180 beziehungsweise 205 Euro, eine Einzelkarte 20 beziehungsweise 23 Euro.
■ Hündinnen, die läufig sind, werden in der Huta nicht betreut. Rüden müssen kastriert sein.