Recklinghausen. Der Nabu Recklinghausen ärgert sich über unachtsame Spaziergänger und leer gepflückte Obstbäume auf seiner Streuobstwiese – und setzt einen Zaun.
Schon wieder ist der Zaun kaputt. Jeder einzelne Draht fein säuberlich durchtrennt. Ute Kühler ist enttäuscht. „Eigentlich“, sagt sie, „wollten wir überhaupt keinen Zaun aufstellen.“ Doch die Mitglieder des Naturschutzbundes (Nabu) in Recklinghausen hatten keine andere Wahl. Keinen einzigen Apfel, keine einzige Kirsche, keine einzige Pflaume haben die Ehrenamtlichen im vergangenen Jahr geerntet. Die vielen Spaziergänger während der Corona-Pandemie hätten das gesamte Obst gepflückt, teilweise sogar auf dem örtlichen Wochenmarkt als Bio-Obst verkauft, ärgert sich die Vorstandsvorsitzende des Kreisverbandes.
Streuobstwiese: Ein Rückzugsort für die Natur
Seit 30 Jahren gibt es die Streuobstwiese im Recklinghausener Süden. Im Gegensatz zu Obstplantagen, auf denen mehrere hundert Bäume in einer Reihe wachsen, stehen die 120 bis 140 Obstbäume im Hohenhorster Wald verstreut in der Landschaft. Auch finde man auf Plantagen üblicherweise nur Äpfel oder Birnen einer Sorte, die alle gleichzeitig reif und bereit zum Pflücken sind, erklärt Ute Kühler. Gellerts Butterbirne, Clapps Liebling und Dönnissens Gelbe Knorpelkirsche: Auf der Streuobstwiese dagegen „muss man sich das, was man haben möchte, zusammensuchen.“
Mit der Streuobstwiese und dem nahe gelegenen Laichgewässer wollten die Recklinghäuser Naturschützer einen Rückzugsort für die Tiere und Pflanzen der Hohenhorster Heide schaffen. So leben auf der Wiese neben unterschiedlichen Vogelarten – unter anderem dem seltene Waldkauz – Kröten, Frösche, Molche, Fledermäuse und „Wühlmäuse, die eine ganze Bussardfamilie ernähren könnten“. Anfang April hat der Nabu außerdem einen rund 150 Meter langen Blühstreifen auf der Fläche angelegt, auf dem Kräuter wie Spitzwegerich, Schafgarbe und Gundermann zahlreichen Insekten ein Zuhause geben.
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Und so tummeln sich zwischen Wiesen und Sträuchern Wildbienen, Heupferdchen und Schmetterlinge. Viel eingreifen in die Natur wollen die Naturschützer nicht. Die Obstbäume bekommen nur einen leichten Schnitt, um Form, Licht und Luft in die Krone zu bringen. Zweimal im Jahr wird die Wiese gemäht. „Aber nicht vor Ende Juni, Anfang Juli“, sagt Ute Kühler – damit die Rehkitze, die sich im Mai und Juni im hohen Gras verstecken, nicht von den Maschinen erfasst werden. Und auch die Hecke, die die 3,5 Hektar große Wiese in zwei kleinere unterteilt, um „mehr Ruhe reinzubringen“, wird einmal im Jahr „auf Stock gesetzt“, in etwa auf Kniehöhe gebracht, erklärt die 64-Jährige. Im Frühjahr trieben die Pflanzen dann wieder neu aus.
Obstbäume in Recklinghausen sind nicht auf Ertrag getrimmt
Zwischen alten Bäumen und solchen, die den nächsten Winter vermutlich nicht mehr überstehen, pflanzen die Ehrenamtlichen immer wieder neue Obstbäume. Rund 100 Euro koste ein Baum, der bis dahin schon fünf bis sieben Jahre in der Baumschule verbracht hat. „Die Wiese ist nie fertig“, sagt Ute Kühler.
Seit 2018 können Bürgerinnen und Bürger aus dem Kreis Recklinghausen Baumpatenschaften übernehmen. Auch Ute Kühler hat einen solchen Patenbaum. Geheimrat Dr. Oldenburg heißt die Apfelsorte, die an ihm wächst. „Süßsäuerlich und besonders saftig“, sagt Kühler, beißt in den grüngelben Apfel und verzieht das Gesicht. „Aber noch nicht reif.“
Besonders beliebt bei Allergikern seien die alten Apfelsorten wie der rote Kaiser Wilhelm, die, so Kühler, meist weniger Allergene enthielten. Der Apfelsaft, den sie hier im Herbst pressen, sei jedoch keinesfalls sortenrein. „Die Bäume sind nicht auf Ertrag getrimmt“, sagt Ute Kühler. Und in diesem Jahr sei die Ernte schlecht. Der späte Frost im Frühjahr habe einigen Apfelsorten und auch der Pflaume geschadet. Der Saft werde gerade so reichen, um die Vorräte der Nabu-Mitglieder aufzufüllen, vermutet Kühler.
Für Schulklassen reservierte Bäume bleiben vom Obstklau nicht verschont
Seit mehr als 40 Jahren ist die Floristin beim Naturschutzbund aktiv, kümmert sich neben der Streuobstwiese auch um Veranstaltungen für Kinder. Dass nun ein Zaun die Wiese schützt, sei das Ergebnis „vieler kleiner Ärgerlichkeiten, die sich über die Jahre angehäuft haben“: Reifenspuren, abgebrochene Äste, ausgegrabene Wurzeln und Hunde, die ohne Leine über die Wiese laufen und die Rehe, Füchse und Hasen verschrecken.
„Wenn sich jemand vier, fünf Äpfel in den Jutebeutel steckt, um zuhause einen Apfelkuchen zu backen – Kein Problem!“, sagt Ute Kühler. Nicht selten aber fand die 64-Jährige selbst an einem Baum, an dem ein Schild hängt mit den Worten „Ich bin reserviert für die Klasse 4a“, keinen einzigen Apfel. Der Zaun wird daher noch am selben Tag repariert. Und siehe da: Der plattgetrampelte Streifen Wiese, über den einst viele Spaziergänger gingen, ist kaum noch zu erkennen. „Die Natur“, freut sich Kühler, „erholt sich.“
Futterwiese als Hundeklo genutzt
■ Neben der Streuobstwiese sind auch andere Wiesen in Recklinghausen mit einem Zaun versehen worden. Der Landesbetrieb Straßen.NRW hat die Ausgleichsfläche, die im Zuge des sechsspurigen Ausbaus der A 43 angelegt wurde, im vergangenen Jahr eingezäunt.
■ Der Grund ist jedoch ein anderer: Das dort geerntete Gras dient den Giraffen und Zebras in der Zoom-Erlebniswelt in Gelsenkirchen als Futterheu und darf nicht mit Hundekot verunreinigt sein. Alle Appelle an die Hundebesitzer, ihre Tiere an der Leine zu führen, seien vergebens gewesen, sagt Petra Rahmann, Umweltexpertin von Straßen.NRW. „Unnatürliche Grenzen“ in der freien Natur seien für sie stets die allerletzte Lösung. „Die Entscheidung, einen Zaun setzen zu lassen, ist mir sehr schwer gefallen.“