Essen. Puzzles erfreuten sich schon vor Corona wachsender Beliebtheit, 2020 waren sie fast ausverkauft. Denn Puzzeln entspannt. Kann aber weit mehr.

Masken, Desinfektionsmittel und Klopapier waren zu Beginn der Corona-Pandemie die am heißesten begehrten Produkte. Dicht gefolgt von – Puzzles! Im Frühjahr 2020 war ein klassisches 1000-Teile-Puzzle so gut wie nicht mehr zu bekommen. Nicht im Handel vor Ort, nicht online. „Völlig irre“, erinnert sich Heinrich Hüntelmann, Pressesprecher der Ravensburger Gruppe. „Die Leute haben sogar Puzzles getauscht, sich gegenseitig welche ausgeliehen.“

Und das, obwohl Europas größter Hersteller gleich zu Beginn der Pandemie die Produktionskapazitäten in seinen Werken in Ravensburg und Tschechien im Mehrschichtenbetrieb „auf Vorweihnachtsniveau“ hochfuhr. „Lieferengpässe“, so Hüntelmann, „blieben dennoch nicht aus, wir konnten die Nachfrage kaum befriedigen.“ Das habe „überrascht, vor allem, weil es unseren Mitbewerbern genauso erging…“. 28 Millionen Puzzles verkauften allein die Ravensburger im Jahr 2020, 32 Prozent mehr als im Vorjahr – und das war schon kein schlechtes.

Früher Lehrmaterial, heute Volks-Hobby

Ein 1000-Teile-Puzzle ist an paar Nachmittagen zu schaffen. Doch es gibt die Legespiele in allen Größen und Varianten – und für alle Altersgruppen.
Ein 1000-Teile-Puzzle ist an paar Nachmittagen zu schaffen. Doch es gibt die Legespiele in allen Größen und Varianten – und für alle Altersgruppen. © HK | Paul Beier

Tatsächlich entflammte schon vor Corona die Begeisterung fürs Puzzeln neu. Die Spielwarenbranche spricht von einen „Boom des Analogen“. Viele Branchenkenner hatten das anders erwartet, angesichts einer zunehmend digitalen Welt. „Doch für viele Menschen ist das Haptische eher wichtiger geworden, sie wollen sich wieder einmal ‚ganz normal‘ betätigen, etwas mit Fühlen und Anfassen machen. Sie empfinden das als Urlaub von der digitalen Welt“, sagt Hüntelmann. In der Pandemie entdeckten die von Homeschooling, Homeoffice und Lockdown entnervten Familien das Puzzeln dann zudem als probates Mittel gegen den Lagerkoller. Schließlich, heißt es, stecken in jedem 1000-Teile-Puzzle 999 kleine Glücksmomente…

Erfunden hat die Puzzles der britische Kupferstecher und Kartenhändler John Spilsbury (1739-1769) -- als „Lehrmittel zur Erleichterung des Erdkundeunterrichts“. Er klebte Landkarten auf Mahagoni-Holz und schnitt dann Kontinente, Länder oder Grafschaften mit einer Laubsäge (engl.: jigsaw) aus. Die Schüler sollten die Karte wieder zusammenfügen und dabei lernen. Bis heute heißen Puzzles in Großbritannien: Jigsaw.

Die erste Stanzform: eine alte Pralinenschachtel-Presse

Erst Anfang des 20. Jahrhunderts begann die industrielle Massenproduktion. Die Ravensburger produzierten in den 60er-Jahren ihre ersten Legespiele, mithilfe einer – Pralinenschachtel-Presse. Heute wird in der firmeneigenen Manufaktur für das perfekte Stanzwerkzeug jedes einzelne Puzzleteil erst von Hand vorgezeichnet, jede Linie dann mit scharfem Bandstahl nachgebogen und in Holzplatten geklopft. 160 Arbeitsstunden fließen in die Herstellung einer einzigen Stanzform, 65 Meter Bandstahl in die Form für ein 1000-Teile-Puzzle.

Puzzeln gilt als „Volks-Hobby“, es ist in allen Alters- und Bevölkerungsgruppen gleichermaßen beliebt, ein wenig mehr bei Frauen als Männern vielleicht. Für Kleinkinder gibt’s Zwei-Teile-Legespiele im Handel; die meistverkaufte Größe ist das 1000-Teile-Puzzle („In ein paar Nachmittagen zu schaffen“, verspricht Hüntelmann); größtes im Angebot der Ravensburger (und bis 2017 das größte serienmäßig hergestellte überhaupt) ist das 40.320-Teile-Panorama-Puzzle „Unvergessliche Disneymotive“, eher „ein langfristiges Familienprojekt“: 600 Stunden sollte man dafür einplanen -- und Platz haben: Das Ding misst sieben mal zwei Meter und wiegt 20 Kilo….

Motiv-Favorit: die Natur

Motiv-Favorit ist und bleibt die Natur, daran hat Corona nicht gerüttelt. Immer mehr Puzzlefans begeistern sich aber auch für die neuen, schwierigen „Krypt“-Puzzles. Deren wendelförmig angeordneten Teile zeigen kein Motiv, sie sind unifarbig. Gepuzzelt wird nur über die Form. Während der Pandemie vervierfachte sich bei Ravensburger zudem die Nachfrage nach personalisierten (Foto-) sowie 3-D-Puzzles. 130.000-mal wurde 2020 das Modell „Lamborghini Huracán EVO“ gekauft…

Denn längst werden nicht mehr nur einfache gestanzte Pappen mit hübschen Bildern darauf als Puzzle angeboten, sondern unzählige Varianten davon: Es gibt Kugel- und Würfelpuzzles, Mystery- und Destiny-Puzzles, Puzzles, die rückwärts gepuzzelt werden und welche, die auf Vorder- und Rückseite verschiedene Motive zeigen; und das alles natürlich auch als App. Vorerst letzter Schrei sind die sogenannten Exit-Puzzles, eine Art Rätsel-Puzzle, angelehnt an die beliebten „Exit Rooms“.

Entspannung pur – und mentales Workout für Erwachsene

Für Erwachsene, fanden Psychologen der Universität  Ulm heraus, ist regelmäßiges Puzzeln über Jahre ein prima Gehirntraining: Es fördert unter anderem Kurz- und Langzeitgedächtnis, kognitive Flexibilität, räumlich-visuelle Wahrnehmung und das logische Denken. Bei Kindern schult es Feinmotorik und Auge-Hand-Koordination.
Für Erwachsene, fanden Psychologen der Universität Ulm heraus, ist regelmäßiges Puzzeln über Jahre ein prima Gehirntraining: Es fördert unter anderem Kurz- und Langzeitgedächtnis, kognitive Flexibilität, räumlich-visuelle Wahrnehmung und das logische Denken. Bei Kindern schult es Feinmotorik und Auge-Hand-Koordination. © Shutterstock / Robert Kneschke | Robert Kneschke

Puzzeln, fanden Wissenschaftler inzwischen heraus, bringt im Übrigen mehr als bloß Entspannung. Bei Kindern schule es Feinmotorik und Auge-Hand-Koordination. Für Erwachsene sei es eine Art „Brainjogging“, ein mentales Workout. Eine Studie der Uni Ulm zeigte, dass es „Lang- und Kurzzeitgedächtnis, kognitive Flexibilität, mentale Rotation, schlussfolgerndes Denken sowie visuell-räumliche Wahrnehmung“ fordert. „Vor allem, wenn Puzzeln langfristig und regelmäßig ausgeübt wird, könnte es einen Schutzfaktor gegengeistigen Abbau im Alter darstellen“, erklärte der Psychologe Patrick Fissler.

Wie auch immer: Die Begeisterung lässt jedenfalls nicht nach, seit Eltern wieder arbeiten und Kinder zur Schule gehen: Die Nachfrage nach Puzzles, sagt Ravelsmann-Sprecher Hüntelmann, sei nach wie vor „gewaltig“. „Der Mensch“, meint er, „will einfach Teile zu einem Ganzen zusammenfügen.“