Ruhrgebiet. Ab Herbst sollen noch mehr Apotheker in NRW ihre Kunden gegen die Grippe impfen. Die Ärzteschaft protestiert: Impfstoff gehört in die Arztpraxis!
Alle reden von der Corona-Impfung, aber im Herbst steht auch die Grippe-Schutzimpfung wieder an. In einem Modellversuch dürfen seit dem vergangenen Oktober auch Apotheker die Spritze setzen. Nun wird der Test ausgeweitet, noch mehr Pharmazeuten in ganz NRW machen mit. Damit wird auch der Streit heftiger: Einmal mehr geht es Ärzte gegen Apotheker.
Das Vakzin gegen Covid war noch nicht einmal auf dem Markt, da herrschte in Deutschland Ende 2020 schon ein anderer Mangel: Den Praxen ging der Grippe-Impfstoff aus. Ärzte hängten Zettel in die Fenster, „im November kein Impfstoff mehr verfügbar". Nachdem der Bundesgesundheitsminister wieder und wieder für die Spritze geworben hatte, wollten tatsächlich mehr Bürger den Impfschutz haben – wenn es schon gegen Corona (noch) nichts gab. Das Paul-Ehrlich-Institut stellte Millionen zusätzliche Dosen zur Verfügung, und trotzdem wurde das EU-Ziel nicht erreicht: Europa will, dass 75 Prozent der Über-60-Jährigen geimpft werden, Deutschland schafft kaum 35. Wissenschaftler, die das Modellprojekt begleiten, beziffern die „Impflücke“ auf 25 Millionen Menschen.
Im ersten „Impfwinter“ ließen sich 400 Menschen immunisieren
Auch deshalb impfen inzwischen die Apotheker mit. Nach dem Willen der Bundesregierung, die mit dem sogenannten „Masernschutzgesetz“ von März 2020 die Impfquoten steigern will, startete zuerst die Krankenkasse AOK Rheinland/Hamburg mit dem Apothekerverband Nordrhein ein zweijähriges Modellprojekt: Seit Herbst darf die Grippe-Spritze auch von Pharmazeuten gesetzt werden – nach vorheriger Schulung. Nach der ersten Saison in vier ausgewählten Regionen, darunter Mülheim/Essen/Oberhausen sowie Duisburg und die Rhein-Region, wird der Versuch nun auf ganz Nordrhein erweitert.
Im ersten „Impfwinter“ ließen sich rund 1000 Menschen in vier beteiligten Bundesländern von ihrem Apotheker impfen. Im Bereich Nordrhein machten 250 Pharmazeuten in 125 Apotheken mit, 400 Menschen wurden geimpft, vor allem offenbar Stammkunden – und ausschließlich AOK-Versicherte. Weshalb der Appell an andere Krankenkassen laut wird, ebenfalls mitzutun. Denn das ist noch nicht viel, wird aber trotzdem als Erfolg gefeiert: Man habe „insbesondere Menschen erreicht, die sich sonst nicht hätten impfen lassen“, heißt es von der AOK. Der Apothekerverband Nordrhein kündigte an, nun mehr „die zweite Stufe zu zünden“. Zusätzlich steigt in diesem Jahr nun auch die AOK Nordwest mit ein, 700 Apotheken des Apothekerverbands Westfalen-Lippe im Osten und Norden Nordrhein-Westfalens könnten bald impfen.
„Warum sollten sie sich woanders impfen lassen als in den Praxen?“
Die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) protestierte sofort: „Statt impfende Apotheker brauchen Ärzte ausreichend Impfstoff!“ Am fehlenden Impfstoff werde auch nichts geändert, wenn mehr Kräfte die Impfung anböten. Zu viele Menschen hätten im letzten Winter vertröstet werden müssen. Zumal, so argumentieren die Mediziner: Impfen sei ärztliche Kernkompetenz, der Hausarzt kenne seine Patienten, „warum sollten sie sich woanders impfen lassen als in den Praxen“?
Für Dr. Frank Bergmann, Vorstandsvorsitzender der KV Nordrhein, zeigen die bislang eher niedrigen Zahlen, „dass offenbar kein Bedarf für Grippeschutzimpfungen in Apotheken besteht“. Er stellt die Impfungen in Arztpraxen dagegen: Allein im Bereich Nordrhein seien zwischen April und Dezember 1,5 Millionen Menschen geimpft worden, die Daten aus dem Frühjahr noch nicht eingerechnet. Hinzu kommt, das beklagen auch Bergmanns Kollegen etwa in Rheinland-Pfalz, dass es die ärztliche Expertise und Soforthilfe brauche, wenn ein Patient die Spritze nicht gut verträgt. Wissenschaftler bestätigen indes, dass in der ersten Modell-Saison keine Komplikationen aufgetreten seien.
Drei Euro mehr für Apotheker als für Ärzte
„Besonders irritierend“ finden die Ärzte in Westfalen-Lippe zudem, dass die Apotheker eine „um ein Drittel höhere Honorierung“ erhielten. Das klingt viel, sind mit 12,61 Euro tatsächlich aber etwa nur drei Euro. Was die Ärzte unlogisch finden, die Apotheker aber gerechtfertigt: Sie müssten für die neue Aufgabe Schulungen besuchen, Räume einrichten, Zeit investieren. Das sei, sagt einer, „patientenorientiert, aber nicht wirtschaftlich“.
Zudem wollen die Apotheker gar nicht in Konkurrenz zu den Ärzten gehen, betont Thomas Preis, Vorsitzender des Apothekerverbandes Nordrhein. Man wolle die Durchimpfungsraten weiter steigern, das sei eine „Ergänzung“. „Wir wollen den Ärzten nichts wegnehmen“, sagt auch der Apotheker Patrick Marx, der in Mülheim und Oberhausen vier Apotheken betreibt, „sondern die Hemmschwelle senken, damit sich mehr Menschen impfen lassen.“ Durch den Einsatz der Pharmazeuten, so Marx, habe es bei den Ärzten „keine einzige Impfung weniger gegeben“.
Die Zahlen hätten indes höher sein können, vermutet ein Apotheker im Ruhrgebiet, wenn alle Krankenkassen mitmachen würden. Und schon wegen des Widerstands der Ärzte hätten die meisten Kollegen nur zurückhaltende Werbung gemacht. Denn „Impfen“, beharren die Kassenärzte in Westfalen, „ist eine ärztliche Tätigkeit und gehört nicht in die Apotheke.“ Da müsse man fragen, antwortet Patrick Marx: „Worum geht es gerade, ums Geld oder um die Gesundheit der Patienten?“ Zumal, er findet, man können einem Apotheker eine Impfung zutrauen. „Wir können das.“