Duisburg. Mit 14 kompletten Kunstherzen ist das Evangelische Klinikum Niederrhein das größte Implantationszentrum Europas. Knapp 1000 Menschen leben weltweit mit einem Kunstherzen. Ulrich Münz ist einer von ihnen und erzählt, wie das Leben mit einem laut pumpenden Kompressor an der Seite ist.

Man muss schon deutlich seine Stimme heben, wenn man sich mit Ulrich und Renate Münz unterhalten will. Denn das dominante Pumpen ist allgegenwärtig: Ulrich Münz hat kein Herz mehr, ein Kunstherz schlägt in seiner Brust, angetrieben von einem sechs Kilo schweren Kompressor, an dem er mit daumendicken Schläuchen hängt.

Steckdosen haben für den Juristen seither eine existenzielle Bedeutung, denn die ziegelsteingroßen Akkus halten im Notfall kaum eine Stunde, daher ist selbst das Auto im Notfallplan integriert. Ehefrau Renate trägt immer ein Reservegerät mit sich, lässt ihren Mann am liebsten keine Minute allein. Zu bewusst hat sie Aussetzer des Geräts erlebt, die ihren Mann zusammenklappen lassen. Vier Minuten hat sie dann Zeit, solange wird das Gehirn noch durchblutet.

68 Dezibel laut pumpt es permanent

Vier Minuten, in denen sie mit einer Kneifzange den Kabelbinder durchtrennen muss, um die Schläuche ab- und an ein Reservegerät anzuschließen. „Da gehen die Hände so“, sagt sie und hebt sie zitternd in die Höhe. Dabei ist Renate Münz Intensiv-Krankenschwester, kann die Anschlüsse besser steril verpacken als der eigene Hausarzt. Aber am Ende ist es doch der eigene Mann, kämpfen Emotion und Angst gegen Schnelligkeit.

Die Geräuschkulisse isoliert, immerhin 68 Dezibel laut pumpt es Stunde für Stunde, auch nachts. „Ich hör es auch über die Schläuche“, sagt Ulrich Münz. Gewöhnen könne man sich daran nicht. Kino oder Oper sind tabu. Aber es gibt auch einen Taxifahrer, der sein Geschäft mit einem Kunstherzen weiter betreibt, erzählt Prof. Dr. Gero Tenderich, der Münz im Mai letzten Jahres am Evangelischen Klinikum Niederrhein operierte. Seine Patienten kommen auf den allerletzten Drücker, totkrank, sie leiden an terminaler Herzinsuffizienz, das Herz pumpt gerade noch soviel Blut, dass man lebt. Die Patienten sind extrem geschwächt, oft abgemagert. Pumpt ein Kunstherz plötzlich wieder sechs Liter pro Minute durch den Körper, blühen die Betroffenen schnell auf, beschreibt Tenderich fasziniert. So war es auch bei Ulrich Münz, der seit einem Herzinfarkt 2007 nur noch auf 12,5 Prozent der herkömmlichen Pumpleistung lag. „Ich konnte nur noch zehn Meter laufen, dann brauchte ich eine Pause.“

Dankbar für das Kunstherz

Jährlich sterben in Deutschland 50.000 Menschen an terminaler Herzinsuffizienz, allein 10.000 in NRW, dem gegenüber stehen gerade 300 Herz-Transplantationen. Darauf konnte auch Münz nicht warten, nach einem Reigen aus Umkippen, Reanimation, einer Sepsis oben drauf. Münz ist dankbar für das Kunstherz, hofft jetzt, auf die Transplantationsliste zu kommen, damit er irgendwann wieder ein Herz hat, dass er nicht ständig hört. Bis dahin halten sich alle vier Kinder fit in der Handhabung der Geräte, Ulrich Münz pflegt seinen Galgenhumor und seine Frau tankt Kraft - und Ruhe - beim Gassi gehen mit dem Familienhund.

Forschungsprojekt „ReinHeart“

An einem vollimplantierbaren Kunstherzen forschen Prof. Dr. Gero Tenderich und Prof. Dr. Reiner Körfer zusammen mit dem Helmholtz-Institut der Uni Aachen. Aktuell werden die Forschungsergebnisse in chronischen Tierversuchen an Kälbern getestet. Das „ReinHeart“ funktioniert nicht pneumatisch, sondern elektrisch, ist ohne den Kompressor also auch nicht so laut.

Das Projekt wird von der Klessmann-Stiftung, der Landesregierung NRW und privaten Spendern getragen. Ziel ist zeitnah eine europäische Zulassung.

Auf dem Monitor in seinem Büro zeichnen sich die Vitalzeichen eines Menschen ohne Herz ab. Gleichmäßig pulsieren die Zacken über den Bildschirm. Mit seiner Hand schneidet Prof. Dr. Gero Tenderich das Herzmodell anschaulich „entzwei“: Beide Herzkammern entfernt der Arzt des Evangelischen Klinikums Niederrhein, um Platz zu schaffen für das Kunstherz. Die beiden mandarinengroßen Kunststoffkammern werden bei betroffenen Patienten an die Vorhöfe angenäht, die Kompressionsschläuche ragen dann aus dem Bauch heraus.

1000 Menschen leben weltweit mit einem Kunstherz

Weltweit leben knapp über 1000 Menschen mit einem kompletten Kunstherzen. Zusammen mit Prof. Dr. Reiner Körfer hat Tenderich allein im vergangenen Jahr 14 eingesetzt, damit bilden sie das größte Implantationszentrum Europas. Die Ärzte haben bei ihrem Wechsel aus Bad Oeynhausen vor drei Jahren das halbe Team mitgebracht, mit dem sie erfolgreich auch Spenderorgane transplantierten. Die Kompetenz nützt in Duisburg leider nichts, weil landesweit nur in fünf Zentren operiert werden darf. Ein Umstand, der die Mediziner auf die Palme und auf Ideen bringt. Im Aachener Zentrum unterstützen sie jetzt regelmäßig die Transplantationsteams. Und hoffen ansonsten, dass ihre Expertise irgendwann auch Duisburg zu einem Zentrum macht. Solange konzentriert sich das Team auf die Forschung – und operiert rund 500 Bypässe jährlich.

Tenderich selbst stammt vom Niederrhein und vermisst an Bad Oeynhausen allenfalls die Schlagzahl, „wir haben da einen heißen Reifen gefahren, bis zu 18 Patienten am Tag operiert. Hier ist der Schwerpunkt ein anderer“, erklärt der Chirurg. Denn angesichts sinkender Organspenden seien Kunstherzen eine echte Option.