Emschergebiet. . Seit 25 Jahren baut das Revier an einem Wunder. Es wird die Region verändern
Schauen wir einmal in den Himmel. Vielleicht ist er heute wolkenverhangen, vielleicht auch: blau. Aber selbstverständlich hat er nicht die Farbe von Ruß ... Und nun stellen wir uns die Emscher vor.
„Fenster hoch!“, ist immer noch der erste Gedanke, wenn wir sie im Sommer überfahren – schnell weg! In Dortmund und an manchem Zufluss können wir zwar schon besichtigen, wie die ganze Emscher aussehen (und riechen) wird, wenn sie bis 2020 renaturiert ist – aber auch nach einem Vierteljahrhundert Arbeit bleibt die Vorstellung eines Ruhrgebiets mit wasserblauer Mitte: eine Utopie. Ein Wunder. So wie früher der blaue Himmel über der Ruhr.
Die größte Kloake Europas
Heute noch ist die Emscher die größte Kloake Europas. Ein Fluss, der sterben musste, um das Ruhrgebiet, dieses durch und durch künstliche Gebilde zu ermöglichen. Der Bergbau hat hier ganze Städte um zig Meter tiefergelegt, jeder unterirdische Abwasserkanal wäre dutzendfach geborsten. Darum musste die Brühe oberirdisch abgeleitet werden – und jedes Mal, wenn die Erde nachgab, hat man einfach die Dämme um die Emscher erhöht.
Erst die Nordwanderung des Steinkohlebergbaus machte es möglich, 1991 eine zivilisierte Kanalisation für das Ruhrgebiet zu beschließen. Und die Wiederbelebung eines toten Ökosystems. Wie man das macht? An der Emscher und ihren Zuflüssen werden 423 Kilometer Rohrleitungen verlegt, die all das Abwasser aufnehmen werden: 70 Prozent des Flussvolumens immerhin. Damit die Emscher also nicht zwischenzeitlich trocken fällt, wird das Abwasser an den großen Klärwerken, die seit Mitte der Neunziger entstanden, gereinigt und wieder in die Emscher geleitet. Die wird dennoch schmaler ausfallen, dafür aber klar.
Die wuchernde Natur soll es kaschieren
Über der Erde verschwinden die Betonwannen, die Flussbetten werden „naturnah“ gestaltet. So „natürlich“ wie an den Oberläufen des Borbecker Mühlenbachs oder der Bottroper Boye zu besichtigen, wird die Emscher allerdings nur selten aussehen, denn für große Schlenker fehlt der Platz. An drei großen „ökologischen Schwerpunkten“ und einigen kleineren immerhin darf sie ein bisschen ausufern. Ansonsten schlängelt sie sich weitgehend in ihren alten Grenzen dahin, die wuchernde Natur soll es kaschieren.
Im Grunde verlagert die Emschergenossenschaft ein ganzes Flusssystem unter die Erde, während sie oben hunderte Kilometer Park und Wasserspiele gestaltet. Von Ost nach West und von außen nach innen arbeitet sie. Erschwert wird ihre Arbeit allerdings von den Verwerfungen des Ruhrgebiets und dem geringen Gefälle zwischen Holzwickede und Dinslaken: Der zentrale „Abwasserkanal Emscher“ käme dort in 80 Metern Tiefe an, wenn man diesen unterirdischen Fluss nicht dreimal anheben würde auf seinem 54 Kilometer langen Weg. (Fast drei Viertel sind aktuell fertig, 181 000 Tonnen Stahlbeton verbaut). Drei riesige Pumpstationen entstehen derzeit, jede reicht so tief in den Grund, man könnte den Bottroper Tetraeder darin versenken.
Finanziell ist dieses Großprojekt absolut im Plan
Was das alles kostet? 4,5 Milliarden Euro. Etwa so viel wie der potenzielle Flughafen Berlin. Aber anders als dort sind die Emschergenossen nach 30 Jahren noch im Plan! Finanziert wird dieses Generationenprojekt überdies durch Abwassergebühren der Anliegerstädte und nur zu einem Fünftel von Land und EU.
Was wir für diese Anstrengung bekommen, wird in nur drei bis fünf Jahren deutlich werden, wenn alle Teile an ihren Platz fallen. Gut möglich, dass die Menschen sich darum reißen werden, an der „Schwatten“ zu wohnen. Dass ganze Stadtteile in der Mitte des Reviers sich einmal umdrehen. Nicht überall sicher, und nur dann, wenn die Städte und Immobilienbesitzer ihren Teil beitragen – es wird noch deutlich länger dauern, aber es ist möglich. Wer das nicht glaubt, der fahre zum Phoenixsee. So selbstverständlich es bald erscheinen wird, an der Emscher zu grillen, zu radeln, auszuspannen: Das ist es nicht. Es war und ist harte Arbeit.