Ruhrgebiet. Clubbesitzer Bastian Herzogenrath arbeitete zuletzt auf dem Bau, nun öffnet er als Nachtcafé. So steht es um seinen und andere Clubs im Revier.
Er habe nur vier Stunden geschlafen, dafür aber „richtig Bock“, erzählt Bastian Herzogenrath am Telefon. Nach acht Monaten Stillstand öffneten am vergangenen Mittwoch die Türen seines Clubs „19 Down“ an der Rüttenscheider Straße zum ersten Mal wieder, als Nachtcafé. Um zu lauter DJ-Musik im Schummerlicht ein kaltes Getränk zu schlürfen, sind allerdings viele Regeln nötig: Einlass nur für negative Getestete, Geimpfte oder Genesene, keine Tanzfläche, Maskenpflicht überall außer am Tisch, maximal 80 Gäste, mit Plexiglas abgetrennte Steh- und Sitzplätze. „Das sieht bei uns aus wie im Spiegelkabinett“, sagt Herzogenrath, „aber Hauptsache, wir können wieder öffnen. Es geht ums nackte Überleben.“
Die Premiere sei mehr als geglückt: An allen Tagen sei der Laden nach anderthalb Stunden voll gewesen. Wer sich nicht an die Regeln halte, werde rigoros rausgeworfen. Dabei sei bislang alles friedlich geblieben. „Die Menschen haben sich bedankt, dass wir überhaupt wieder etwas anbieten“, sagt Herzogenrath. Sein Postfach sei übergelaufen vor lauter Vormerkungen – obwohl er gar keine Plätze reserviere. Am dritten Öffnungstag habe er mit Hilfe seiner Sicherheitsleute eine gut 80 Meter lange Schlange vorm Laden aufgelöst. „Wir wollen keine Menschentrauben vorm Laden, daher haben wir die Menge freundlich zerstreut.“
Wie für alle Clubbetreiber liegt ein hartes und sorgenvolles Jahr hinter dem 33-jährigen Familienvater. Noch im Januar 2020 hatte er den ehemaligen „Solid“-Club im Girardethaus übernommen, ein paar Gehminuten vom „19 Down“ entfernt. Nur aus Rücklagen hatte er einen fünfstelligen Betrag in die Renovierung und Aufwertung gesteckt, 60.000 Euro flossen allein in eine neue Musikanlage. „Ich wollte das ohne Kredite und Brauereien schaffen, um nicht abhängig zu sein“, erinnert er sich. Ein Investment, von dem er mit dem Wissen von heute natürlich die Finger gelassen hätte. Corona legt im März 2020 das Nachtleben auf Eis. Bis heute. „Die Überbrückungshilfen haben am Anfang vorn und hinten nicht gereicht, ich habe einige dicke Stundungen vor der Brust“, sagt der Unternehmer.
Regelmäßige Kontrollen durch Polizei und Ordnungsamt
Im Spätsommer darf er immerhin für geschlossene Gesellschaften wieder öffnen. Auf den Lichtblick folgt ganz schnell das nächste Unglück. Dieses Mal trägt ausnahmsweise nicht Corona die Schuld. Nach der ersten privaten Veranstaltung im Club kracht Herzogenrath nach Feierabend frühmorgens ein betrunkener Autofahrer auf der A40 mit hoher Geschwindigkeit in seinen Anhänger. Das transportierte Leergut, erinnert sich Herzogenrath, verteilt sich quer über die Autobahn. Für Auto und Hänger bedeutet der Unfall den wirtschaftlichen Totalschaden, Bastian Herzogenrath übersteht ihn zum Glück mit nur leichten Blessuren. Aufgeben kommt nicht in Frage.
Wenig später öffnet er das „19 Down“ mit Genehmigung der Stadt Essen zum ersten Mal als Nachtcafé, „das lief richtig gut“. Etliche Male seien Polizei und Ordnungsamt zur Kontrolle da gewesen, einmal kamen neun Polizeibullis. „Das lief aber immer freundlich und ohne Beanstandungen“, blickt Herzogenrath zurück. Die Zwischenlösung funktioniert nur einige Wochen, auf die zweite Welle folgt die Stilllegung des öffentlichen Lebens. Schon wieder.
Aus Sorge vor zu vielen Menschen weitere Security angeheuert
Herzogenrath heuert bei den Baufirmen an, die er zu Jahresanfang noch selbst für Arbeiten in seinem neuen Club beauftragt hatte. Statt Partys zu schmeißen, klopft er Fliesen von den Wänden alter Badezimmer, schneidet „bestimmt 500 Meter“ Hecke, klebt Tapeten. „Ich habe alles gemacht, bevor wir dann ab Ende März zumindest wieder Getränke to go im Club angeboten haben“, sagt Herzogenrath.
Aller Auflagen zum Trotz ist das Interesse am Nachtcafé groß. Aus Sorge vor einer zu langen Schlange am Mittwochabend hat Herzogenrath bereits das Security-Personal vor der Tür aufgestockt. Sicher ist sicher. Sein neuer Club aber werde vor Herbst nicht öffnen, immerhin eine Sache, derer er sich sicher sein kann. „Es lässt sich zurzeit leider nichts richtig planen“, bringt er das Dilemma auf den Punkt.
„Wir werden von unseren Türstehern kaum verlangen, die Impfausweise zu überprüfen“
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Erst ab dem 1. September dürfen Clubs und Diskotheken in NRW überhaupt wieder regulär Partys veranstalten – dafür muss die landesweite Inzidenz stabil unter 35 liegen. „Einfach zu sagen, dass Clubs ab 1. September wieder öffnen können, reicht nicht aus“, kritisiert Heike Schätze, Vorsitzende de Liveinitiative NRW (LINA). Der erst vor zwei Jahren gegründete Verband der Clubs und Veranstalter in NRW e.V. vertritt rund 150 Mitglieder. Die gesamte Branche müsse besser abgeholt werden, fordert Schätze: „Zum einen müssen mit uns Schritte und Maßnahmen abgeklärt werden, um einen sicheren Betrieb der Clubs zu gewährleisten. Und wir brauchen die nötigen Werkzeuge wie den digitalen Impfnachweis an der Hand: Wir werden von unseren Türstehern kaum verlangen können, Impfausweise auf ihre Echtheit zu überprüfen“, sagt Heike Schätze.
Nicht zuletzt müsse es zeitnah Klarheit darüber geben, wie die Ende Juni auslaufende Überbrückungshilfe III fortgeführt wird – und zwar bis in das kommende Jahr hinein: „Viele Clubs und Veranstalter werden ihre Läden wegen Kapazitätsbegrenzungen und Hygienemaßnahmen auch im Herbst kaum wirtschaftlich betreiben können. Zwar soll der Sonderfond Kultur vieles auffangen, wie genau, das wissen wir aber alle noch nicht.“
Personalmangel wird Gastronomie und Clubbetreibern zu schaffen machen
Schätze sieht noch ein weiteres gravierendes Problem auf die Clublandschaft zukommen: den Personalmangel. Schon jetzt ringe die gesamte Gastronomie um Aushilfen, für die Clubs werde die Suche noch schwieriger. „Alle 450-Euro-Kräfte sind gekündigt, da für sie keine Kurzarbeit angemeldet werden konnte. Diese Aushilfen sind längst woanders untergekommen – und die unattraktiven Arbeitszeiten der Club- und Veranstaltungsbranche werden die Suche kaum erleichtern.“
Sie sieht die vielfältige Clublandschaft Nordrhein-Westfalens dennoch nicht in akuter Gefahr: „Nach anfänglichen Startschwierigkeiten haben die Überbrückungshilfen bei den meisten von uns geholfen, auf den Beinen zu bleiben.“
Musikpalette, Jack’s und Apartement 45 mussten Insolvenz anmelden
Einige Kultläden aber mussten im Zuge der Pandemie bereits schließen, darunter die legendäre Musikpalette (MuPa) in Essen. Generationen Jugendlicher sammelten dort ihre ersten Diskoerfahrungen. Im vergangenen November blieb den Betreibern nach 26 Jahren nichts anderes als die Insolvenz übrig.
Ähnlich erging es auch dem „Jack’s“ (ehemals „Pflaumenbaum“) hinterm Bochumer Hauptbahnhof. Im Sommer 2020 kapitulierte der Club. Und auch im ehemaligen „Apartment 45“ in Bochum sind mittlerweile Büroräume entstanden – was auch aber nicht nur mit Corona zu tun hatte.
Im Prater in Bochum hat das Team die Hoffnung nicht aufgegeben
Eine der größten und bekanntesten Läden in Bochum – der Prater – hat die Hoffnung indes noch nicht verloren. „Wir können uns nur bei unserem Vermieter und unseren Partnern aus der Wirtschaft bedanken, dass wir noch Luft haben, um weiter durchzuhalten“, sagt Thorsten Scheibe vom Prater-Team. Die dünne Perspektive für den September stehe allerdings in keiner Relation zu dem, was in die Hand genommen werden müsse, um einen sicheren Clubbetrieb zu gewährleisten. „Und wenn bei uns maximal 500 Leute kommen dürfen, dann sieht der Laden immer noch leer aus“, wendet Scheibe ein.
Größtes Problem zurzeit sei, an verlässliche Informationen zu kommen, unter welchen Voraussetzungen die Clubs überhaupt öffnen können. Bis heute gebe es keine Informationen vom Gesundheitsamt, wie etwa Hygienekonzepte aussehen müssten. „Und wenn wir wieder öffnen, kann es immer noch sein, dass der Inzidenzwert wenige Wochen später wieder steigt. Dann müssen wir wieder schließen und stehen vor einem vollen Kühlhaus, deren Inhalt wir nicht verkaufen können.“ Kurzum: Das wirtschaftliche Risiko sei groß. Dennoch „wollen wir alles Erdenkliche tun, an Informationen zu bekommen, wie wir uns bestmöglich vorbereiten“, sagt Scheibe.
Hotel Shanghai in Essen wird für sechsstelligen Betrag umgebaut
Im Essener Hotel Shanghai sind die Vorbereitungen auf den noch unbestimmten Zeitpunkt der Wiedereröffnung gerade in vollem Gange. Dank Subventionen des Landes und Überbrückungshilfen hat Club-Betreiber Kay Shanghai einen sechsstelligen Betrag in die Hand genommen, um seinen Laden sicher aufzustellen für die Party nach der Pandemie. Teure Lüftungsanlagen werden eingebaut, die sanitären Anlagen komplett erneuert, das gesamte Kassensystem auf bargeldloses Bezahlen eingestellt.
„Uns ist wichtig“, sagt Shanghai, „kein Datum festzulegen, an dem wir wieder an den Start gehen. Wir haben den Laden geschlossen, bevor wir es mussten und öffnen erst dann wieder, wenn wir es für richtig halten.“ Derzeit plane er allerdings ein alternatives Projekt für den Sommer, dessen genaue Ausgestaltung zurzeit festgezurrt wird. Dass mancher aus der Branche bitter klage, könne er nicht nachvollziehen. „Im Gegensatz zu anderen Betrieben wurden wir sehr gut aufgefangen. Ohne die Hilfen hätten wir vor dem Aus gestanden.“ Shanghai nutzte die lange Pause nicht nur zum Umbau sondern auch, um Musik zu machen. Am 25. Juni erscheint seine erste Single „Ananas“ auf allen gängigen Streamingportalen. Damit die Nachtschwärmer das Tanzen nicht verlernen.