Hagen/Soest. Laut NRW-Wirtschaftsministerium flossen bisher 6,4 Milliarden Euro an verschiedenen Corona-Hilfen nach NRW. Zu langsam kritisiert die Wirtschaft.
Es bleibt ein Wettlauf gegen die Zeit. Die Bund-Länderbeschlüsse vom Mittwoch lassen viele Unternehmen weiter im Unklaren, wie lang die Strecke noch ist und ob sie es schnell genug bis ins Ziel „Wiedereröffnung“ schaffen werden. Daran ändert auch die jüngste Ankündigung aus dem Bundeswirtschaftsministerium nichts, die endlich die Überbrückungshilfe III (Ü-III) in Aussicht stellt.
Zu viel Hin und Her bei Programmen
Die versprochene finanzielle Unterstützung des Staates kommt vielfach zu langsam oder gar nicht. Laut Bundeswirtschaftsministerium sollen ab Montag erste Ü-III-Abschläge fließen, bis zu 400.000 Euro pro Antragsteller. „Ich wäre schon dankbar, wenn der Rest der Dezemberhilfe fließen würde“, sagt Volker Kaiser, Präsident der Steuerberaterkammer Westfalen-Lippe und Vizepräsident der Bundessteuerberaterkammer.
Kaiser beschäftigt in seinem Büro in Soest 24 Mitarbeiter. Zwei sind seit geraumer Zeit ausschließlich mit dem Thema staatliche Corona-Hilfen beschäftigt. Die ersten Anträge auf Überbrückungshilfe III haben seine Leute für zwei Mandanten am Donnerstag bereits gestellt. Auch für die Experten, die der Staat im vergangenen Jahr beim Thema Überbrückungshilfe schnell ins Boot gehievt hatte, eine echte Herausforderung.
Die genauen Voraussetzungen (FAQ) für berechtigte Anträge bei den vielen Programmen veränderten sich mehrfach, mitunter innerhalb weniger Tage. „So wird es immer schwieriger“, sagt selbst Kaiser. Beispiel Dezemberhilfen. Da änderten sich am 17. des Monats plötzlich die FAQ rückwirkend zum 3. Dezember. Selbst als Steuerberater müsste man mit hellseherischen Fähigkeiten gesegnet sein, um dann keine Fehler zu machen. Statt schnell und unbürokratisch die von Zwangsschließung oder erheblichen Einbußen betroffene Wirtschaft im Lockdown zu unterstützen, verzögern sich durch das Hin- und Her und die Schwierigkeiten, eine bundesweit einheitliche und sichere Plattform für die Beantragung zu entwickeln, die überlebensnotwendigen Hilfen. „Ich kenne niemanden, der die Novemberhilfen auch im November bekommen hat“, sagt Kaiser. Zur Erinnerung: Bis zum 25. November dauerte es, ehe überhaupt Anträge gestellt werden konnten.
Insolvenzquote steigt
Für die Überbrückungshilfe III wurde erst Ende Januar mit der Programmierung der Software begonnen, die ein paar Tage dauern sollte. Nun ist Mitte Februar und viele Unternehmen haben seit zwei Monaten keinen Eurocent mehr eingenommen.
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Kaiser, der die Bücher so mancher Firma kennt, macht sich – wenig überraschend – große Sorgen. Die Quote der Unternehmen an der Insolvenzschwelle schätzt der Experte bereits auf über 20 Prozent. „Letztlich wird jede Branche finanziell betroffen sein. Von der am Boden liegenden Reisebranche bis hin zum Metzger, bei dem man es vielleicht nicht vermutet, aber dem auch die Belieferung der Hotels und Gastronomien fehlt.“
Finanzhilfe in NRW
Soforthilfe: Über 4,5 Mrd. Euro an rund 430.000 Antragssteller (alle Angaben: MWIDE).
Überbrückungshilfe I (Laufzeit Juni-August): 364 Mio. Euro an 35.000 Antragssteller.
Überbrückungshilfe II (September-Dezember): 523 Millionen Euro, 36.000 Anträge. Damit sind rund 90 Prozent der Anträge bearbeitet
Novemberhilfe: Seit 15. Januar haben die Bezirksregierungen über die Schnittstelle des Bundes 47.827 NRW-Anträge bewilligt (= 79,1 Prozent), 662,78 Millionen Euro wurden ausgezahlt. Abschlagzahlungen: 97 Prozent ausbezahlt. Soloselbstständige: 84 Prozent komplett ausbezahlt.
Dezemberhilfe: Seit 29. Januar haben die Bezirksregierungen über die Schnittstelle des Bundes 22.894 NRW-Anträge bewilligt (= 43,8 Prozent), 416,77 Millionen Euro ausgezahlt. Abschlagzahlungen: 98 Prozent ausbezahlt. Soloselbstständige: 89 Prozent komplett ausbezahlt.
Wie schnell sich die Quote erhöhen wird, hängt nun an der Geschwindigkeit, mit der die Ü-III-Hilfen fließen. Ab März sollen die Länder die endgültige Entscheidung über die Anträge und die reguläre Auszahlung abwickeln. Bis Ende Juni sollen Unternehmen beziehungsweise Antragsteller schließlich pro Fördermonat bis zu 1,5 Millionen Euro bekommen können.
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Nach Nordrhein-Westfalen sind nach Angaben des Landeswirtschaftsministeriums in den vergangenen Monaten hohe Summen geflossen: „Bis heute sind insgesamt rund 6,4 Milliarden Euro an Corona-Hilfen in Nordrhein-Westfalen ausgezahlt – in der Landesgeschichte hat es kein größeres Hilfsprogramm gegeben“, heißt es auf Anfrage dieser Zeitung. Hört sich in der Tat ebenso gut wie gewaltig viel an – wenn nur das Tempo stimmte.