Langenfeld. Damit Schule bald gefahrloser geht, organisiert ein Gymnasium in Langenfeld die Impfung für mehr als 800 Schüler. Nicht nur Eltern laufen Sturm.

Ende dieses Monats sollen die Kinder in die Schulen zurückkehren. Ungeimpft. Doch sobald das erste Corona-Vakzin auch für Jugendliche zugelassen wird, will eine Schule in Langenfeld ihre Schüler impfen – in der Sporthalle. Alles ist schon organisiert, doch nun rollt eine Protestwelle über das Konrad-Adenauer-Gymnasium. Dem Schulleiter wird „Kindesmissbrauch“ vorgeworfen, dabei wollte er nur helfen.

Er hielt es für zu früh, damals schon: Ende April 2020 haderte Stephan Wippermann-Janda mit dem Schulstart nach dem ersten Lockdown, er ahnte, man würde eher langfristig planen müssen. Der Rheinischen Post sagte der Schulleiter: „Es ist mein Berufsethos, mich um die Schüler, Lehrer und den Ablauf zu kümmern.“ Und das hat er auch jetzt getan. Gemeinsam mit einer Allgemeinmedizinerin aus der Elternschaft schrieb er ein Konzept, wie alsbald die Schüler zu impfen seien. An Samstagen, in einer seiner Sporthallen, mehr als 800 Impflinge in acht Impfstraßen, unbedingt noch vor den Sommerferien… Und er schrieb eine Mail an alle Eltern: Ob sich aus medizinischen Berufen jemand fände, der helfen wolle: Spritzen aufziehen, Spritzen setzen, solche Dinge?

Innerhalb eines Tages meldeten sich allein zehn Ärzte.

Eltern werfen Schulleiter „Kindesmissbrauch“ und „tödliche Experimente“ vor

Corona in Hamburg: Die Nachfrage nach Impfungen bricht offenbar ein. Am kommenden Wochenende sind noch viele Termine frei – für Booster und Erstimpfungen.
Sie könnte schon bald kommen: die Corona-Schutzimpfung für Jugendliche ab zwölf Jahren. © shutterstock | Shutterstock

„Die Resonanz auf unseren Aufruf war unglaublich“, sagte Wippermann-Janda froh der örtlichen Presse. Das blieb sie auch in den Tagen danach, nur war sie seither weniger erfreulich. Briefe voller Vorwürfe, Mails voller Hass erreichten den Schulleiter, anfangs hat er noch daraus zitiert: Er solle zurücktreten von der „Aktion des Kindesmissbrauchs“, schrieben ihm offenbar vor allem Mütter, er überschreite eine rote Linie, gehe das Risiko von Impfschäden, gar tödlichen Folgen für die Kinder ein, presche „blindlings“ und in vorauseilendem Gehorsam vor, mache „Experimente auf Kosten der Schüler“. Die Post kam aus ganz Deutschland, einige Langenfelder Eltern klagten, sie fühlten sich unter Druck gesetzt.

Dabei ist für Stephan Wippermann-Janda die Sache so: „Wir als Schulleitung und Schulpflegschaft möchten unseren Schülerinnen und Schülern helfen, ein Impfangebot zu bekommen.“ Und zwar all jenen, „deren Eltern ein Impfangebot gerne und freiwillig annehmen möchten“. Diese Grundannahme sei „selbstverständlich“, schreibt der Schulleiter auf Nachfrage dieser Redaktion. Weiter äußern möchte er sich nicht mehr. Nur so viel: Über die Zulassung und Verteilung des Impfstoffes für Jugendliche ab zwölf sei noch nichts bekannt, zunächst müssten die Voraussetzungen für die Impfaktion „geklärt und geprüft werden“. Man wolle sich „über eventuelle Möglichkeiten für Impfungen mit den zuständigen Stellen austauschen“. Ohne Zustimmung auch der Behörden geht nichts.

Biontech soll in den nächsten Wochen für Jugendliche zugelassen werden

Die aber geben sich schmallippig, noch bevor das Gymnasium überhaupt vorsprechen konnte: Die Impfkampagne, heißt es aus dem Schulministerium, werde vom Gesundheitsministerium „gesteuert und auch für alle Altersklassen organisiert“. Das Gesundheitsministerium schreibt auf Anfrage dieser Zeitung: Es werde „derzeit ein Konzept zur Impfung von Kindern und Jugendlichen im Alter von 12 bis 18 Jahren“ erarbeitet. Diesem Prozess wolle man nicht vorgreifen. In eine Fernsehkamera sagt Minister Karl-Josef Laumann etwas verwundert, er könne nicht jetzt schon eine Impfstrategie für Kinder haben, wo die Impfung in Europa noch gar nicht zugelassen sei.

Tatsächlich ist die Impfung von Kindern und Jugendlichen – noch – Zukunftsmusik. Bislang ist das Vakzin von Biontech ab 16 Jahren freigegeben, allerdings gilt bis Juni noch die Priorisierung Vorerkrankter, Älterer und bestimmter Berufsgruppen. In den USA hat Hersteller Biontech die Zulassung für Kinder ab zwölf Jahren bereits bekommen, dasselbe wird in Europa möglicherweise noch im Mai, spätestens Anfang Juni erwartet. Darauf setzt das Konrad-Adenauer-Gymnasium in Langenfeld.

Kinder sollen im Sommer geimpft werden, Schulen könnten Impfzentren werden

In den USA ist Biontech schon für Kinder ab zwölf Jahren freigegeben. Hier bekommt Lainey, 12, seine erste Spritze.
In den USA ist Biontech schon für Kinder ab zwölf Jahren freigegeben. Hier bekommt Lainey, 12, seine erste Spritze. © dpa | Paul Hennessy

Trotzdem gibt es noch viele warnende Stimmen. Die ständige Impfkommission (Stiko) will eine Immunisierung von Kindern „sehr genau prüfen“. Ob sie überhaupt eine klare Empfehlung geben wird, ist offen: Zu klären ist, ob wirklich der Schutz der in der Regel weniger schwer erkrankenden Kinder im Vordergrund steht oder die Herdenimmunität der Gesellschaft – und ob also der Nutzen der Impfung die Risiken für den Einzelnen tatsächlich überwiegt.

Wenn aber das „Go“ kommt, geht Bundesgesundheitsminister Jens Spahn davon aus, dass ab Zwölfjährige eine erste Spritze „spätestens in den Sommerferien“ bekommen könnten. Die Konferenz der Kultusminister hat sich Ende August zum Ziel gesetzt. Reihenimpfungen an Schulen, wie in Langenfeld geplant, könnten dabei helfen, findet Spahn, seine Kabinettskollegin Anja Karliczek (Bildung) schlägt sogar explizit vor, dass Schulen zu Impfzentren werden.

Lehrerverbände befürworten grundsätzlich „Impfaktionen an Schulen, um ein niedrigschwelliges Angebot für Schüler und Lehrkräfte zu schaffen“, wie der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger, sagt. Die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein (KVNO) indes würde lieber in Kinderarztpraxen impfen, schon weil die Schulen schon bald für sechs Wochen zu sind. Sie führt dazu Gespräche mit dem Ministerium, allein in NRW gehe es um 1,5 Millionen Kinder. Die KVNO geht davon aus, dass es „in den Sommerferien genug Kapazitäten für Schülerimpfungen“ geben wird.

Eine Schule in Bayern impft 250 Schüler und ihre Eltern

Eine Schule in Bayern übt derweil schon. In Planegg werden an einem Gymnasium am Freitag dieser Woche 250 Schüler ab 16 Jahren geimpft – und wenn die wollen, auch ihre Eltern. Möglich ist das durch das Angebot einer Arztpraxis, die ihre priorisierten Patienten bereits geimpft haben will und deshalb Dosen übrig hat. Und weil Bayern die Impfpriorisierung in dieser Woche bereits aufgehoben hat.

Nach Berichten über den „Shitstorm“ in Langenfeld gibt es dort inzwischen aber auch Lob. Zwar seien die Kritiker laut, aber wenige, heißt es aus der Schulpflegschaft des Konrad-Adenauer-Gymnasiums. „Die Impf-Aktion genießt in der Schulgemeinde überwiegende Zustimmung“, sagt der Vorsitzende Edwin Pütz der Rheinischen Post. Es gebe viel Unterstützung, inzwischen wollten 50 Eltern helfen, ganze Jahrgangsstufen scharrten mit den Hufen. Zögernde Eltern beruhigt Pütz, der Richter ist: Juristische Rahmenbedingungen würden zuerst geklärt, die Einverständnis-Erklärung habe noch Zeit. Bis dahin, schreibt Schulleiter Wippermann-Janda, wolle er sich „darauf konzentrieren, unser Schulleben weiterhin lernförderlich zu gestalten“.

Allerdings wollte die Schule am liebsten noch vor den Sommerferien loslegen, die am 5. Juli beginnen: Dann könnten die Schüler mit ihrer Erstimpfung aus dem alten und mit einer zweiten ins neue Schuljahr gehen (Start 18. August). Damit der Unterricht wieder „so normal wie möglich“ laufen kann.

>>INFO: LEHRKRÄFTE SIND BEREITS AN DER REIHE

Ein Vorwurf, den die Schule in Langenfeld sich anhören muss: Es sollten doch erst einmal die Lehrer geimpft werden. Die Lehrkräfte an weiterführenden Schulen aber sind in NRW in der Priorisierungsgruppe 3, derzeit also an der Reihe. Bis zur Aufhebung der Impfpriorisierung am 7. Juni sollten sie mit einer Erstimpfung versorgt sein.

Insgesamt sind in NRW inzwischen fast 40 Prozent der Bevölkerung erstgeimpft. Bis Ende Juni, davon gehen die Kassenärztlichen Vereinigungen aus, sollten alle, die das wollen, einen Termin in Aussicht haben. Wenn bis dahin die Zulassung des Vakzins von Biontech für Jugendliche erfolgt ist, kann spätestens im Juli mit deren Impfung begonnen werden.