Düsseldorf. Kommt die Rückkehr zum Präsenzunterricht zu früh? Das Land NRW hält Lockerungen für möglich. Lehrerverbände sind in Sorge.
In den fünf Wochen vor den Ferien sollen Kinder in NRW wieder täglich zur Schule gehen können. Die Regierung sagt: "Das ist möglich." Lehrerverbände sind sehr skeptisch. Ein Überblick über die Argumente:
Wie begründet die Regierung die Schulöffnung?
Mit sinkenden Infektionszahlen, immer mehr Geimpften und mit den regelmäßigen Coronatests in den Schulen. Gerade durch die besonders sicheren und einfach durchzuführenden „Lolli-Tests“ für Grund- und Förderschüler sei es gelungen, den Schutz zu verbessern. Diese Tests funktionieren allerdings nicht überall reibungslos. Außerdem, so die Landesregierung, hätten Kinder und Jugendliche in den vergangenen 15 Monaten extrem unter den Folgen der Pandemie gelitten. Dieses Leid der Kinder sei, im Gegensatz zu Inzidenzen und R-Werten, nicht leicht in Zahlen auszudrücken, aber es sei da, sagte NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) am Mittwoch im Landtag. „Nach einer Zeit der besonderen Vorsicht schlägt nun die Stunde der Kinder und Jugendlichen“, so die Ministerin.
NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) führte im Landtag Warnungen von Kinder- und Jugendärzten an. Ein Sprecher des Berufsverbandes dieser Mediziner hatte gesagt: „Die Kinder- und Jugendpsychiatrien sind voll, dort findet eine Triage statt. Wer nicht suizidgefährdet ist und ,nur‘ eine Depression hat, wird nicht mehr aufgenommen.“
Werden alle Schüler Präsenzunterricht erhalten?
Das ist noch nicht absehbar. Am Mittwoch lagen in NRW laut Landesregierung 27 von 53 Kommunen fünf Tage lang unter dem Schwellen-Inzidenzwert von 100 Infektionen je 100.000 Einwohner und Woche. Sie gelten also als „stabil“ unter einer Inzidenz von 100 und könnten Ende Mai alle Schulen öffnen, wenn es bei diesen Werten bleibt. Nur noch acht Kommunen liegen über dem Grenzwert von 100. Die Tendenz beim Infektionsgeschehen ist landesweit sinkend, es dürften also schnell immer mehr Städte und Kreise für Schulöffnungen in Frage kommen. Münster liegt sogar stabil unter einer Inzidenz von 50, die Kreise Soest und Coesfeld könnten bald folgen. Unterhalb der Inzidenz 100 können die Länder über Präsenzunterricht entscheiden. Darüber greift die Bundesnotbremse, die Präsenzunterricht in diesen Fällen ausschließt.
Was halten Lehrerverbände von den Plänen?
Sie raten zur Vorsicht. „Auch wenn die Sehnsucht nach mehr Normalität an den Schulen groß ist, sollte bei der Frage der Wiederaufnahme des Präsenzunterrichts weiterhin die Devise gelten: Sicherheit vor Schnelligkeit. „Die Pandemie-Situation ist nach wie vor sehr fragil. Daher fordern wir, im Einklang mit den Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts sowie des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, den vollen Präsenzunterricht erst dann wieder aufzunehmen, wenn die Inzidenzen stabil unter 50 liegen“, erklärt Sven Christoffer, Vorsitzender des Verbandes Lehrer NRW.
„Aus unserer Sicht wäre es gut gewesen, die Entwicklung der Lage bis zum 7. Juni abzuwarten und dann zu entscheiden, wie es in den dann vier Wochen bis zu den Ferien weitergehen soll“, sagte die Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Maike Finnern. Es sei weiter Vorsicht geboten, der Erfolg der Maßnahmen dürfe nicht riskiert werden. Mit der Öffnung der Schulen würden dort erneut andere Regeln gelten als überall sonst: „Kein Abstand, lange Zeit mit vielen Menschen in einem Raum, an großen Schulen leicht mehr als 1000 Menschen an einem Ort."
Der Verband der Lehrer an Berufskollegs (vlbs) macht auf die besondere Situation in den zum Teil sehr gro0en Berufsschulen aufmerksam. „Dort stehen dann ab Ende Mai auf einmal 3000 oder gar 5000 Schüler vor der Tür“, so vlbs-Vorsitzender Michael Suermann. Viele Berufskollegs seien sehr gut für den Distanzunterricht aufgestellt. „Wir würden uns wünschen, dass das Land die Entscheidung über den Präsenzunterricht den Schulleitungen überlässt“, sagte Suermann.
„Wir hoffen alle auf ein möglichst versöhnliches Ende eines anstrengenden Schuljahres“, betonte der Landeschef des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), Stefan Behlau. Vorfreude dürfe aber Vorsicht nicht ersetzen. „Es ist klar, dass die weitere Öffnung Schulleitungen, Lehrkräfte und das pädagogische Personal erneut und hoffentlich ein letztes Mal in diesem Schuljahr vor große Herausforderungen stellt“, so Behlau.
Wie reagieren Eltern?
Auch mit einer Mischung aus Vorfreude und Sorge. „Die Öffnung kommt zu früh“, sagt zum Beispiel Ralf Radke von der Landeselternschaft der integrierten Schulen (Leis). Radke führt an, dass die Inzidenz unter Kindern höher sei als im Schnitt der Bevölkerung. Wenn dieser Wert bei den Jüngeren unter 50 liege, seien Schulöffnungen sicherer.