Ruhrgebiet. Warum heißt ein Ruhrgebietsrathaus nach Hans Sachs? Was ist ein Bullenkloster? Zwei neue Bücher beantworten Fragen zu Ruhrgebiet und Bergbau.
Das Ruhrgebiet ist ja Beinah-Weltmeister in der Kategorie der zweitbesten Superlative. Zum Beispiel: Moers als größte kreisangehörige Stadt, die nicht Kreisstadt ist. Oder der VfL Bochum, einer der wenigen Fußballvereine, der seit 55 Jahren ununterbrochen in der ersten und zweiten Liga spielt. Gefühlt ist immer ein bisschen der Wurm drin.
Nun gibt es neue, oder sagen wir: nicht ganz so bekannte. Dinslaken hat die „kürzeste Trabrennbahn ihrer Art“ in Deutschland, Duisburg „einen der ältesten Stadtmarathons“ und Mülheim den „in Teilen ältesten erhaltenen frühmittelalterlichen Wehrbau der späten Karolingerzeit nördlich der Alpen“. Soviel Einschränkung muss sein.
„Populäre Irrtümer und andere Wahrheiten“
„Höher, schneller, weiter“ heißt logischerweise das Kapitel, in dem diese Beispiele stehen. Sie entstammen dem neuen Taschenbuch ,Ruhrgebiet’ des Klartext-Verlages. Parallel dazu erscheint ,Bergbau’, und beide tragen denselben Untertitel: „Populäre Irrtümer und andere Wahrheiten“.
Im Klappentext von ,Ruhrgebiet’ heißt es dazu: „Wenn Sie denken, dass Sie schon alles über den größten Ballungsraum Deutschlands wissen, wird Sie dieses Buch überraschen.“ Da geht es dann um Weinanbau im Ruhrgebiet, auch um „die schaurigsten Gebäude und die höchsten Aussichtspunkte“. Manche vermeintliche Überraschung ist freilich lange auserzählt wie etwa die, „wie Papst Johannes Paul II. zum Schalker wurde“.
Aus dem „Rheinisch-Westfälischen Industriegebiet“ wird das Ruhrgebiet
Insgesamt aber erzählen die Autoren Tina Halberschmidt - eine frühere WAZ-Kollegin - und Martin Wedau in unterhaltsamer Form über das Ruhrgebiet: dass seine großen Städte eine Geschichte haben, die schon lange vor dem ersten Kohlenfund beginnt, zum Beispiel. Der Kartograph Gerhard Mercator kam ja nicht nur nach Duisburg, weil er an der neuen Uni (im 16. Jahrhundert!) angestellt werden sollte, sondern weil er seine Globen in der bedeutenden Handelsstadt gut verkaufen konnte.
Und wie kam das offiziell so bezeichnete „Rheinisch-Westfälische Industriegebiet“ überhaupt an seinen bleibenden Namen Ruhrgebiet? Das setzte sich erst in den 30er-Jahren durch, vorläufig endgültig: Und zur bitteren Enttäuschung des Marketings hört man die künstliche Schöpfung „Metropole Ruhr“ „auf den Straßen der Städte kaum“, schreiben die beiden.
Hans Sachs fand nach Gelsenkirchen auf dem Weg durch eine Oper
Erhellende Momente gibt es dennoch genug. Wer sich zum Beispiel immer fragte, warum das Gelsenkirchener Rathaus eigentlich nach einem Nürnberger Dichter heißt, nach Hans Sachs - bekommt folgende Antwort: Weil Hans Sachs in einer Wagner-Oper gegen alles ,welsche’ ansingt, also alles französische. Das Hans-Sachs-Haus wurde gebaut kurz nach dem Ende der Ruhr-Besetzung durch Frankreich 1923.
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Das Buch bewegt sich jedenfalls mühelos über dem Niveau vieler der in ganz Deutschland beliebten ,Klugscheißer’-Bücher, die damit kokettieren, überflüssiges Wissen zu verbreiten; manche davon verbreiten auch überflüssige Fehler. Dieses nicht.
„Der Kohlenpott gilt als Mythos, der Kumpel als Prototyp seiner Einwohner“
Ernsthafter, ohne in irgendeiner Form langweilig zu sein, ist das Bändchen ,Bergbau’. „Der Kohlenpott gilt als Mythos, der Kumpel als Prototyp seiner Einwohner, Bergarbeit als Beispiel für Zusammenhalt und Kameradschaft“, heißt es schon im Geleitwort. Man hört es schon heraus: Da steckt ein Vorbehalt drin.
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Der Historiker und Bergbau-Hobbyhistoriker Dietmar Bleidick macht sich dann daran, alles rund um Bergbau zu erklären, was man schon mal gehört hat, aber vielleicht nicht einordnen kann. Was ist eigentlich ein Schlotbaron? Was sind schlechte Wetter? Pütt Eimerweise? Bullenkloster? Und was hat es mit sogenannten „Polen-Zechen“ in Herne und Gelsenkirchen auf sich?
Von „Mißgunst“, „Frischgewagt“ und „Unvermuthetglück“
An Stellen wie diesen schreddert Bleidick gern die eine oder andere Legende. Von der Solidarität unter Tage und der behaupteten Weltoffenheit der Region bleibt in diesem Fall: Die polnischen Bergarbeiter wurden abschätzig behandelt, polizeilich beobachtet und vorzugsweise da eingesetzt, wo es unter Tage noch gefährlicher und gesundheitsschädlicher werden konnte als sowieso schon. Dafür verdienten sie weniger.
Dabei ist das Buch nicht grundsätzlich gegen den Strich gebürstet. Es ist eine kompakte, sehr gut verständliche Einführung in den Steinkohlebergbau und zielt nicht auf Witzchen. Auch, wenn etwa das Kapitelchen über Zechennamen sehr unterhaltsam ist: von „Dreckbank“ und „Mißgunst“ bis „Frischgewagt“ und „Unvermuthetglück“.
„Bergbau“ und „Ruhrgebiet“ Populäre Irrtümer und andere Wahrheiten. Klartext-Verlag, Essen 2021, 104 Seiten, 14,95 Euro.